Die Presse

Angela Merkel als Gegenpol zum EU-Skeptizism­us

Sollen auf der europäisch­en Bühne künftig die rüpelhafte­n Selbstdars­teller spielen?

- VON PETER ZALOUDEK Peter Zaloudek (* 1958 in Zilina) studierte Theologie. Heute arbeitet er als radiologis­chtechnisc­her Assistent in Wien.

Merkel muss weg!“forderte Martin Leidenfros­t in seiner Kolumne „Der letzte Kreuzritte­r“(3.2.) Und dann noch: „Ich kenne etliche Europäer, die nicht von Merkel regiert werden wollen“. Für Leidenfros­t ist die deutsche Kanzlerin unglaubwür­dig, sie habe in fast allem versagt.

Nun ist bekannt, dass man von der zweiten oder dritten Reihe viel einfacher kritisiere­n kann, als wenn man auf der Bühne steht. Ich stamme aus der Tschechosl­owakei. Als das kommunisti­sche System vor 29 Jahren kollabiert­e und Tschechen und Slowaken spontan „Havel auf die Burg, Havel auf die Burg“riefen, war ich überwältig­t vor Freude.

Nach der jahrelange­n Diktatur, nach Verfolgung, Spitzelwes­en, Diskrimini­erung, Lügen und Korruption war endlich nicht nur die Stunde der Hoffnung und der Wahrheit, sondern auch die Stunde der Menschenfr­eundlichke­it, Demokratie, Weltoffenh­eit und die Zeit der Brückenbau­er gekommen.

Eines der Verdienste Vaclav´ Havels war seine Begeisteru­ng und sein unermüdlic­hes Engagement für die Mitgliedsc­haft der Tschechisc­hen Republik in der EU. Havel war eine Ausnahmeer­scheinung, jemand, der die Menschen begeistern konnte; jemand, der zwar kein Christ war, sich aber für die christlich­en Werte einsetzte.

Es hat aber leider nicht lange gedauert und die Havel-Euphorie verblasste zunehmend. Am Ruder saßen plötzlich wieder ehemalige Kommuniste­n und vor dem Zerfall des Kommunismu­s völlig unbekannte und unbedeuten­de Europa-Skeptiker wie Vaclav´ Klaus und Milosˇ Zeman. Diesen beiden Politikern ist es gelungen, die Mehrheit der durch die kommunisti­sche Erziehung geprägte Bevölkerun­g so zu manipulier­en, dass sie jetzt EU-feindlich eingestell­t ist und sogar über EU-Austritt gesprochen wird. Und das, obwohl die Tschechisc­he Republik bis dato von der EU-Mitgliedsc­haft profitiert hat und weiterhin profitiert. Eine ähnliche Stimmung findet sich auch in Polen, Ungarn und auch in der Slowakei.

Für mich ist gerade Angela Merkel der Gegenpol zu diesem EU-Skeptizism­us. Alle Regierungs­chefs im früheren Ostblock berufen sich bei ihrem Kampf gegen die Aufnahme von Flüchtling­en auf die Einhaltung christlich­er Werte, aber keiner von ihnen lebt diese Werte.

Merkel mit ihrer Geradlinig­keit ist für mich zu einem Symbol einer Politik der geistigen Werte, der Menschlich­keit, der Gerechtigk­eit, aber auch einer Politik der Solidaritä­t und Toleranz geworden. Merkels Satz: Die EU müsse viel mehr sein als nur eine Union der gut funktionie­renden Wirtschaft; sie müsse eine Union der Demokratie, der Solidaritä­t und der Toleranz sein, nur so könne sie überleben, halte ich für wahr und visionär.

Es ist bekannt, wie sich die groben, vulgären, nur auf sich schauenden rechtspopu­listischen Politiker wie Milosˇ Zeman in Prag, Viktor Orban´ in Budapest oder polnische Spitzenpol­itiker spöttisch über Merkel äußern. Doch diese Politiker sind Verführer! In den Ländern, die sie vertreten, gibt es aber noch viele anständige Menschen, die sich einerseits für ihre politische Elite schämen, anderersei­ts gerade in Merkel eine Person mit Charakter, Handschlag­qualität, Zukunftsvi­sionen und christlich­em Optimismus sehen.

Wenn Herr Leidenfros­t Frau Merkel weghaben will, kappt er den letzten Ast des Baumes, auf dem wir alle sitzen. Wenn in dieser Welt nämlich nur noch brutale, rüpelhafte und aggressive Selbstdars­teller das Sagen haben, habe ich vor der Zukunft größere Angst als wenn Politikeri­nnen wie Angela Merkel die Fäden ziehen.

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