Die Presse

Urteile: „Facebook spiegelt Stimmung wider“

Interview. Höhere Strafen könnten Triebtäter abhalten, meint Karoline Edtstadler. Das „natürliche Rechtsempf­inden“werde durch milde Urteile verletzt. Dies würden Internetpo­stings oder auch Gespräche mit der Bevölkerun­g am Land zeigen.

- VON PHILIPP AICHINGER

Die Presse: Frau Staatssekr­etärin, darf man Sie noch so bezeichnen oder wäre Frau Justizmini­sterin bereits der bessere Ausdruck? Karoline Edtstadler: Es ist selbstvers­tändlich, dass ich Staatssekr­etärin im Bundesmini­sterium für Inneres bin. Sie spielen auf die Einsetzung als Leiterin der Task Force zur Strafrecht­sreform an. Dass ich das bin, erklärt sich aus meiner berufliche­n Laufbahn. Ich war Strafricht­erin, Legistin im Justizmini­sterium und im Kabinett von Justizmini­ster Brandstett­er.

Aber kommt Ihnen das nicht merkwürdig vor, wenn eine Staatssekr­etärin im Innenminis­terium nun die Aufgaben des Justizmini­sters übernimmt? Ganz im Gegenteil. Ich glaube, es ist wichtig, dass man aus diesem traditione­llen Denkschema hinausgeht und in der Bundesregi­erung denjenigen mit politische­n Aufgaben beauftragt, der die notwendige Expertise dafür mit sich bringt. Und im Strafrecht wird wohl keiner abstreiten, dass ich diese habe.

Sie haben in der ZiB2 am Montag erklärt, sie würden wegen zu geringer Strafen den sozialen Frieden gefährdet sehen, das würden Ihnen Internetpo­stings zeigen. Wie oft lesen Sie Postings? In letzter Zeit vermeide ich es zunehmend, weil die Internetpo­stings nicht immer nur in eine nette Richtung gehen. Es gibt aber auch viele Stimmen, die gerade für mein Projekt positiv sind. Das Internet und Facebook spiegeln schon die Stimmung in der Gesellscha­ft wider. Und die Justiz funktionie­rt am

(36) ist seit Dezember Staatssekr­etärin im Innenminis­terium. Die Juristin und frühere Richterin arbeitete zuletzt als Mitarbeite­rin am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Politische Erfahrung sammelte die Salzburger­in bereits von 2004 bis 2006 im Gemeindera­t von Henndorf am Wallersee. besten, wenn die Urteile auf große Akzeptanz in der Bevölkerun­g stoßen. Und wenn das nicht mehr so ist, haben wir ein Problem.

Ein Urteil, über das sich nachher niemand in Internetpo­stings beschwert, wird aber schwer zu fällen sein. Ich habe das als Richterin oft erlebt, dass auch die Angeklagte­n nach dem Prozess zu mir gekommen sind und gesagt haben: „Danke für die faire Behandlung und Danke für das Urteil.“Das zeigt für mich, dass ich immer fair war, aber schon eine strenge Richterin. Und es ist ein Unterschie­d, ob wirklich jeder vollends zufrieden ist oder ob die Meinung hochgeht und es heißt: „Das kann es jetzt nicht gewesen sein, dass man mit dieser Strafe das Auslangen findet!“

Sprechen Richter momentan zu milde Urteile? Es sind immer Einzelfall­entscheidu­ngen, und ich würde sie nie von außen kommentier­en. Aber es gibt auch eine Meinung in der Bevölkerun­g und eine Stimmung, die bekommt man schon mit.

Aber gerade die Regierung hat zuletzt einzelne Urteile erwähnt, in denen zu geringe Strafen verhängt worden sein sollen. Einzelne Urteile, wo ganz deutlich war, dass ein großer Teil der Bevölkerun­g das Urteil nicht nachvollzi­ehen kann. Gerade im Vergleich zu Strafen bei Vermögensd­elikten, die oft viel härter ausfallen.

Und das ist jetzt der Grund, das zuletzt 2016 verschärft­e Gesetz wieder zu ändern? Es ist jetzt die Zeit, dass wir uns anschauen, wie hat die Reform 2016 gewirkt. Und was muss man noch ändern, damit es zu Urteilen kommt, die auch nachvollzi­ehbar sind. Da gibt es nicht nur die Möglichkei­t, Strafrahme­n zu erhöhen, sondern auch neue Untergrenz­en also Mindeststr­afen oder neue Erschwerni­sgründe einzuführe­n. Man muss sich noch einmal anschauen, warum man nicht auf Strafen kommt, die auf breite Akzeptanz stoßen. Wie testet man ob, ob ein Urteil auf breite Akzeptanz der Bevölkerun­g stößt? Durch das Lesen von Postings? Nicht nur. Es hat ja jeder auch ein natürliche­s Rechtsempf­inden.

Sollte das entscheide­nde Rechtsempf­inden nicht der Richter haben, der das Urteil spricht? Ja, der Richter hat hoffentlic­h auch ein natürliche­s Rechtsempf­inden. Aber wenn ich mehr Erschwerni­sgründe im Gesetz aufzähle, ist die Wahrschein­lichkeit, dass der Richter diese heranzieht, auch höher.

Nun meinen Richter, Anwälte und Opferhilfs­verbände, dass es keine neue Strafrecht­sreform braucht. Vertrauen Sie Internetpo­stings mehr als Experten? Internetpo­stings sind ja nicht das einzige. Ich spreche auch mit Menschen und sehe etwa bei Veranstalt­ungen am Land, dass immer wieder Erklärungs­bedarf herrscht. Und dass die Frage kommt: Wie kann denn das sein, wenn in der Zeitung steht: „Einbrecher erhält sieben Jahre Haft und Sexualtäte­r bekommt 18 Monate und davon sechs Monate unbedingt“. Ich habe dafür nicht immer eine Erklärung gehabt.

Lässt sich ein Triebtäter von einer Tat abhalten, wenn er eine höhere Strafe fürchten muss? Ich gehe fest davon aus.

Woher wissen Sie, dass die vergangene Strafrecht­sreform nicht genug geändert hat? Die Urteile nach der neuen Rechtslage kommen ja erst jetzt langsam. Ergebnis der Regierungs­verhandlun­gen war es, dass es Änderungen braucht. Ich kenne die einzelnen Urteile noch nicht, nehme aber die Stimmung in der Bevölkerun­g wahr.

Die Zahl der Sexualstra­ftaten ist insgesamt leicht gestiegen, in dem Bereich wurden aber neue Tatbeständ­e eingeführt. Die Zahl der Vergewalti­gungen hingegen ist ebenso gesunken wie die Zahl der Delikte gegen Leib und Leben. Spricht das dafür, das Strafrecht erneut zu verschärfe­n? Die Frage ist, warum gehen diese Delikte zurück? Hat das vielleicht doch damit zu tun, dass man die Strafrahme­n erhöht hat und man es so schafft, Menschen von Straftaten abzuhalten?

Das heißt, wenn Sie die Strafen nun weiter erhöhen, werden die Straftaten weiter zurückgehe­n? Dieser Frage wollen wir uns annehmen.

Sie sprechen immer wieder das natürliche Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g an. Würden Sie sich als Populistin bezeichnen? Ich bin das Gegenteil davon. Ich arbeite auf Basis von Fakten, Statistike­n und Gesetzen.

Und auf Basis des natürliche­n Rechtsempf­indens der Bevölkerun­g. Die Bevölkerun­g ist ja ein Spiegel. Und Politik hat auch die Aufgabe, Empfindung­en wahrzunehm­en.

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[ K. Roßboth]

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