Urteile: „Facebook spiegelt Stimmung wider“
Interview. Höhere Strafen könnten Triebtäter abhalten, meint Karoline Edtstadler. Das „natürliche Rechtsempfinden“werde durch milde Urteile verletzt. Dies würden Internetpostings oder auch Gespräche mit der Bevölkerung am Land zeigen.
Die Presse: Frau Staatssekretärin, darf man Sie noch so bezeichnen oder wäre Frau Justizministerin bereits der bessere Ausdruck? Karoline Edtstadler: Es ist selbstverständlich, dass ich Staatssekretärin im Bundesministerium für Inneres bin. Sie spielen auf die Einsetzung als Leiterin der Task Force zur Strafrechtsreform an. Dass ich das bin, erklärt sich aus meiner beruflichen Laufbahn. Ich war Strafrichterin, Legistin im Justizministerium und im Kabinett von Justizminister Brandstetter.
Aber kommt Ihnen das nicht merkwürdig vor, wenn eine Staatssekretärin im Innenministerium nun die Aufgaben des Justizministers übernimmt? Ganz im Gegenteil. Ich glaube, es ist wichtig, dass man aus diesem traditionellen Denkschema hinausgeht und in der Bundesregierung denjenigen mit politischen Aufgaben beauftragt, der die notwendige Expertise dafür mit sich bringt. Und im Strafrecht wird wohl keiner abstreiten, dass ich diese habe.
Sie haben in der ZiB2 am Montag erklärt, sie würden wegen zu geringer Strafen den sozialen Frieden gefährdet sehen, das würden Ihnen Internetpostings zeigen. Wie oft lesen Sie Postings? In letzter Zeit vermeide ich es zunehmend, weil die Internetpostings nicht immer nur in eine nette Richtung gehen. Es gibt aber auch viele Stimmen, die gerade für mein Projekt positiv sind. Das Internet und Facebook spiegeln schon die Stimmung in der Gesellschaft wider. Und die Justiz funktioniert am
(36) ist seit Dezember Staatssekretärin im Innenministerium. Die Juristin und frühere Richterin arbeitete zuletzt als Mitarbeiterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Politische Erfahrung sammelte die Salzburgerin bereits von 2004 bis 2006 im Gemeinderat von Henndorf am Wallersee. besten, wenn die Urteile auf große Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen. Und wenn das nicht mehr so ist, haben wir ein Problem.
Ein Urteil, über das sich nachher niemand in Internetpostings beschwert, wird aber schwer zu fällen sein. Ich habe das als Richterin oft erlebt, dass auch die Angeklagten nach dem Prozess zu mir gekommen sind und gesagt haben: „Danke für die faire Behandlung und Danke für das Urteil.“Das zeigt für mich, dass ich immer fair war, aber schon eine strenge Richterin. Und es ist ein Unterschied, ob wirklich jeder vollends zufrieden ist oder ob die Meinung hochgeht und es heißt: „Das kann es jetzt nicht gewesen sein, dass man mit dieser Strafe das Auslangen findet!“
Sprechen Richter momentan zu milde Urteile? Es sind immer Einzelfallentscheidungen, und ich würde sie nie von außen kommentieren. Aber es gibt auch eine Meinung in der Bevölkerung und eine Stimmung, die bekommt man schon mit.
Aber gerade die Regierung hat zuletzt einzelne Urteile erwähnt, in denen zu geringe Strafen verhängt worden sein sollen. Einzelne Urteile, wo ganz deutlich war, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Urteil nicht nachvollziehen kann. Gerade im Vergleich zu Strafen bei Vermögensdelikten, die oft viel härter ausfallen.
Und das ist jetzt der Grund, das zuletzt 2016 verschärfte Gesetz wieder zu ändern? Es ist jetzt die Zeit, dass wir uns anschauen, wie hat die Reform 2016 gewirkt. Und was muss man noch ändern, damit es zu Urteilen kommt, die auch nachvollziehbar sind. Da gibt es nicht nur die Möglichkeit, Strafrahmen zu erhöhen, sondern auch neue Untergrenzen also Mindeststrafen oder neue Erschwernisgründe einzuführen. Man muss sich noch einmal anschauen, warum man nicht auf Strafen kommt, die auf breite Akzeptanz stoßen. Wie testet man ob, ob ein Urteil auf breite Akzeptanz der Bevölkerung stößt? Durch das Lesen von Postings? Nicht nur. Es hat ja jeder auch ein natürliches Rechtsempfinden.
Sollte das entscheidende Rechtsempfinden nicht der Richter haben, der das Urteil spricht? Ja, der Richter hat hoffentlich auch ein natürliches Rechtsempfinden. Aber wenn ich mehr Erschwernisgründe im Gesetz aufzähle, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Richter diese heranzieht, auch höher.
Nun meinen Richter, Anwälte und Opferhilfsverbände, dass es keine neue Strafrechtsreform braucht. Vertrauen Sie Internetpostings mehr als Experten? Internetpostings sind ja nicht das einzige. Ich spreche auch mit Menschen und sehe etwa bei Veranstaltungen am Land, dass immer wieder Erklärungsbedarf herrscht. Und dass die Frage kommt: Wie kann denn das sein, wenn in der Zeitung steht: „Einbrecher erhält sieben Jahre Haft und Sexualtäter bekommt 18 Monate und davon sechs Monate unbedingt“. Ich habe dafür nicht immer eine Erklärung gehabt.
Lässt sich ein Triebtäter von einer Tat abhalten, wenn er eine höhere Strafe fürchten muss? Ich gehe fest davon aus.
Woher wissen Sie, dass die vergangene Strafrechtsreform nicht genug geändert hat? Die Urteile nach der neuen Rechtslage kommen ja erst jetzt langsam. Ergebnis der Regierungsverhandlungen war es, dass es Änderungen braucht. Ich kenne die einzelnen Urteile noch nicht, nehme aber die Stimmung in der Bevölkerung wahr.
Die Zahl der Sexualstraftaten ist insgesamt leicht gestiegen, in dem Bereich wurden aber neue Tatbestände eingeführt. Die Zahl der Vergewaltigungen hingegen ist ebenso gesunken wie die Zahl der Delikte gegen Leib und Leben. Spricht das dafür, das Strafrecht erneut zu verschärfen? Die Frage ist, warum gehen diese Delikte zurück? Hat das vielleicht doch damit zu tun, dass man die Strafrahmen erhöht hat und man es so schafft, Menschen von Straftaten abzuhalten?
Das heißt, wenn Sie die Strafen nun weiter erhöhen, werden die Straftaten weiter zurückgehen? Dieser Frage wollen wir uns annehmen.
Sie sprechen immer wieder das natürliche Rechtsempfinden der Bevölkerung an. Würden Sie sich als Populistin bezeichnen? Ich bin das Gegenteil davon. Ich arbeite auf Basis von Fakten, Statistiken und Gesetzen.
Und auf Basis des natürlichen Rechtsempfindens der Bevölkerung. Die Bevölkerung ist ja ein Spiegel. Und Politik hat auch die Aufgabe, Empfindungen wahrzunehmen.