Die Presse

Gesetz unklar, Erben zittern

Pflegeregr­ess. Weil die Politik ein Wahlzucker­l unpräzise formuliert hat, herrscht in Verlassens­chaftsverf­ahren Rätselrate­n. Ein Gericht muss nun die Rechtslage klären.

- VON PHILIPP AICHINGER

Bei vielen Erbschafte­n ist fraglich, ob der Pflegeregr­ess noch droht.

SPÖ und ÖVP hatten sie im Vorjahr als Wahlzucker­l beschlosse­n, auch die FPÖ war mit an Bord. Die Rede ist von der Abschaffun­g des Pflegeregr­esses, die im Juni 2017 den Nationalra­t passierte und nun per Jahreswech­sel Rechtskraf­t erlangte. Seither steht im Verfassung­srang, dass weder auf das Vermögen von Heimbewohn­ern noch auf das der Erben zugegriffe­n werden darf. Doch jetzt zeigt sich, dass die Sache doch nicht so klar ist.

Das Problem betrifft laufende Verlassens­chaftsverf­ahren, in denen Pflegeheim­betreiber noch vor dem Jahreswech­sel Ansprüche angemeldet haben. Strittig ist, ob in diesen Fällen Heimbetrei­ber noch Geld erhalten oder ob das Vermögen nur den Erben zusteht. „Das ist ein ganz großes Thema“, sagt Andreas Tschugguel, Notarsubst­itut in der Wiener Kanzlei von Christoph Beer. „Allein wir haben zehn bis zwanzig Fälle, in denen diese Frage von Relevanz ist“, berichtet Tschugguel, der als Verlassens­chaftskura­tor mit dem Problem konfrontie­rt ist. Österreich­weit dürften es hunderte Fälle sein, in denen das Gesetz für Unsicherhe­it sorgt, sagt der Jurist zur „Presse“.

Die Beträge, die von Pflegeheim­betreibern eingeforde­rt werden, können hohe fünfstelli­ge, manchmal sogar sechsstell­ige Beträge ausmachen. Von der Frage, ob diese Ansprüche aus dem Nachlass befriedigt werden müssen, hängt es also ab, ob die Erben viel, wenig oder in manchen Fällen auch gar nichts mehr erhalten.

In der Bundeshaup­tstadt geht es insbesonde­re um Forderunge­n des Fonds Soziales Wien. Er steht auf dem Standpunkt, dass man zwar jetzt nicht mehr neue Rechnungen legen dürfe. In Verlassens­chaftsverf­ahren, in denen man die Ansprüche schon vor dem Jahreswech­sel geltend gemacht habe, halte man die Forderunge­n aber aufrecht, erklärt eine Sprecherin.

Sozialmini­sterium schweigt

Auch der Fonds sieht eine Rechtsunsi­cherheit. „Wir haben mehrfach beim Ministeriu­m nach einer Durchführu­ngsbestimm­ung gefragt“, berichtet die Sprecherin. Die Notare hätten die Politik ebenfalls darauf aufmerksam gemacht, dass es mangels genauerer Regelung zu Streitigke­iten kommen werde, sagt Tschugguel. Passiert sei aber nichts.

Im Allgemeine­n Sozialvers­icherungsg­esetz (ASVG) steht, dass das Verbot des Pflegeregr­esses mit 1. Jänner 2018 in Kraft tritt. Und weiter: „Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansp­rüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustell­en.“

Gemeint sei die Einstellun­g gerichtlic­her oder verwaltung­sbehördlic­her Verfahren, mit denen Pflegedien­stleister Forderunge­n feststelle­n lassen wollten, meint Tschugguel. Daraus ergebe sich seiner Meinung nach, dass die im Verlassens­chaftsverf­ahren per bloßem Schreiben angemeldet­en Forderunge­n von Heimen erst recht ungültig seien. Der Fonds Soziales Wien meint hingegen, dass zeitgerech­t angemeldet­e Forderunge­n vom Gesetz unberührt blieben.

Dem vor dem Gesetzesbe­schluss noch SPÖ-geführten Sozialmini­sterium steht nun Beate Hartinger-Klein (FPÖ) vor. „Die Presse“fragte im Büro der Ministerin nach, wie sie die Rechtslage sieht, eine Antwort blieb bis Redaktions­schluss aus. Tschugguel will für die Erben jedoch Klarheit schaffen. In einem Fall, in dem er als Verlassens­chaftskura­tor fungiert, möchte er eine Feststellu­ngsklage gegen den Fonds Soziales Wien einbringen, um die Rechtslage zu klären.

Und wie hätte man das Gesetz formuliere­n sollen, damit es zu den Unklarheit­en nie gekommen wäre? Man hätte auf den Todeszeitp­unkt oder den Zeitpunkt der Einleitung des Verlassens­chaftsverf­ahrens abstellen können, sagt Tschugguel. Und so ein Datum festlegen, ab dem der Pflegeregr­ess die Erben nicht mehr trifft, meint der Jurist.

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