Gesetz unklar, Erben zittern
Pflegeregress. Weil die Politik ein Wahlzuckerl unpräzise formuliert hat, herrscht in Verlassenschaftsverfahren Rätselraten. Ein Gericht muss nun die Rechtslage klären.
Bei vielen Erbschaften ist fraglich, ob der Pflegeregress noch droht.
SPÖ und ÖVP hatten sie im Vorjahr als Wahlzuckerl beschlossen, auch die FPÖ war mit an Bord. Die Rede ist von der Abschaffung des Pflegeregresses, die im Juni 2017 den Nationalrat passierte und nun per Jahreswechsel Rechtskraft erlangte. Seither steht im Verfassungsrang, dass weder auf das Vermögen von Heimbewohnern noch auf das der Erben zugegriffen werden darf. Doch jetzt zeigt sich, dass die Sache doch nicht so klar ist.
Das Problem betrifft laufende Verlassenschaftsverfahren, in denen Pflegeheimbetreiber noch vor dem Jahreswechsel Ansprüche angemeldet haben. Strittig ist, ob in diesen Fällen Heimbetreiber noch Geld erhalten oder ob das Vermögen nur den Erben zusteht. „Das ist ein ganz großes Thema“, sagt Andreas Tschugguel, Notarsubstitut in der Wiener Kanzlei von Christoph Beer. „Allein wir haben zehn bis zwanzig Fälle, in denen diese Frage von Relevanz ist“, berichtet Tschugguel, der als Verlassenschaftskurator mit dem Problem konfrontiert ist. Österreichweit dürften es hunderte Fälle sein, in denen das Gesetz für Unsicherheit sorgt, sagt der Jurist zur „Presse“.
Die Beträge, die von Pflegeheimbetreibern eingefordert werden, können hohe fünfstellige, manchmal sogar sechsstellige Beträge ausmachen. Von der Frage, ob diese Ansprüche aus dem Nachlass befriedigt werden müssen, hängt es also ab, ob die Erben viel, wenig oder in manchen Fällen auch gar nichts mehr erhalten.
In der Bundeshauptstadt geht es insbesondere um Forderungen des Fonds Soziales Wien. Er steht auf dem Standpunkt, dass man zwar jetzt nicht mehr neue Rechnungen legen dürfe. In Verlassenschaftsverfahren, in denen man die Ansprüche schon vor dem Jahreswechsel geltend gemacht habe, halte man die Forderungen aber aufrecht, erklärt eine Sprecherin.
Sozialministerium schweigt
Auch der Fonds sieht eine Rechtsunsicherheit. „Wir haben mehrfach beim Ministerium nach einer Durchführungsbestimmung gefragt“, berichtet die Sprecherin. Die Notare hätten die Politik ebenfalls darauf aufmerksam gemacht, dass es mangels genauerer Regelung zu Streitigkeiten kommen werde, sagt Tschugguel. Passiert sei aber nichts.
Im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) steht, dass das Verbot des Pflegeregresses mit 1. Jänner 2018 in Kraft tritt. Und weiter: „Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen.“
Gemeint sei die Einstellung gerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Verfahren, mit denen Pflegedienstleister Forderungen feststellen lassen wollten, meint Tschugguel. Daraus ergebe sich seiner Meinung nach, dass die im Verlassenschaftsverfahren per bloßem Schreiben angemeldeten Forderungen von Heimen erst recht ungültig seien. Der Fonds Soziales Wien meint hingegen, dass zeitgerecht angemeldete Forderungen vom Gesetz unberührt blieben.
Dem vor dem Gesetzesbeschluss noch SPÖ-geführten Sozialministerium steht nun Beate Hartinger-Klein (FPÖ) vor. „Die Presse“fragte im Büro der Ministerin nach, wie sie die Rechtslage sieht, eine Antwort blieb bis Redaktionsschluss aus. Tschugguel will für die Erben jedoch Klarheit schaffen. In einem Fall, in dem er als Verlassenschaftskurator fungiert, möchte er eine Feststellungsklage gegen den Fonds Soziales Wien einbringen, um die Rechtslage zu klären.
Und wie hätte man das Gesetz formulieren sollen, damit es zu den Unklarheiten nie gekommen wäre? Man hätte auf den Todeszeitpunkt oder den Zeitpunkt der Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens abstellen können, sagt Tschugguel. Und so ein Datum festlegen, ab dem der Pflegeregress die Erben nicht mehr trifft, meint der Jurist.