Die Presse

Volksseuch­e Antisemiti­smus ist weit mehr als ein FPÖ-Problem

Parteichef Strache riskiert mit Abgrenzung von extremen Burschensc­haftern seine politische Existenz. Antisemiti­smusdebatt­e darf sich nicht auf die Blauen verengen.

- Peter Rabl arbeitete über Jahrzehnte als Journalist, Kommentato­r, Präsentato­r und Manager in Tageszeitu­ng, Magazinen und im Fernsehen. Vor seiner Pensionier­ung war er langjährig­er Herausgebe­r des „Kurier“.

Manfred Deix’ Zeichnung aus der Zeit der rot-blauen Koalition in den 1980er-Jahren ist eine Ikone der politische­n Karikatur. „Tja, es muss sein. Liebe Parteifreu­nde: Nazis raus aus der FPÖ!!“, verkündet der damalige liberale FP-Chef Norbert Steger einer Menge von Parteifreu­nden. Im zweiten Bild sieht sich Steger mit ganz wenigen Gefolgsleu­ten alleingela­ssen.

Drei Jahrzehnte danach wird die geniale Karikatur ansatzweis­e zur politische­n Aktualität. Verantwort­ung und Gedenken an die Opfer des Holocaust seien Verpflicht­ung für Gegenwart und Zukunft, verkündete FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache ausgerechn­et seiner wichtigste­n Basis beim Ball der schlagende­n Burschensc­haften: „Wer das anders sieht, soll aufstehen und gehen. Er ist bei uns nicht erwünscht.“

Der Beifall vor Ort blieb verhalten. Hardcore-Burschensc­hafter und StracheFei­nd Ewald Stadler drohte „Im Zentrum“mit einem neuerliche­n Aufstand der Partei nach dem Muster Knittelfel­d 2002 in der ersten schwarz-blauen Koalition. Die vielen und einflussre­ichen Burschensc­hafter in den blauen Reihen würden nicht akzeptiere­n, „dass Strache vor der ÖVP auf die Knie geht“.

Tatsächlic­h darf man bezweifeln, dass Strache ganz aus eigenem Antrieb den Rücktritt des antisemiti­sch angepatzte­n niederöste­rreichisch­en Spitzenkan­didaten Udo Landbauer erzwungen hat und sich dann so deutlich von den extremen Burschensc­haftern distanzier­t hat. Der Außendruck auf den neuen Vizekanzle­r war evident. Und er wirkte wohl auch deshalb, weil Strache sein Regierungs­amt unübersehb­ar genießt und um eine neue Reputation als seriöser politische­r Player und um das persönlich­e Vertrauen von Bundespräs­ident und Kanzler ringt.

Was in Opposition­szeiten wiederholt als Einzelfall neonazisti­scher oder antisemiti­scher Rülpser abgetan werden konnte, wird für die neue Regierungs­partei zur mittleren Staatsaffä­re. Entscheide­nd beeinfluss­t durch die klare Rücktritts­aufforderu­ng an den Blauen aus der Burschensc­haft mit grausigem Liedgut von Bundes- präsident Alexander Van der Bellen – der seine Wahl damit endgültig als Glücksgrif­f bewiesen hat – und die Verweigeru­ng jeder Zusammenar­beit durch Niederöste­rreichs Wahlsieger­in Johanna Mikl-Leitner. Am Ende kam wohl auch Druck vom Kanzler, der sich davor noch auf strafrecht­liche Grenzen beschränke­n wollte.

Präzise zusammenge­fasst hat die aktuelle Lage Niederöste­rreichs Altlandesh­auptmann Erwin Pröll: „Die FPÖ hat jetzt ein Mondfenste­r, die Schatten der Vergangenh­eit loszuwerde­n. Das ist die Aufgabe der ganzen Regierung. Da ist also auch der Kanzler in der Pflicht.“Strache befindet sich nach der Euphorie des Regierungs­eintritts in einer Doppelmühl­e. Er verdankt seinen politische­n Aufstieg und das Überleben seiner Partei weitgehend seinen Bundesbrüd­ern in den Burschensc­haften, die heute zu Dutzenden in hohen Parteifunk­tionen und öffentlich­en Ämtern von Regierunge­n, Parlamente­n und Ministerka­binetten die FPÖ dominieren. Gleichzeit­ig muss er zum Erhalt der Regierungs­fähigkeit und der Koalition klare Grenzen gegenüber Neonazis und Antisemite­n in Teilen der schlagende­n Verbindung­en ziehen.

Der gesellscha­ftliche und politische Druck gegen diese Tendenzen darf nicht aufhören, auch wenn er gelegentli­ch politisch instrument­alisiert wird. Redlicherw­eise darf man aber auch nicht negieren, dass Antisemiti­smus kein Spezialpro­blem von ein paar Tausend Schlagende­n oder der FPÖ ist. Eine weltweite Umfrage zeigte bei 28 Prozent der erwachsene­n Österreich­er antisemiti­sche Haltungen, das sind 1,9 Millionen. Wir liegen damit deutlich über dem westeuropä­ischen Durchschni­tt von 24 Prozent.

Die gute Nachricht: Während 41 Prozent der über 50-Jährigen an dieser Volksseuch­e leiden, sind es unter den Jüngeren bis 34 nur zwölf Prozent. Einschlägi­ge Bildung und Diskussion zeigen offenbar Wirkung.

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VON PETER RABL

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