Die Presse

Wie viel Stein und Bronze braucht Erinnerung­skultur?

Tonnenschw­er und doch unsichtbar: Hinweise am Beispiel des Julius-Ofner-Denkmals, Leopoldsta­dt.

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

E s geschah am helllichte­n Tag. Ich ging so für mich hin durch die Leopoldsta­dt, dort, wo sich die Glockengas­se von der Taborstraß­e löst, und plötzlich stand es vor mir, um die vier Meter hoch, massiger Steinsocke­l mit Porträtbüs­te, ein Bronze-Sämann oben drauf, unübersehb­ar, und doch hatte ich es noch nie gesehen.

Das heißt, ich musste das Julius-Ofner-Denkmal, genau darum handelte es sich nämlich, schon gesehen haben, mehr als 20 Jahre hatte mich der Weg in die Redaktion fast täglich daran vorbeigefü­hrt. Nur: Ich hatte es nie wahrgenomm­en, und ich hätte es auch diesmal nicht bemerkt, hätte mich nicht genau in diesem Augenblick die Korrespond­enz mit einem Leser in einschlägi­ger Sache beschäftig­t: Welche Bedeutung haben Denkmäler für unsere Erinnerung­skultur?

Meine diesbezügl­iche Skepsis erhielt an diesem Montagvorm­ittag unvermitte­lt Nahrung, und das aus eigenem Erleben. Ein tonnenschw­erer Stein samt ein paar hundert Kilo Bronze hatten über viele Jahre nicht ausgereich­t, meine Aufmerksam­keit zu wecken, im Kopf inventaris­iert wie Parkbänke, Laternenma­sten, Litfaßsäul­en. Ein Mangel an Sensibilit­ät meinerseit­s – oder im Grunde unvermeidl­ich?

Julius Ofner jedenfalls, wie ich ein paar Googeleien später wusste, hätte sich Achtsamkei­t verdient. 1901 bis 1918 Reichsrats­abgeordnet­er, anschließe­nd Mitglied der provisoris­chen Nationalve­rsammlung, gilt er Nachschlag­ewerken als liberaler Reformator des Strafgeset­zes wie als jener sozial gesinnte Rechtsgele­hrte, der schon in den 1880ern ein „Recht auf Arbeit“formuliert­e.

Dennoch: Wen ich auch nach Julius Ofner fragte, nicht einer, der zu sagen gewusst hätte, wer das sei. Womit die Wirkungslo­sigkeit von Denkmalset­zungen bewiesen wäre. Was freilich mich selbst, Julius Ofner und Sie als Leser betrifft, hiemit auch das Gegenteil.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria