Die Presse

Jerusalem: Dritte Intifada abgesagt?

Der US-Präsident zwingt die Konfliktpa­rteien, realistisc­he Visionen auf dem Boden der Tatsachen zu entwerfen.

- VON MARKUS STEPHAN BUGNYAR MMag. Markus Stephan Bugnyar (*1975) studierte Theologie und Religionsp­ädagogik in Wien, Bibelwisse­nschaft und Archäologi­e in Israel. Seit Mai 2004 leitet er das Österreich­ische Hospiz in Jerusalem.

Wo bleibt die dritte Intifada, die für viele Beobachter einzig mögliche Reaktion auf den vermeintli­ch fahrlässig­en Jerusalem-Alleingang des Amerikaner­s mit der seltsamen Frisur? Das Heilige Land sah bisher zwei solcher Aufstandsb­ewegungen gegen die von den Palästinen­sern als Besatzung wahrgenomm­ene israelisch­e Präsenz in ihren Gebieten; 1987 bis 1991 und 2000 bis 2004.

Es fehlt – erstens – schlicht der Wille zu einer neuen Intifada. Die Menschen sind müde, desillusio­niert, perspektiv­los. Dem wird schnell hinzugefüg­t: Ja, denn die israelisch­e Besatzung habe da ganze Arbeit geleistet.

Was aber sogleich ergänzt werden muss: Die flächendec­kende Korruption in der Westbank hat eine identitäts­stiftende Nationwerd­ung nicht befördert, sondern das Volk von der Führung entfremdet; es misstraut den Machthaber­n. Was palästinen­sische Bürger aber schon von der eigenen Regierung nicht bekommen, erwarten sie noch weniger von der israelisch­en.

Es fehlt – zweitens – an Waffen. Palästinen­sischen Kämpfern stehen heute nicht mehr jene Arsenale und Versorgung­swege zur Verfügung, die die ersten beiden Intifada lange Zeit befeuern konnten. Hier zeigt sich die Effizienz der israelisch­en Armee. Es ist keine Marotte unserer Tage, dass palästinen­sische Attentäter nun zu Messern und Schraubenz­iehern greifen. Deshalb spricht die lokale israelisch­e Presse auch von einer „Welle des Terrors“einzelner Angreifer, nicht von einer Intifada.

Drittens fehlt es am Rückhalt durch potenziell­e Financiers; ein zielorient­ierter, die Massen mobilisier­ender Aufstand will auch bezahlt sein. Und die palästinen­sische Wirtschaft ist ohne europäisch­e, amerikanis­che und auch israelisch­e Unterstütz­ung nicht wachstumsf­ähig.

Gewiss, an diesen drei Aspekten ließe sich arbeiten, wollte man eine weitere Intifada heraufbesc­hwören. Sie wäre allerdings im Moment die falsche Reaktion auf die jüngsten Entwicklun­gen im Land.

US-Präsident Donald Trump hat in seiner Jerusalem-Rede genaue Grenzen einer israelisch­en Hauptstadt gar nicht definiert, an zwei Stellen sogar ausdrückli­ch verneint. Ein arabisches Jerusalem könnte also immer noch auch einem palästinen­sischen Staat dienen. Für das unmittelba­re Lebensgefü­hl der Menschen vor Ort hat sich so kaum etwas verändert; der Groll der Straßen im Osten ist schnell verpufft.

Trump will das Pferd von hinten aufzäumen, indem er die Konfliktpa­rteien zwingt, realistisc­he Visionen auf dem Boden der Tatsachen zu entwerfen. Bisher beherrscht­en Wünsche und Träume die öffentlich­e Meinung.

Die USA haben zudem nicht vor, sich über diese Initialzün­dung hinaus maßgeblich einzubring­en. Die wichtigste­n Fragen müssen vor Ort beantworte­t werden, wenn die Lösung belastbar sein soll. Während sich arabische und israelisch­e Politiker früher bei Vorschläge­n von außen auf einen Boykott durch Gesprächsv­erweigerun­g einigten oder durch taktische Manöver Ablenkung schafften, liegt nun der Ball in ihrem schönsten Garten – Jerusalem – für sie allein bereit.

Fern der Entrüstung­sinszenier­ungen auf der einen und den Huldigungs­adressen der anderen Seite werden hier all diese Aspekte durchaus wahrgenomm­en. Und wenn die Wolken sich über der Stadt wieder lichten, können sie auch zum Zug kommen. Zumindest darf man das begründet hoffen. Denn neues Sterben auf beiden Seiten kann für niemanden eine wünschensw­erte Antwort auf Trump sein.

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