EU-Anwärter missbrauchen Vorgaben
Serbien und Montenegro. Das Interesse an Rechtsstaat und Medienfreiheit ist gering.
Mit dem Zuckerbrot hält man schwächelnde Problemschüler meist besser bei Laune als mit gestrengen Peitschenhieben. Bereits 2003 hatte die EU den darbenden Balkanbrüdern die Aufnahme in Europas Wohlstandsbündnis gelobt – dem bisher nur der 2014 realisierte Beitritt Kroatiens folgte. Spät wartet Brüssel nun zumindest für zwei der sechs EU-Anwärter mit einem konkreten Zeitplan auf. Serbien und Montenegro sollen bei „beschleunigten Reformtempo“bis 2025 mit einem EU-Beitritt rechnen können, so ein am Dienstag vorgelegtes Strategiepapier („Die Presse“berichtete).
Serbien hat zwar bereits zwölf und Montenegro gar 30 Verhandlungskapitel eröffnet. Doch das Beispiel der beiden aussichtsreichsten EU-Anwärter zeigt, wie gering das Interesse der Machthaber im EU-Wartesaal an Rechtsstaatlichkeit, freien Medien und unabhängigen Institutionen ist: Statt die Kontrolle zu lockern, werden die EU-Reformvorgaben für verstärkten Zugriff der Politik auf Justiz und Medien missbraucht.
In Serbien hat die nationalpopulistische Regierung den Entwurf einer Verfassungsänderung vorgelegt, die die von der EU geforderte Unabhängigkeit der Justiz stärken soll – aber nach Ansicht der Berufsverbände schwächt. Künftig soll die Hälfte der Mitglieder der Gremien, die über die Ernennung und Ablösung von Richtern und Staatsanwälten entscheiden, vom Parlament ernannt werden – unter ihnen der jeweilige Vorsitzende, dessen „goldene“Stimme bei einem Patt ausschlaggebend ist.
Auf den Rückzug des Staates hatte die EU auch bei Serbiens Medien gedrängt. Doch der Blick hinter die Reformfassade der 2014 verabschiedeten Mediengesetze ergibt ein eher ernüchterndes Bild. Trotz der bis 2015 angekündigten Privatisierung aller staatlichen Medien hat der Staat Beteiligung und Einfluss auf die wichtigsten von ihnen nicht aufgegeben. Fatale Folgen für die Medienpluralität sollte jedoch vor allem die Privatisierung mehrerer Dutzend lokaler Medien haben. Entweder wurden sie von regierungsnahen Unternehmern übernommen oder eingestellt. Die wenigen unabhängigen Medien in der Provinz sehen sich verstärkten Nachstellungen der Steuerbehörden ausgesetzt.
Auch die gewitzten Würdenträger in Montenegro haben einen auf EU-Wunsch installierten Gärtner zum Rammbock für die eigenen Interessen gemacht. Ausgerechnet mit Hilfe der Anti-Korruptionsagentur (ASK) hat das Parlament im Dezember zwei lästige Mitglieder im Aufsichtsrat der öffentlichrechtlichen RTCG wegen vermeintlicher Interessenkonflikte ihres Amts entheben lassen. Aus demselben Grund hat die ASK auch gegen den Journalisten Tufik Softic´ Ermittlungen eingeleitet, nachdem dieser den Staat wegen ausbleibender Ermittlungen in Sachen eines an ihm begangenen Mordversuchs verklagt hatte. Eine „Rache des Staats“vermutet der Journalistenverband DPNCG: „Anstatt nach den Tätern zu fahnden nutzt der Staat die Agentur dazu, Journalisten zu attackieren.“(ros)