Heiße Debatte über Hartmann
Burgtheater. Nicht alle Ensemblemitglieder stehen hinter den öffentlichen Vorwürfen an den Ex-Direktor. Regina Fritsch etwa verteidigt sie: „Wie soll sich sonst etwas ändern?“
Am Burgtheater habe während der Intendanz von Matthias Hartmann (2009–2014) eine „Atmosphäre der Angst und der Verunsicherung“geherrscht. Das schreiben 60 Mitarbeiter des Burgtheaters – darunter Elisabeth Orth, Petra Morze,´ Nicholas Ofczarek, Regina Fritsch, Markus Meyer – in einem öffentlichen Brief an „Kunst- und Kulturschaffende, TheaterbesucherInnen und Kulturinteressierte“. Hartmann war nicht nur Direktor, sondern zugleich der meistinszenierende Regisseur am Haus. Das habe zu besonderen „Abhängigkeiten und Betriebshierarchien“geführt, mit denen er nicht verantwortungsvoll umgegangen sei, heißt es in dem Brief.
So habe Hartmann etwa einen dunkelhäutigen Mitarbeiter als „Tanzneger“bezeichnet und Kollegen der Technik als „Trotteln“und „Schwachmaten“; während einer Probe habe er „eine fast ausschließlich weibliche Besetzung“gefragt, „ob sie beim Oralsex das Sperma schlucken würde“. Auch seien vielen Mitarbeiterinnen „ungewollte Berührungen, wie ein Schlag auf den Hintern oder Umarmungen“widerfahren. Allerdings sei keiner der Vorfälle strafrechtlich relevant, man wolle Hartmanns Verhalten auch nicht mit den Vorwürfen vergleichen, die derzeit gegen Dieter Wedel und Harvey Weinstein erhoben werden. Dass sie sich so lang „weggeduckt“hätten, sei für die Unterzeichnenden selbst „erschreckend und beschämend“. Tatsächlich habe es der MeToo-Debatte bedurft, um sich aus der „Erstarrung und Vereinzelung“, die seit Hartmanns Intendanz geherrscht habe, zu befreien.
Hartmann bestreitet die genannten Vorfälle nicht, fühlt sich jedoch missverstanden. Teils seien die Beispiele „völlig verzerrt dargestellt“, teils seien die Aussprüche den Emotionen geschuldet. Nie habe er jemanden verletzen wollen. Man habe eben „ein neues Fass“aufgemacht, nachdem die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn bisher keine Ergebnisse gebracht hätten.
Diesen Vorwurf unterstrich Hartmanns Sprecher im Gespräch mit der „Presse“mit der Behauptung, der Anwalt der Burg, Bernhard Hainz, habe den Brief der BurgtheaterMitarbeiter geprüft und überarbeitet. Dieser Verdacht sei völlig aus der Luft gegriffen, sagte Hainz zur „Presse“: „Ich kenne diesen Brief nicht, und auch sonst hat ihn niemand in unserer Kanzlei je zu Gesichte bekommen.“
Indessen kritisieren einige Schauspieler, die den Brief nicht unterschrieben haben, diesen. „Ich verstehe nicht, weshalb man erst jetzt damit an die Öffentlichkeit geht“, sagt Burgschauspielerin Katharina Lorenz zur „Presse“: „Matthias Hartmann ist geknickt genug, er hat Familie und Kinder – das alles nun auf dem Rücken der MeToo-Debatte auszutragen wirkt auf mich wie eine kleine, späte Rache.“Freilich wolle niemand in einer Atmosphäre der Angst arbeiten, aber solche Probleme müsse man hausintern regeln: „Die Presse ist nicht das Sprachrohr der Schauspieler.“
Catrin Striebeck sieht das ähnlich: „Es ist nicht mutig, nach Jahren darüber zu reden. Wenn mir jemand einen Klaps auf den Po klatscht, habe ich selbst immer noch meine Stimme und notfalls meine Hand, um demjenigen eine Ohrfeige zu geben. Wenn mich etwas gestört hat, habe ich es immer gesagt und mich auch für andere eingesetzt. Haltung schadet in diesem Beruf nicht.“
Macht werde nicht nur am Theater missbräuchlich ausgeübt – und nicht nur von Männern, sagt Kammerschauspieler Peter Simonischek. Straftaten gehörten vors Gericht, aber er sei dagegen, Gerüchte zu schüren, die Existenzen ruinieren könnten. „Wenn sich Regisseure untragbar verhalten, ist Solidarität im Ensemble einzufordern und den Schwachen beizustehen. Aber was soll dabei herauskommen, wenn wir die Öffentlichkeit zu Hilfe rufen? Ein schrecklicher Gedanke, dass sich die Theaterbesucher nun aufgefordert fühlen, uns bei unseren unbewältigten Problemen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen!“
Der Haltung, dass man solche Vorfälle „intern regeln“müsse, kann Regina Fritsch – sie hat den Brief unterzeichnet – nichts abgewinnen: „Wie soll sich denn etwas ändern, wenn nichts an die Öffentlichkeit dringt und kein Diskurs darüber stattfindet, wie Menschen mit ihrer Machtposition umzugehen haben?“Für sie sei es eine Farce gewesen, einerseits als Schauspielerin auf der Bühne für Inhalte wie Gerechtigkeit und Fairness zu kämpfen, und gleichzeitig war es „in dem System, in dem ich lebe, dem Theater, ganz anders. Da haben wir in der Kunst eine besondere Verantwortung.“
Wieso wird diese erst jetzt wahrgenommen? „Manchmal bedarf es eines Anstoßes“, sagt Markus Meyer. „Jemand getraut sich, etwas öffentlich zu machen, und plötzlich sagen auch andere: ,Mir ist etwas Ähnliches passiert.‘“Dabei sei es niemandem darum gegangen, Hartmann an den Pranger zu stellen, denn das Thema sein ein größeres, überpersönliches. „Vielmehr wollten wir die Frage aufwerfen, ob in solchen Machtstrukturen mit Einzelnen wie mit Menschen oder irgendwelchen Stücken umgegangen wird. Es ist jedem klar, dass ein Direktor auch Unangenehmes sagen muss, aber es kommt dabei immer auf den Ton an.“
Martin Kusejˇ wird ab der Saison 2019 das Burgtheater nicht nur leiten, sondern – so wie Hartmann – dort auch Regie führen. Könnte man den Brief also auch als Botschaft der Mitarbeiter an ihn verstehen? Fritsch: „Mit diesem Brief richten wir Martin Kusejˇ weder etwas aus, noch wollen wir ihm ein Warnsignal senden. Es gibt ja viele Beispiele, bei denen diese Doppelfunktion gar kein Problem ist. Wir finden, dass nirgendwo miteinander herablassend und respektlos umgegangen werden darf. Auch wir haben mit unseren Studierenden nicht so umzugehen.“