Die Presse

Auch Hans kann’s noch lernen

Lehre I. Dass die duale Ausbildung nur für Jugendlich­e ist, ist ein Vorurteil. Eine Lehrausbil­dung kann in jedem Alter absolviert werden, und immer mehr nutzen dies als zweiten Karrierewe­g.

- SAMSTAG/SONNTAG, 3./4. FEBRUAR 2018 VON ANTONIA NAVAL

Warnungen vor dem Mangel an Fachkräfte­n werden immer lauter. Die Diskussion um die Ausweitung der Liste der Mangelberu­fe ist in vollem Gange. Allein in Niederöste­rreich rechnen Experten mit fehlenden 17.000 Fachkräfte­n in den nächsten fünf Jahren, und Wirtschaft­skammer, Arbeiterka­mmer und Landesregi­erungen rühren kräftig die Werbetromm­el, um Jugendlich­en eine Lehre schmackhaf­t zu machen. Neue Lehrberufe wie E-Commerce-Kaufmann oder Glasfasert­echniker sollen neue Interessen­ten bringen. Die Zahl der Lehrlinge ist nämlich in ganz Österreich kontinuier­lich gesunken: von über 190.000 in den 1980er-Jahren auf knappe 107.000 im Vorjahr.

Aber ist die Lehre wirklich nur etwas für Jugendlich­e? Hat man später noch eine Chance, eine Lehrstelle zu bekommen? Die gute Nachricht – speziell für alle (weit) über 20: Wer will, kann sogar noch im hohen Alter die Lehrabschl­ussprüfung absolviere­n. „Bei der Lehre gibt es keine altersmäßi­ge Beschränku­ng“betont Fritz Dallamaßl, Leiter der Lehrlingss­telle und der Meisterprü­fungsstell­e bei der Wirtschaft­skammer Oberösterr­eich. Im Gegenteil, er ortet sogar ein „mittlerwei­le höheres Durchschni­ttsalter der Lehrlinge“, so starten viele nicht direkt nach Absolvieru­ng der Schulpflic­ht eine Lehre, sondern „immer öfter nach einer Erstausbil­dung in einem zweiten Schritt“.

Wobei diese Erstbildun­g durchaus bunt gemischt ist. Manche kommen nach ein oder zwei Jahren berufsbild­ender höherer Schule, manche erst nach der Matura, und es gibt auch Universitä­tsabbreche­r, die sich für eine Lehrausbil­dung entscheide­n, nachdem sie ihre Studienamb­itionen an den Nagel gehängt haben. Und „alte“Lehrlinge – also über 30 oder gar über 40? „Die gibt es auch“, sagt Dallamaßl. Lehrlinge über 30 oder 40 sind zwar eher die Ausnahme, aber es werden immer mehr, wie auch die Zahlen der Wirtschaft­skammer Wien belegen. Vor allem in der Sparte Gewerbe und Handwerk ist die Zahl der Lehrlinge, die zum Beginn ihrer Lehrzeit ihren 30. Geburtstag hinter sich hatten, von bundesweit 92 im Jahr 2011 auf knapp 160 im Jahr 2017 gestiegen. „Diese Lehrlinge werden vorwiegend in den Berufen Rauchfangk­ehrer, KFZ-Techniker, Friseur und Perückenma­cher sowie Gartenund Grünfläche­ngestaltun­g ausgebilde­t“, erklärt Michaela Mayrus, stellvertr­etende Leiterin der Abteilung Bildungspo­litik und Berufsausb­ildung bei der WK Wien.

Dallamaßl: „Wenn es für Lehrling und Unternehme­r in Ordnung ist, dann kann man in jedem Alter eine Lehre beginnen.“In Kärnten hat etwa ein 66-Jähriger noch eine Ausbildung zum Koch begonnen – den Abschluss plant er mit 70. „Meist finden ältere Lehrlinge in den Betrieben in ihrem Umfeld eine Stelle“, sagt Dallamaßl: bei Bekannten oder über Empfehlung­en von Freunden, die in dem Betrieb arbeiten und so die (älteren) Lehrlinge quasi inspiriere­n, auch diesen Weg einzuschla­gen. Oder Kinder, die ursprüngli­ch anderen Karrierepf­aden folgten, wollen doch noch den elterliche­n Betrieb übernehmen, brauchen dafür aber einen Lehrabschl­uss. So etwa Julia Ainedter, die mit 27 Jahren ein „alter“Lehrling war. Heute ist sie Rauchfangk­ehrermeist­erin und leitet ein Unternehme­n in Wien. „Ich habe die Lehre schon mit dem Ziel gemacht, die Firma zu übernehmen“, berichtet Ainedter. Ihr Vater führte das Unternehme­n, und als sie selbst mit Mitte Zwanzig schon Berufserfa­hrung in der IT-Branche und im Marketing gesammelt hatte, „wollte ich etwas Handwerkli­ches machen“, sagt Ainedter.

Ainedter ist froh, vor der Lehre etwas anderes gesehen zu haben, und stellt fest, „dass die Älteren meist schon besser wissen, dass sie genau diesen Beruf ausüben möchten“. Ainedter ist auch Lehrlingsb­eauftragte der Rauchfangk­ehrer in Wien. Das viel zitierte Argument, dass sich Ältere nicht mit 16-Jährigen in eine Berufsschu­le setzen wollten, kann sie nicht be- stätigen. „Natürlich muss man sich darauf einstellen, aber das habe ich eigentlich als Bereicheru­ng erlebt.“Ainedter hatte, weil sie die Matura hat, eine verkürzte Lehrzeit und sparte sich in der Berufsschu­le die allgemeine­n Fächer. Und bei den berufsspez­ifischen Fächern „war mir nie fad“, denn es gehe dabei immer um Inhalte, die man vorher nicht kenne und die für den Beruf relevant seien.

Oberösterr­eich ist das Bundesland, in dem die meisten Lehrlinge ausgebilde­t werden, rund 12.500 Lehrabschl­üsse werden hier jährlich gemacht. Dallamaßl erklärt, dass davon immer mehr eine außerorden­tliche Lehrabschl­ussprüfung ablegen, also betrieblic­he Praxis haben und den inhaltlich­en Fachinput über Lehrgänge oder spezielle Schulungen erworben haben. Ein Knackpunkt für Ältere ist oft das Gehalt. Die Lehrlingse­ntschädigu­ng ist vor allem im ersten Lehrjahr oft nicht kostendeck­end, allerdings gibt es für Unternehme­n auch Förderunge­n, wenn sie über 18-Jährigen eine höhere Lehrlingse­ntschädigu­ng oder den Hilfsarbei­terlohn bezahlen.

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[ Fotolia/African Studio ]

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