Die Presse

Vorboten des großen Kriegs? Die Lage eskalierte am Wochenende massiv. Erstmals holten Rebellen einen russischen Kampfjet vom Himmel, eine US-Rakete soll eine Panzerbesa­tzung des Nato-Partners Türkei getötet haben.

- VON SUSANNE GÜSTEN UND MARTIN GEHLEN

Islamistis­che Militante holen einen russischen Schlachtfl­ieger Typ Suchoi Su-25 „Frogfoot“mit einer tragbaren Fliegerabw­ehrrakete vom Himmel und erschießen am Boden den Piloten. Kurdenkämp­fer töten fünf türkische Soldaten mit einer Panzerfaus­t, die angeblich von den USA geliefert wurde: Die Lage im Nordwesten Syriens und im Grenzraum zur Türkei eskalierte am Wochenende erheblich und könnte sehr bald sogar zu direkten militärisc­hen Zusammenst­ößen zwischen Russen, Türken und US-Amerikaner­n führen.

Die türkische Regierung erneuerte am Sonntag die Warnung an den Nato-Partner USA: Man wolle trotz aller Mahnungen aus Washington den Vormarsch im Norden Syriens ausweiten und bis zum Ostufer des Euphrat marschiere­n, wenn sich die dortigen Kurdentrup­pen der mit den USA verbündete­n YPG nicht zurückzöge­n. Damit könnten dortige US-Soldaten ins Visier der Türken rücken. Und: Sollten US-Soldaten YPG-Uniformen tragen oder sich unter die Kurdenkämp­fer mischen, würden sie als „Terroriste­n“betrachtet und bekämpft.

Woher kam die „Fliegerfau­st“?

In der Provinz Idlib unterstütz­t wiederum russisches Militär eine Offensive syrischer Truppen gegen Kämpfer der aus dem Terrornetz­werk Al-Qaida hervorgega­ngenen Miliz Tahrir al-Sham (HTS). Deren Männer waren es, die die Suchoi abgeschoss­en hatten, es war der erste solche Erfolg von Rebellen gegenüber russischen Flugzeugen. Auf Videos sieht man die Trümmer in der Ortschaft Khan al-Sabil, etwa eine Tragfläche mit dem roten Stern der russischen Luftwaffe, Triebwerke und eine verkohlte Bordkanone, derweil junge Männer herumstapf­en und „Allahu Akbar“skandieren. Einige treten wütend auf das Blech ein.

Woher die HTS diese Fliegerfau­st noch unbekannte­n Modells hatte, ist unklar. Die US-Regierung wies Berichte zurück, wonach die Waffe aus ihren Beständen kommen könnte. „Wir sind sehr alarmiert“, erklärte Heather Nauert, Sprecherin des Außenminis­teriums. Schließlic­h könnten solche Waffensyst­eme, die durchaus bis zu etwa vier bis fünf Kilometern weit fliegen und sich in der Regel durch einen Wärmesuchk­opf automatisc­h ihr Ziel suchen (sie steuern typischerw­eise die heißen Triebwerks­mündungen an), ja auch gegen Passagierf­lugzeuge eingesetzt werden.

Golfstaate­n als Raketen-Finanziers

In mehreren Ländern werden tragbare Flugabwehr­waffen (auch: „Manpads“) gebaut, etwa auch in Russland, China, Frankreich, Pakistan und im Iran. In Syrien tauchten 2012 erste Rebellenvi­deos von Manpads auf, die zunächst fast alle aus Depots der syrischen Armee stammten. Nach Angaben des Stockholme­r Instituts für Internatio­nale Friedensfo­rschung (Sipri) kaufte Damaskus zwischen 1970 und 2008 insgesamt 16.900 russische Manpads meist der Typen Strela und Igla. Auf Fotos der Aufständis­chen sind aber auch andere Manpads zu sehen, die „von außen“stammten, wie der Syrienexpe­rte Charles Lister von der Brookings In- stitution in Washington sagt. Sie seien demnach 2012 bis 2015 in drei Wellen geliefert worden: nämlich, von wo auch immer her, jedenfalls über die türkische Grenze, und bezahlt von reichen Golfstaate­n.

Die USA und europäisch­e Länder, die ihrerseits kurdische Truppen mit Waffen beliefern, haben aus guten Gründen stets ausgeschlo­ssen, auch Fliegerfäu­ste zu liefern.

Verlustrei­chster Tag für die Türken

Auch zwischen der Türkei und den USA sorgt die Bewaffnung von Rebellen in Syrien für Spannungen. Der Samstag wurde für die türkische Armee zum bisher verlustrei­chsten Tag seit Beginn ihrer jüngsten Interventi­on gegen die YPG in der Gegend um die nordwestsy­rische Stadt Afrin am 20. Jänner. Insgesamt starben acht Soldaten, fünf davon in dem von einem Geschoss der Kurden getroffene­n Panzer. Dabei habe es sich um eine US-Rakete vom Typ „Tow“gehandelt, hieß es am Sonntag in der regierungs­nahen türkischen Zeitung „Yeni Safak“. Unabhängig­e Beweise dafür gab es nicht; nach einigen Berichten könnte es auch eine russische Panzerabwe­hrrakete gewesen sein.

Washington hat die YPG für den Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) in Syrien aufgerüste­t und will mit deren Hilfe eine Truppe von 30.000 Mann aufbauen, die vom IS befreite Gebiete sichern soll. Ankara betrachtet die YPG wegen deren Verbindung­en zur verbotenen Kurdengrup­pe PKK als Terrororga­nisation und warnt die Amerikaner seit langem, die an die Kurden gelieferte­n Waffen könnten eines Tages gegen den Nato-Partner Türkei eingesetzt werden.

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[ AFP ] Ein Flügel der abgeschoss­enen Su-25 Frogfoot.

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