Der tiefe Fall eines muslimischen Mephisto
Affäre. Er wollte Europa islamisieren, Doppelzüngigkeit und Drohungen säumten seinen Weg zum muslimischen Parade-Intellektuellen. Jetzt sitzt Tariq Ramadan wegen Vergewaltigungsvorwürfen im Gefängnis. Ein Porträt.
Nicht wenige dachten an ihn, als sie in Houellebecqs Roman „Unterwerfung“von einem Muslimbruder lasen, der französischer Präsident wird: Tariq Ramadan sei „wohl der einzige Schweizer, der Franzose werden will, und sicher nicht, weil er unseren Käse liebt“, sagte Islamwissenschaftler Gilles Kepel 2016 zur „Presse“. Ramadan wolle wohl im Jahr 2022 für die Präsidentschaft kandidieren. Dazu wird es nicht kommen. Etliche Frauen werfen dem 55-Jährigen Vergewaltigung vor, nun sitzt er in Frankreich in Untersuchungshaft. Grausig lesen sich in der französischen Ausgabe des Magazins „Vanity Fair“jüngst veröffentlichte Detailschilderungen einer Klägerin.
Das Schlusskapitel einer erstaunlichen europäischen Karriere, die viel über Europas Auseinandersetzung mit dem Islam seit der Jahrtausendwende erzählt. Spätestens seit 9/11 war der aus Genf stammende Enkel des Muslimbrüder-Gründers Hassan al-Banna einer der bekanntesten und umstrittenen muslimischen Medienintellektuellen. In Österreich konnte man ihn etwa als Stargast bei Veranstaltungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts, des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen oder bei einem Jubiläum der Muslimischen Jugend Österreich erleben.
Ramadans Vater, Sprössling der ägyptischen Bourgeoisie, war nach der Ermordung seines Vaters Hassan al-Banna in die Schweiz geflohen, er gründete später den palästinensischen Zweig der Muslimbrüder. Tariq studierte Islamwissenschaft und sammelte als charismatischer Prediger und weltgewandter Intellektueller seit den Neunzigern Fans unter jungen, gebildeten Muslimen, nicht zuletzt übers Internet. Dies und seine Forderung nach einem „Euro-Islam“brachte ihn nach 9/11 immer stärker in die öffentliche Diskussion.
Der scheinbar moderate „Euro-Islam“
Während Islamisten zur Abkapselung aufriefen, schien Ramadan das Gegenteil zu fordern: Er rief die Muslime dazu auf, Europa als ihre Heimat zu betrachten und dort selbstbewusst ihre muslimische Identität zu vertreten, politisch mitzugestalten. Das schien eine moderate Alternative zu unkontrollierbaren Parallelwelten. „Euro-Islam“, das klang halbwegs moderat. Ramadans Euro-Islam zielte freilich nie auf Integration ab. Sein Ziel war der Machtzuwachs für eine durch ihre muslimische Identität definierte Bevölkerungsgruppe.
Tariq Ramadan nannte sich selbst einen „Reformsalafisten“. Er konnte in der Öffentlichkeit entschieden für die Trennung von Staat und Religion eintreten, zugleich schreiben: „Wir sind für Integration, aber es liegt an uns zu entscheiden, was das bedeutet. Ich will die Gesetze befolgen, aber nur insofern, als sie mich nicht zwingen, etwas gegen meine Religion zu tun.“Kritiker wie die französische Journalistin Caroline Fourest wurden nicht müde, auf diese systematischen Widersprüche in Ramadans Reden und Schriften hinzuweisen, ganze Bücher entstanden dazu. Der in Lyon lehrende Politologe MohamedCherif´ Ferjani hat in einem Buch auch gezeigt, wie Ramadan Schriften seines Großvaters fälschte, um den gewalttätigen Charakter seiner Werke zu kaschieren. Doch Ramadan blieb ein im „Dialog der Kulturen“von Teilen der Linken verteidigter Akteur. Und obwohl er etwa in seinem Buch „Mohammed. Das Leben des Propheten“Adam als historische Person und ersten Propheten beschreibt, galt er als „Islamwissenschaftler“. 2009 erhielt er tatsächlich eine Professur für Islamwissenschaft an der Oxford University – allerdings nur dank einem Abkommen der Uni mit Katar, das die Professur finanzierte.
Ramadan verteidigte auch den TV-Prediger Yusuf al-Qaradawi, der alle Muslime zum Heiligen Krieg in Syrien aufgerufen und den Judenvernichter Hitler zum Werkzeug Gottes ernannt hatte. „Ramadan hat mir ständig von den Zionisten, den Juden erzählt, gesagt, dass alles ein Komplott sei“, berichtet ein Frau, die ihn anklagt, unter dem Pseudonym „Christelle“in „Vanity Fair“. Doch seine Kritik an Globalisierung und Kapitalismus, seine Israelkritik und Kritik der „Islamophobie“ brachten ihm immer wieder Rückhalt bei Teilen der europäischen Linken. Ramadans Politik eines „Euro-Islam“biete eine Alternative zur Gewalt, meinte etwa der in den USA lehrende anglo-niederländische Publizist Ian Buruma. Er spreche die gebildeten Moslems der zweiten Generation an, die sich nicht voll integriert fühlen, und sei hilfreicher als „Aufklärungs-Fundamentalisten. Als der damalige französische Innenminister Manuel Valls und die Ministerin für Frauenrechte Najat Vallaud-Belkacem 2013 ihre Teilnahme an einer Konferenz in Florenz kurzfristig absagten, weil auch Tariq Ramadan auf dem Podium sitzen sollte, ernteten sie bei linken Kritikern vor allem Häme.
Jean Ziegler verteidigte ihn
Dass Tariq Ramadan sich in den Neunzigerjahren einen Ruf als aktivistischer Professor aufbauen konnte, verdankte sich nicht zuletzt dem Schweizer SP-Nationalrat und Globalisierungskritiker Jean Ziegler. Ramadans hagiografische Dissertation über seinen Großvater Hassan al-Banna war von den Gutachtern als unkritisch und tendenziös zurückgewiesen worden. Dank Zieglers Vermittlung wurden neue Gutachter bestellt, die die Dissertation akzeptierten – mit dem Zusatz: „Genehmigung der vorliegenden These ohne Meinungsäußerung (der Kommission) zu den beinhalteten Ansätzen“. Nie davor und danach in seiner 40-jährigen Karriere habe er einen Studenten sich so aufführen sehen, sagt heute der Islamwissenschaftler Ali Merad. Ramadan habe die Gutachter beschimpft und ihnen gedroht.
Heikel ist es, Privates und Politisches in der Beurteilung einer Person zu vermischen. Im Fall Tariq Ramadans freilich ist es schwer zu trennen: Die politischen wie sexuellen Vorwürfe deuten beide auf ein skrupelloses System aus Drohungen und Intrigen, mit denen er und seine Anhänger gegen politische Gegner vorgingen. Ramadan, der nun wegen Vergewaltigung angeklagte Ehemann und vierfache Familienvater, vertrat in seinen Vorlesungen strengste Tugendnormen, etwa dass jede sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe schwere Sünde sei. Da sprach er noch nicht einmal von Sadismus und Gewalt.
Ein Mephisto ist gestürzt. Und nicht nur seine muslimischen Anhänger haben ihn groß gemacht.