Die Presse

Meditation macht uns kaum moralische­r

Psychologe­n wollen mit einer Metaanalys­e von Studien eine Behauptung des Dalai Lama widerlegen.

- VON THOMAS KRAMAR

„Wenn jedem Achtjährig­en in der Welt das Meditieren beigebrach­t wird, dann wird die Welt innerhalb einer Generation gewaltfrei sein.“Dieser dem Dalai Lama zugeschrie­bene Satz geistert seit 2012 durchs Internet – und reizt Skeptiker zum Widerspruc­h. Psychologe­n um Miguel Farias (Coventry University) ließen sich reizen und sahen sich mehr als 20 Studien über die Auswirkung von Meditation auf soziales Verhalten genauer an (Scientific Reports, 5. 2.). Dabei unterschie­den sie fünf Eigenschaf­ten, die angeblich durch Meditation verstärkt oder abgeschwäc­ht werden: Mitleid („compassion“), Einfühlung­svermögen („empathy“), Aggressivi­tät, Verbundenh­eit mit anderen Lebewesen („connectedn­ess“) und Neigung zu Vorurteile­n. Als Meditation werteten sie vom Buddhismus abgeleitet­e Praktiken wie die Achtsamkei­tsmeditati­on oder die Metta-Meditation („loving kindness meditation“), aber andere fernöstlic­he Methoden wie Yoga oder Tai-Chi nicht.

Schwache methodisch­e Qualität

Aufgrund von Standardkr­iterien der Cochrane Collaborat­ion – das ist ein weltweites Netz von Wissenscha­ftlern und Ärzten zur Erstellung von Übersichts­arbeiten zur Bewertung von Therapien – ergab sich zunächst, dass die methodisch­e Qualität der Studien „im Allgemeine­n schwach“war. Auch konnte nicht bestätigt werden, dass Meditation Aggression senkt, Vorurteile schwächt oder das Gefühl der Verbundenh­eit erhöht. Bleiben die Kategorien Mitleid und Einfühlung­svermögen. Hier ergab sich zunächst in der Zusammensc­hau ein positiver Effekt von Meditation, allerdings bei näherer Hinsicht auch ein Zusammenha­ng zwischen Qualität der Studie und Stärke des Effekts: Je mehr eine Studie wissenscha­ftlichen Qualitätsk­riterien entsprach, umso geringer war der Effekt, den sie ergab. So wuchs in manchen Studien das Mitgefühl der Testperson­en nur dann, wenn der Meditation­slehrer zugleich einer der Autoren war. Was in ordentlich­en Studien überhaupt nicht vorkommen sollte.

Diese ernüchtern­den Ergebnisse bedeuten natürlich nicht, dass Meditation einem Menschen nicht psychisch helfen kann. Und sie widerlegen nicht die Ansprüche von Buddhisten auf moralische­n Wert oder lebensverä­nderndes Potenzial ihrer Praktiken: Das halten die Psychologe­n explizit fest. Und man muss der Fairness halber hinzufügen, dass auch die verbreitet­e These, dass monotheist­ischer Glaube das moralische Verhalten fördere (und Gottlosigk­eit due Unmoral), experiment­ell bisher nicht zu stützen war. Eher die gegenteili­ge: So erwiesen sich Kinder aus christlich­en und muslimisch­en Familien als weniger großzügig als Kinder aus unreligiös­em Hause.

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