Kampf dem Misstrauen gegen Sachverständige
Reform. Gerichtlich bestellte Sachverständige wie auch ihre privat beauftragten Kollegen stehen immer wieder in der Kritik. Die Reformvorhaben der Regierung deuten in eine gute Richtung; die Experten müssen aber auch das Ihre dazu beitragen.
Besonderes Fachwissen hat seit jeher in Alltag, Wirtschaft und Gesellschaft eine große Bedeutung. Die Justiz ist keine Ausnahme. Es sind Expertenmeinungen, die den Prozessausgang regelmäßig entscheidend determinieren. Der mit Amt und Würde ausgestattete Richter ist auf ihr spezielles Fachwissen angewiesen, diesem geradezu ausgeliefert und muss es oftmals mangels eigener Expertise ungeprüft übernehmen. Wohl deshalb werden staatsanwaltlich oder gerichtlich bestellte Sachverständige landläufig als „die heimlichen Richter“tituliert.
In vielen großen Wirtschaftsstrafverfahren des letzten Jahrzehnts haben sich die Geister an einer möglichen Befangenheit des Sachverständigen des Ermittlungsverfahrens und dem als gänzlich empfundenen Ausschluss von Privatsachverständigen geschieden. Im Ermittlungsverfahren bestellte bis 31. Dezember 2014 ausschließlich die Staatsanwaltschaft den Sachverständigen. Für das daran anschließende Hauptverfahren normierte § 126 Abs 4 StPO aF, dass die Befangenheit des (in dieser Verfahrensphase) gerichtlich zu bestellenden Sachverständigen nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden könne, dass dieser bereits im Ermittlungsverfahren für die Staatsanwaltschaft tätig gewesen sei und es ihm daher – quasi als Zeugen der Anklage – an Objektivität fehle.
Es war der Oberste Gerichtshof, der darin verfassungsrechtliche Bedenken erblickte und den Verfassungsgerichtshof anrief. Als dieser den Regelungsautomatismus mit Erkenntnis vom 10. März 2015 (G 180/2014) aufhob, hatte der Gesetzgeber die einschlägige Regelung jedoch bereits per 1. Jänner 2015 novelliert und das Problem kosmetisch behandelt: Beschuldigte erhielten das Recht, bereits im Ermittlungsverfahren die Bestellung und Aufnahme des Sachverständigenbeweises durch das Ge- richt zu verlangen. Eine „Verzichtslösung“, die es dem Beschuldigten auferlegt, für die prozessuale Äquidistanz des Sachverständigen zu sorgen. Ungelöst blieb das Thema Privatsachverständige.
Nach wie vor ist die Haltung von Gesetzgeber und Justiz gegenüber Privatsachverständigen von Misstrauen und Angst geprägt. Von mangelnder Unparteilichkeit und der Gefahr von Gefälligkeitsgutachten ist die Rede. Von (höchst-) richterlicher Seite wird auch eingewendet, man könne von Richtern nicht verlangen, widerstreitende Sachverständigengutachten qualifiziert zu erörtern. Das scheint nur auf den ersten Blick plausibel. § 127 Abs 3 StPO mutet dem Richter schon heute zu, bei widerstreitenden (gerichtlichen) Gutachten unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen zu entscheiden.
Die Strafprozessordnung spricht zwar nicht ausdrücklich von „Privatsachverständigen“, das Konzept ist ihr aber keineswegs fremd. Für das Hauptverfahren gibt es Regelungen für „Personen mit besonderem Fachwissen“. Diese, wie immer man sie nennt, werden nicht von Gericht oder Staatsanwaltschaft bestellt, sondern vom Beschuldigten beigezogen.
Eine Tendenz des Gesetzgebers zur Aufwertung des Privatgutachtens ist in den letzten Jahren erfreulicherweise erkennbar. Zum einen wurde normiert, dass in einer Gegenäußerung zu einer Anklageschrift eine Stellungnahme einer „Person mit besonderem Fachwissen“angeschlossen werden darf (§ 222 Abs 3 StPO). Zum anderen wurde ein direktes Fragerecht des Privatsachverständigen an den gerichtlich bestellten Sachverständigen in der Hauptverhandlung eingeführt (§ 249 Abs 3 StPO). Dennoch sieht die Rechtsprechung im Privatgutachten weiterhin eine Art prozessuales Nullum, welches bei der Urteilsfindung zu ignorieren ist.
Umso interessanter lesen sich vor diesem Hintergrund die im aktuellen Regierungsprogramm vorgesehenen Reformvorhaben. Die bestellten Sachverständigen sollen künftig verpflichtet sein, zu widerstreitenden Ergebnissen eines Privatgutachtens Stellung zu nehmen. Weiters sollen Sachverständige, die für die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren tätig waren, grundsätzlich nicht im Hauptverfahren tätig sein dürfen. Damit würden langjährige Forderungen der Anwaltschaft bald Realität werden.
Laut Regierungsübereinkommen soll das gesamte Sachverstän- digenwesen in Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren optimiert werden, um Qualität, Fairness und Schnelligkeit sicherzustellen. Es soll künftig eine Beschränkung der Aufträge an ein und denselben Sachverständigen geben. Das praktizierte Modell behördeneigener Sachverständiger bei Staatsanwaltschaften soll forciert werden, ebenso Verfahrensbeschleunigungen im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz und anderes mehr. Im Sachverständigenwesen soll offenbar kein Stein auf dem anderen bleiben.
Die Aufwertung von Privatsachverständigen ist aber nicht bloß Aufgabe des Gesetzgebers und der Gerichte. Es liegt auch an den Experten selbst, dem Misstrauen der Justiz zu begegnen. Zwar schreiben schon heute die Standesregeln des Dachverbands der österreichischen Gerichtssachverständigen vor, dass alle mit Sachverständigeneid übernommenen Verpflichtungen auch bei der Erstattung von Privatgutachten einzuhalten und der Auftraggeber oder die Tatsache der privaten Beauftragung im Gutachten festzuhalten sind. Verbessern lassen sich diese rudimentären Bestimmungen allemal, etwa mit Best-practice- und Peer-review-Modellen zur Qualitätssicherung, wie es sie im wissenschaftlichen Bereich schon gibt.
Last but not least bleibt festzuhalten, dass Privatsachverständige im Strafverfahren schon auf Grundlage des geltenden Rechts wertvolle Dienste leisten können und auch laufend erbringen: Bei der Aufarbeitung des Sachverhalts, der Bestellung von Sachverständigen, beim Aufzeigen formaler Mängel in deren Gutachten, bei der Formulierung von Beweisanträgen und bei der Ausübung ihres direkten Fragerechts gegenüber Sachverständigen in der Hauptverhandlung.