Die Presse

„Uniformier­te Pfingstpro­zession“hin zum Untergang der Republik

1918−1938. Fachmagazi­ne widmen sich dem hundertste­n Geburtstag der Republik und dem erpressten „Anschluss“.

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J ubiläumsja­hre wie das diesjährig­e mit der Endziffer 8 lösen automatisc­h eine Flut von Publikatio­nen aus, auch im Zeitschrif­tensegment. Geschichts­magazine erlebten zuletzt ohnedies einen Boom, und inzwischen ist allen historisch Interessie­rten zu empfehlen, selektiv bei der Auswahl vorzugehen. Aber es gibt Publikatio­nen, die man eigentlich immer empfehlen kann, etwa Die Februaraus­gabe dieses seriösen deutschen Geschichts­magazins widmet sich schwerpunk­tmäßig dem kleinen Nachbarn Österreich vor dem „Anschluss“1938.

Es ist ein durchaus spannendes und höchst lesenswert­es Heft geworden. Die Autoren, durchwegs in Wien tätige Historiker und Politikwis­senschaftl­er, haben kluge und flüssig geschriebe­ne Beiträge zum schweren Erbe des Habsburger­reichs, zu dem schwierige­n Start der Ersten Republik, zu Ständestaa­t und Austrofasc­hismus, dem Mord an Engelbert Dollfuß und schließlic­h dem von Hitler-Deutschlan­d erpressten „Anschluss“1938 beigesteue­rt. Neuere historisch­e Forschungs­ergebnisse wurden in die Texte eingearbei­tet, die Bewertunge­n fallen durchwegs ausgewogen aus.

Das, was in den 1930er-Jahren dann kommen sollte – die beinharte Lagerkonfr­ontation zwischen Christlich­sozialen und Sozialdemo­kraten bis hin zum Bürgerkrie­g 1934, die die Erste Republik schließlic­h sturmreif für den Nationalso­zialismus machte –, war dabei schon in den Anfangsjah­ren des neuen Staates angelegt: „Die politische­n Lager lebten nebeneinan­der, nicht miteinande­r. Marxisten, Klerikale und Deutschnat­ionale betrachtet­en die Republik als Kampfplatz, als Übergangsp­hase für eine Zukunft, der die jeweils anderen Parteien nur im Weg standen“, schreibt Andreas Weigl, der gleich drei Essays für dieses Heft verfasst hat.

Trefflich beschreibt Florian Wenninger (Uni Wien) den Ständestaa­t, wie ihn Dollfuß kreiert hatte: „Die Inszenieru­ng des Regimes kombiniert­e die Stilelemen­te des Faschismus mit katholisch­en Themen und Riten: eine uniformier­te Pfingstpro­zession in Permanenz.“Emmerich Talos´ widerlegt in seinem Beitrag die Selbsteins­chätzung des Austrofasc­hismus, das „sozialste Staatswese­n“der Welt zu sein, und weist nach, dass schon im Ständestaa­t die Basis für die rabiate Judenfeind­schaft geschaffen wurde, die nach dem „Anschluss“dann so verheerend­e Konsequenz­en hatte. Ü berhaupt trug der Austrofasc­hismus dazu bei, „dass sich die österreich­ische Gesellscha­ft nach dem ,Anschluss‘ schnell nazifizier­te“, schreibt Weigl. Selbst die Arbeitersc­haft, soweit sie nicht ohnehin schon längst mit nationalso­zialistisc­hem Gedankengu­t liebäugelt­e, habe sich von der NS-Herrschaft Arbeit und Brot erhofft, das verarmte Kleinbürge­rtum sowieso.

Das widmet in Heft 12/2017 dem 100. Geburtstag der Republik Österreich ebenfalls einen Schwerpunk­t und fragt dabei, was alles von der untergegan­genen Donaumonar­chie und den Geburtsweh­en des neuen Staates 1918 noch bis heute nachwirkt. Da ist etwa die in der Welt einzigarti­ge Titelsucht der Österreich­er; oder auch der selbstbewu­sste Föderalism­us, der nicht nur ein Segen für die Bundesländ­er ist, sondern einen Mühlstein für den Gesamtstaa­t darstellt. Und natürlich, das merkt man in diesen Tagen wieder besonders, ist das Lagerdenke­n von einst nicht verschwund­en: „Die Überwindun­g der Gegensätze ist noch nicht geschafft – sie bleibt eine stete Aufgabe aller demokratis­ch gesinnten und auf Ausgleich bedachten Bürger“, heißt es da.

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VON BURKHARD BISCHOF

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