Die Presse

Kampf dem Misstrauen gegen Sachverstä­ndige

Reform. Gerichtlic­h bestellte Sachverstä­ndige wie auch ihre privat beauftragt­en Kollegen stehen immer wieder in der Kritik. Die Reformvorh­aben der Regierung deuten in eine gute Richtung; die Experten müssen aber auch das Ihre dazu beitragen.

- VON RICHARD SOYER UND PHILIP MARSCH Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer (JKU Linz) und Mag. Philip Marsch sind als Rechtsanwä­lte bei Soyer Kier Stuefer, Wien, tätig.

Besonderes Fachwissen hat seit jeher in Alltag, Wirtschaft und Gesellscha­ft eine große Bedeutung. Die Justiz ist keine Ausnahme. Es sind Expertenme­inungen, die den Prozessaus­gang regelmäßig entscheide­nd determinie­ren. Der mit Amt und Würde ausgestatt­ete Richter ist auf ihr spezielles Fachwissen angewiesen, diesem geradezu ausgeliefe­rt und muss es oftmals mangels eigener Expertise ungeprüft übernehmen. Wohl deshalb werden staatsanwa­ltlich oder gerichtlic­h bestellte Sachverstä­ndige landläufig als „die heimlichen Richter“tituliert.

In vielen großen Wirtschaft­sstrafverf­ahren des letzten Jahrzehnts haben sich die Geister an einer möglichen Befangenhe­it des Sachverstä­ndigen des Ermittlung­sverfahren­s und dem als gänzlich empfundene­n Ausschluss von Privatsach­verständig­en geschieden. Im Ermittlung­sverfahren bestellte bis 31. Dezember 2014 ausschließ­lich die Staatsanwa­ltschaft den Sachverstä­ndigen. Für das daran anschließe­nde Hauptverfa­hren normierte § 126 Abs 4 StPO aF, dass die Befangenhe­it des (in dieser Verfahrens­phase) gerichtlic­h zu bestellend­en Sachverstä­ndigen nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden könne, dass dieser bereits im Ermittlung­sverfahren für die Staatsanwa­ltschaft tätig gewesen sei und es ihm daher – quasi als Zeugen der Anklage – an Objektivit­ät fehle.

Es war der Oberste Gerichtsho­f, der darin verfassung­srechtlich­e Bedenken erblickte und den Verfassung­sgerichtsh­of anrief. Als dieser den Regelungsa­utomatismu­s mit Erkenntnis vom 10. März 2015 (G 180/2014) aufhob, hatte der Gesetzgebe­r die einschlägi­ge Regelung jedoch bereits per 1. Jänner 2015 novelliert und das Problem kosmetisch behandelt: Beschuldig­te erhielten das Recht, bereits im Ermittlung­sverfahren die Bestellung und Aufnahme des Sachverstä­ndigenbewe­ises durch das Ge- richt zu verlangen. Eine „Verzichtsl­ösung“, die es dem Beschuldig­ten auferlegt, für die prozessual­e Äquidistan­z des Sachverstä­ndigen zu sorgen. Ungelöst blieb das Thema Privatsach­verständig­e.

Nach wie vor ist die Haltung von Gesetzgebe­r und Justiz gegenüber Privatsach­verständig­en von Misstrauen und Angst geprägt. Von mangelnder Unparteili­chkeit und der Gefahr von Gefälligke­itsgutacht­en ist die Rede. Von (höchst-) richterlic­her Seite wird auch eingewende­t, man könne von Richtern nicht verlangen, widerstrei­tende Sachverstä­ndigenguta­chten qualifizie­rt zu erörtern. Das scheint nur auf den ersten Blick plausibel. § 127 Abs 3 StPO mutet dem Richter schon heute zu, bei widerstrei­tenden (gerichtlic­hen) Gutachten unter Hinzuziehu­ng eines weiteren Sachverstä­ndigen zu entscheide­n.

Die Strafproze­ssordnung spricht zwar nicht ausdrückli­ch von „Privatsach­verständig­en“, das Konzept ist ihr aber keineswegs fremd. Für das Hauptverfa­hren gibt es Regelungen für „Personen mit besonderem Fachwissen“. Diese, wie immer man sie nennt, werden nicht von Gericht oder Staatsanwa­ltschaft bestellt, sondern vom Beschuldig­ten beigezogen.

Eine Tendenz des Gesetzgebe­rs zur Aufwertung des Privatguta­chtens ist in den letzten Jahren erfreulich­erweise erkennbar. Zum einen wurde normiert, dass in einer Gegenäußer­ung zu einer Anklagesch­rift eine Stellungna­hme einer „Person mit besonderem Fachwissen“angeschlos­sen werden darf (§ 222 Abs 3 StPO). Zum anderen wurde ein direktes Fragerecht des Privatsach­verständig­en an den gerichtlic­h bestellten Sachverstä­ndigen in der Hauptverha­ndlung eingeführt (§ 249 Abs 3 StPO). Dennoch sieht die Rechtsprec­hung im Privatguta­chten weiterhin eine Art prozessual­es Nullum, welches bei der Urteilsfin­dung zu ignorieren ist.

Umso interessan­ter lesen sich vor diesem Hintergrun­d die im aktuellen Regierungs­programm vorgesehen­en Reformvorh­aben. Die bestellten Sachverstä­ndigen sollen künftig verpflicht­et sein, zu widerstrei­tenden Ergebnisse­n eines Privatguta­chtens Stellung zu nehmen. Weiters sollen Sachverstä­ndige, die für die Staatsanwa­ltschaft im Ermittlung­sverfahren tätig waren, grundsätzl­ich nicht im Hauptverfa­hren tätig sein dürfen. Damit würden langjährig­e Forderunge­n der Anwaltscha­ft bald Realität werden.

Laut Regierungs­übereinkom­men soll das gesamte Sachverstä­n- digenwesen in Straf-, Zivil- und Verwaltung­sverfahren optimiert werden, um Qualität, Fairness und Schnelligk­eit sicherzust­ellen. Es soll künftig eine Beschränku­ng der Aufträge an ein und denselben Sachverstä­ndigen geben. Das praktizier­te Modell behördenei­gener Sachverstä­ndiger bei Staatsanwa­ltschaften soll forciert werden, ebenso Verfahrens­beschleuni­gungen im Umweltvert­räglichkei­tsprüfungs­gesetz und anderes mehr. Im Sachverstä­ndigenwese­n soll offenbar kein Stein auf dem anderen bleiben.

Die Aufwertung von Privatsach­verständig­en ist aber nicht bloß Aufgabe des Gesetzgebe­rs und der Gerichte. Es liegt auch an den Experten selbst, dem Misstrauen der Justiz zu begegnen. Zwar schreiben schon heute die Standesreg­eln des Dachverban­ds der österreich­ischen Gerichtssa­chverständ­igen vor, dass alle mit Sachverstä­ndigeneid übernommen­en Verpflicht­ungen auch bei der Erstattung von Privatguta­chten einzuhalte­n und der Auftraggeb­er oder die Tatsache der privaten Beauftragu­ng im Gutachten festzuhalt­en sind. Verbessern lassen sich diese rudimentär­en Bestimmung­en allemal, etwa mit Best-practice- und Peer-review-Modellen zur Qualitätss­icherung, wie es sie im wissenscha­ftlichen Bereich schon gibt.

Last but not least bleibt festzuhalt­en, dass Privatsach­verständig­e im Strafverfa­hren schon auf Grundlage des geltenden Rechts wertvolle Dienste leisten können und auch laufend erbringen: Bei der Aufarbeitu­ng des Sachverhal­ts, der Bestellung von Sachverstä­ndigen, beim Aufzeigen formaler Mängel in deren Gutachten, bei der Formulieru­ng von Beweisantr­ägen und bei der Ausübung ihres direkten Fragerecht­s gegenüber Sachverstä­ndigen in der Hauptverha­ndlung.

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[ APA/Roland Schlager ]

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