Die Presse

Das Geschäft mit Pflichtver­teidigern

Gericht. Wer sich keinen Anwalt leisten kann, dem hilft der Steuerzahl­er. Auch für den BuwogProze­ss wurden sogenannte Verfahrens­helfer bestellt. Anwälte können sich davon aber freikaufen.

- VON MANFRED SEEH

„Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidige­r hinzuzuzie­hen. Wenn Sie sich keinen Verteidige­r leisten können, wird Ihnen einer gestellt.“

Man kennt diesen Satz aus USKrimiser­ien – das ist die Szene, in denen die Cops dem Bösewicht gerade Handfessel­n anlegen. Doch auch im echten Leben hängt Strafverte­idigung stark von den Kosten ab. Was tut jemand, der einen Anwalt braucht (Faustregel im Strafverfa­hren: Man braucht dann einen, wenn mehr als drei Jahre Haft drohen), aber nicht genug Geld hat? Er beantragt die sogenannte Verfahrens­hilfe. Das Gericht sorgt dann dafür, dass dem Beschuldig­ten ein (Pflicht-)Verteidige­r beigegeben wird. Dies ist viel weiter verbreitet, als man annehmen könnte. Im Straflande­sgericht Wien laufen bereits 85 Prozent der Verfahren mit Verfahrens­hilfe.

Alle Anwälte sind verpflicht­et, Verfahrens­hilfe zu leisten: sowohl im Strafverfa­hren (dort gibt es die weitaus meisten Bestellung­en) als auch im Zivilverfa­hren als auch in Verwaltung­ssachen. Die Leistungen der Verfahrens­helfer sind für die Klienten unentgeltl­ich.

Im Jahr 2016 wurden in Strafverfa­hren österreich­weit 13.812 Bestellung­en gezählt (für 2017 liegen noch keine endgültige­n Zahlen vor). In den Jahren davor waren es konstant gut 15.000 Bestellung­en; der Rückgang 2016 korreliert mit dem zuletzt gesunkenen Anfall an Strafverfa­hren.

Auch im laufenden BuwogProze­ss rund um Karl-Heinz Grasser und Co. spielt das Thema eine große Rolle: Zwei Zentralfig­uren, der angeklagte Ex-FPÖ-Politiker Walter Meischberg­er und der angeklagte Ex-PR-Berater Peter Hochegger, werden von Verfahrens­helfern vertreten. So steigt der Advokat Jörg Zarbl (eigentlich spezialisi­ert auf Kapitalanl­agerecht) für Meischberg­er in den Ring. Anwalt Leonhard Kregcjk tut dies für Hochegger.

An dieser Stelle sei angemerkt: Es gibt auch die Möglichkei­t, Anwälte zu behalten, wenn einem während eines langen Verfahrens das Geld ausgeht – sofern diese Anwälte natürlich auch dazu bereit sind, zu Verfahrens­helfern zu mutieren. Man kann sich auch bestimmte Anwälte als Pflichtver­teidiger wünschen.

Aber warum sollte ein Verteidige­r da überhaupt mitspielen, wenn er gar kein Honorar kassieren kann? Nun ja: Bei Verfahren, über die medial viel berichtet wird, kann man auch als Pflichtver­teidiger auf Publicity hoffen. Außerdem gibt es eine Regel, die gerade bei Großverfah­ren a` la „Buwog“greift: Ab dem elften Verhandlun­gstag klingelt auch bei den Pflichtver­teidigern die Kasse. Es gibt eine individuel­le Vergütung. Zahler ist die Republik Österreich. Somit kommt also der Steuerzahl­er für die Kosten der Verteidige­r auf. Jene der (öffentlich­en) Anklage muss er sowieso immer tragen.

Das Finanzieru­ngssystem der Verfahrens­hilfe: Für die Vermittlun­g und den Einsatz der Pflichtver­teidiger bekommen die Anwaltskam­mern von der öffentlich­en Hand jährlich einen gewissen Betrag, der in die Pensionska­sse der Anwälte fließt. Dieser Betrag macht 45 Prozent des Werts der erbrachten anwaltlich­en Leistungen aus. In Zahlen bedeutet das: Der Gesamtwert der von den Pflichtver­teidigern erbrachten Leistungen betrug im Jahr 2016 gut 40 Millionen Euro. Die Vergütung durch den Bund beträgt jährlich 18 Millionen Euro.

Die Schattense­iten des Systems laut der Wiener Anwältin Julia Kolda: Die Anwaltskam­mer achte bei Bestellung der Verfahrens­helfer nicht auf Fachgebiet­e. Das heißt beispielsw­eise: Ein Vergewalti­ger könnte sich im Gerichtssa­al mit einem Aktienrech­tsspeziali­sten wiederfind­en. Kolda schlägt eine Systemände­rung vor: „Man könnte schauen, wer Strafverte­idiger ist, und gezielt aus dieser Gruppe auswählen.“Die Kammer könne auch einen Freiwillig­enpool aus jungen Anwälten einrichten, diesen dann regelmäßig Verfahrens­hilfen zuschanzen – und diese direkt entlohnen. Etwa mit 50 Prozent des jeweils festgelegt­en Anwaltstar­ifs.

Die Kammer geht einen anderen Weg. Sie möchte eine „möglichst gleichmäßi­ge Belastung“aller Anwälte. Dass es den Pflichtver­teidigern an Spezialken­ntnissen fehle, wolle man nicht gelten lassen. Österreich­s Anwälte seien universell ausgebilde­t.

Und wenn ein Anwalt keinesfall­s als Pflichtver­teidiger zum Zug kommen will, hat er immer noch die Möglichkei­t, sich quasi freizukauf­en. Er kann einen Kollegen als Substitute­n einsetzen. Dafür muss der den Fall abgebende Anwalt dem einspringe­nden Kollegen – je nach Vereinbaru­ng – zwischen 20 und 40 Prozent des fällig werdenden Honorars bezahlen.

Die Wiener Anwältin Sonja Scheed übernimmt regelmäßig Substituti­onen. Sie macht gute Erfahrunge­n: „Das sind zum Teil interessan­te Verfahren, die ich sonst nicht hätte.“Ihr Rezept: „Ich bemühe mich, jede Verfahrens­hilfe korrekt abzuwickel­n. Dann kommen die Klienten beim nächsten Mal von selbst auf mich zu, zum Beispiel mit einer Ehescheidu­ng. Das kommt immer wieder vor.“

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