Zum Spaß ums Leben rennen
Peter Keglevic’ filmhafter Versuch, Satire mit Vergangenheitsbewältigung und eine postmoderne Struktur mit der Strickart eines Bestsellers zu verbinden.
Der als Wallfahrer (!) getarnte Jude Harry Freudenthal wird unterwegs nach Santiago de Compostela knapp vor Kriegsende in Berchtesgaden aufgegriffen. Statt ihn zu liquidieren, gliedert man ihn einem Team von Läufern ein, die in Ermangelung sportlicherer Kräfte zu einem jährlichen Festlauf anlässlich von Hitlers Geburtstag eingeteilt wurden. Die berühmte Leni Riefenstahl wünscht sich den blonden Juden aus Berlin nämlich für ihre Marathondokumentation durch das bereits in Trümmern liegende Tausendjährige Reich.
Eine raffiniert ungeschickte Umschlaggrafik, ein Läufer mit einem Brautschleier, zeigt die Tagesetappen, entlang denen Peter Keglevic seinen „zeitgeschichtlichen“Schelmenroman „Ich war Hitlers Trauzeuge“auf 572 Seiten ablaufen lässt: ein ehrgeiziger Versuch, Satire mit Vergangenheitsbewältigung und eine komplexe postmoderne Struktur mit der Strickart eines Massenerfolgs zu verbinden.
„Es fühlte sich an, als liefe ich durch einen kursiv gesetzten Absatz in einem utopischen Roman.“Der Filmemacher Keglevic erzählt, wie sein für Deutschland bis zur Erschöpfung rennender Harry Freudenthal immer wieder von phantasmagorischen Erinnerungen überflutet wird. Behütete Kindheit in einer gutbürgerlichen Berliner Zahnarztfamilie, erste Liebe in Berchtesgaden, die Machtübernahme der Nazis, später eine gefährdete Existenz als jüdisches U-Boot in Wien. Die verwendeten Austriazismen sind authentisch und beklemmend; Harrys falscher Pass lautet auf Andreas Heller; das verweist auf den Sänger des Lie-
Ich war Hitlers Trauzeuge Roman. 572 S., geb., € 26,80 (Knaus Verlag, München) des „Krüppel ham so was Rührendes, Krüppel ham was Verführerendes“von Peter Hammerschlag, das ziemlich genau der Charakterisierung zweier Häscher in ihrer grausamen Gemütlichkeit entspricht. Karl Kraus mit seiner Beschreibung des Österreichers „aus Schleim gemeißelt“lässt grüßen.
Keglevic hat sich über 20 Jahre mit dem Stoff auseinandergesetzt und sein enzyklopädisches Wissen dem Läufer Harry zugeeignet: Es reicht von Details der Zahnheilkunde bis zum deutschen Liedgut und vom sagenhaften Langstreckenläufer Ernst Mensen bis zu geheimen Details militärischer Fahr- und Flugzeugtypen. Ein ungeschickterer Erzähler scheiterte an dieser Materialfülle, aber der hochdekorierte Fernsehregisseur Peter Keglevic (Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis, Bayrischer Fernsehpreis) beherrscht die Kunst des schnellen Schnittes und des unmerklichen Wechsels zwischen Szenen und Zeiten. „Filmisch“sind natürlich auch die Schilderungen der Dreharbeiten Leni Riefenstahls oder – histo-
Qrisch asynchroner Filmscherz – ihres Regieassistenten namens Hans-Jürgen Syberberg.
Bald kann der Nazi-Marathon nur mehr mit Unterstützung der sportbesessenen, amerikanischen Befreier durchgeführt werden. Die US-Generäle verzichten auf das Bombardement der Marathonroute, um auf einzelne Läufer zu wetten. Aber am Ende will keiner der arischen Läufer siegen, sie ziehen den zweiten Preis, eine Beiwagenmaschine, der Einladung des Führers vor. Nur Harry, von den Stimmen seiner ermordeten Familie zur Rache an Hitler gedrängt, begleitet den Diktator in seinen Bunker, schläft mit Eva Braun und wird Trauzeuge des Paares. Aber alles Drängen der Familiengeister hilft nicht, der desperate Hitler selbst muss dem widerstrebenden Harry den Befehl geben, ihn zu erschießen.
Das alles und mehr wird zusammengehalten durch den gealterten Harry, der 2015 in New York seinem farbigen Barbier die unglaubliche Geschichte erzählt. Die beiden kennen sich vom Krieg, als Harry gemeinsam mit Syberberg den in einem Apfelbaum hängenden Schwarzen mit Riefenstahls weißem Mantel filmgerecht aufhellt. Beim Drehen werden übrigens „Neger“(Abdeckplatten) zur Steuerung des Lichts verwendet.
Bei den Frauenfiguren und dem leicht machohaften Umgang mit ihnen stößt Peter Keglevic zupackender Stil an seine Grenzen. Und das weite Feld von Adornos Diktum, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr geschrieben werden könnten, bis zur Auffassung, dass Satire alles dürfe, umgeht Keglevic. Der Regisseur hält sich an Billy Wilders „Für Botschaften ist die Post da“.
„Ich war Hitlers Trauzeuge“ist eben ein erzählerischer Trapezakt, nicht nur schwindelerregend und verstörend mit dem Holocaust als Hintergrund, sondern auch wegen der flotten Eingemeindung des Horrors ins Unterhaltungsbusiness.