Auch Hans kann’s noch lernen
Lehre I. Dass die duale Ausbildung nur für Jugendliche ist, ist ein Vorurteil. Eine Lehrausbildung kann in jedem Alter absolviert werden, und immer mehr nutzen dies als zweiten Karriereweg.
Warnungen vor dem Mangel an Fachkräften werden immer lauter. Die Diskussion um die Ausweitung der Liste der Mangelberufe ist in vollem Gange. Allein in Niederösterreich rechnen Experten mit fehlenden 17.000 Fachkräften in den nächsten fünf Jahren, und Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Landesregierungen rühren kräftig die Werbetrommel, um Jugendlichen eine Lehre schmackhaft zu machen. Neue Lehrberufe wie E-Commerce-Kaufmann oder Glasfasertechniker sollen neue Interessenten bringen. Die Zahl der Lehrlinge ist nämlich in ganz Österreich kontinuierlich gesunken: von über 190.000 in den 1980er-Jahren auf knappe 107.000 im Vorjahr.
Aber ist die Lehre wirklich nur etwas für Jugendliche? Hat man später noch eine Chance, eine Lehrstelle zu bekommen? Die gute Nachricht – speziell für alle (weit) über 20: Wer will, kann sogar noch im hohen Alter die Lehrabschlussprüfung absolvieren. „Bei der Lehre gibt es keine altersmäßige Beschränkung“betont Fritz Dallamaßl, Leiter der Lehrlingsstelle und der Meisterprüfungsstelle bei der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Im Gegenteil, er ortet sogar ein „mittlerweile höheres Durchschnittsalter der Lehrlinge“, so starten viele nicht direkt nach Absolvierung der Schulpflicht eine Lehre, sondern „immer öfter nach einer Erstausbildung in einem zweiten Schritt“.
Wobei diese Erstbildung durchaus bunt gemischt ist. Manche kommen nach ein oder zwei Jahren berufsbildender höherer Schule, manche erst nach der Matura, und es gibt auch Universitätsabbrecher, die sich für eine Lehrausbildung entscheiden, nachdem sie ihre Studienambitionen an den Nagel gehängt haben. Und „alte“Lehrlinge – also über 30 oder gar über 40? „Die gibt es auch“, sagt Dallamaßl. Lehrlinge über 30 oder 40 sind zwar eher die Ausnahme, aber es werden immer mehr, wie auch die Zahlen der Wirtschaftskammer Wien belegen. Vor allem in der Sparte Gewerbe und Handwerk ist die Zahl der Lehrlinge, die zum Beginn ihrer Lehrzeit ihren 30. Geburtstag hinter sich hatten, von bundesweit 92 im Jahr 2011 auf knapp 160 im Jahr 2017 gestiegen. „Diese Lehrlinge werden vorwiegend in den Berufen Rauchfangkehrer, KFZ-Techniker, Friseur und Perückenmacher sowie Gartenund Grünflächengestaltung ausgebildet“, erklärt Michaela Mayrus, stellvertretende Leiterin der Abteilung Bildungspolitik und Berufsausbildung bei der WK Wien.
Dallamaßl: „Wenn es für Lehrling und Unternehmer in Ordnung ist, dann kann man in jedem Alter eine Lehre beginnen.“In Kärnten hat etwa ein 66-Jähriger noch eine Ausbildung zum Koch begonnen – den Abschluss plant er mit 70. „Meist finden ältere Lehrlinge in den Betrieben in ihrem Umfeld eine Stelle“, sagt Dallamaßl: bei Bekannten oder über Empfehlungen von Freunden, die in dem Betrieb arbeiten und so die (älteren) Lehrlinge quasi inspirieren, auch diesen Weg einzuschlagen. Oder Kinder, die ursprünglich anderen Karrierepfaden folgten, wollen doch noch den elterlichen Betrieb übernehmen, brauchen dafür aber einen Lehrabschluss. So etwa Julia Ainedter, die mit 27 Jahren ein „alter“Lehrling war. Heute ist sie Rauchfangkehrermeisterin und leitet ein Unternehmen in Wien. „Ich habe die Lehre schon mit dem Ziel gemacht, die Firma zu übernehmen“, berichtet Ainedter. Ihr Vater führte das Unternehmen, und als sie selbst mit Mitte Zwanzig schon Berufserfahrung in der IT-Branche und im Marketing gesammelt hatte, „wollte ich etwas Handwerkliches machen“, sagt Ainedter.
Ainedter ist froh, vor der Lehre etwas anderes gesehen zu haben, und stellt fest, „dass die Älteren meist schon besser wissen, dass sie genau diesen Beruf ausüben möchten“. Ainedter ist auch Lehrlingsbeauftragte der Rauchfangkehrer in Wien. Das viel zitierte Argument, dass sich Ältere nicht mit 16-Jährigen in eine Berufsschule setzen wollten, kann sie nicht be- stätigen. „Natürlich muss man sich darauf einstellen, aber das habe ich eigentlich als Bereicherung erlebt.“Ainedter hatte, weil sie die Matura hat, eine verkürzte Lehrzeit und sparte sich in der Berufsschule die allgemeinen Fächer. Und bei den berufsspezifischen Fächern „war mir nie fad“, denn es gehe dabei immer um Inhalte, die man vorher nicht kenne und die für den Beruf relevant seien.
Oberösterreich ist das Bundesland, in dem die meisten Lehrlinge ausgebildet werden, rund 12.500 Lehrabschlüsse werden hier jährlich gemacht. Dallamaßl erklärt, dass davon immer mehr eine außerordentliche Lehrabschlussprüfung ablegen, also betriebliche Praxis haben und den inhaltlichen Fachinput über Lehrgänge oder spezielle Schulungen erworben haben. Ein Knackpunkt für Ältere ist oft das Gehalt. Die Lehrlingsentschädigung ist vor allem im ersten Lehrjahr oft nicht kostendeckend, allerdings gibt es für Unternehmen auch Förderungen, wenn sie über 18-Jährigen eine höhere Lehrlingsentschädigung oder den Hilfsarbeiterlohn bezahlen.