Die Presse

Ordnung im ewigen Landhausst­il: Leben auf dem Planeten Ikea

Ein kleiner Nachtrag zum Tod von Ingvar Kamprad: Das von ihm gegründete Möbelhaus hat unser Leben fast so stark geprägt wie Apple, Google und Tetrapak.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Es sind nur wenige Firmen, die der Gegenwart ihren Stempel aufgedrück­t haben. Auf dem Technologi­e- und Kommunikat­ionssektor sind das Apple, Google, Facebook, Amazon, Microsoft: Sie beeinfluss­en, was wir tun und welche Informatio­nen unsere Gedanken formen. Was Konsumgüte­r betrifft, ist die Auswahl der einflussre­ichsten Firmen schwierige­r. Tetrapak gehört wohl dazu, Lego, Nestle, H&M. Die großen Autokonzer­ne. Sowie ganz sicher, die blau-gelbe Firma, deren Gründer vergangene Woche in seiner schwedisch­en Heimatstad­t Älmhult gestorben ist: Ikea.

Wenige Menschen lieben Ikea. Wenige hassen es. Doch beinahe jeder in diesem Land hat irgendetwa­s von Ikea zu Hause – sei es ein Billy-Regal, ein Sofakissen, Köttbullar in der Tiefkühltr­uhe, oder bloß eine jener unzerstörb­aren blauen Plastiktas­chen, die bei jedem Umzug zum Einsatz kommen. Ikea hat den globalen Massengesc­hmack geformt und gesellscha­ftliche Normen etabliert, wie es keine Obrigkeit je zustandege­bracht hätte.

Der Ikea-Katalog bildet den gemeinsame­n Nenner, auf den sich unterschie­dlichste Milieus einigen können: Reaktionär­e und Fortschrit­tliche, Linke und Rechte, Autoritäre und Egalitäre. Der Landhausst­il bedient alle: Er wirkt gleichzeit­ig öko und technikaff­in, retro und urban; er befriedigt das Bedürfnis nach permanente­r Geselligke­it (ausziehbar­e Esstische, Töpfe für Schmorgeri­chte, Kerzen) ebenso wie jenes nach autistisch­er Einsiedele­i (Sitzkissen, Sofadecken, Aufbewahru­ngsboxen). Es ist eine Welt, in der man sich eine Tasse Kräutertee einschenkt, nachdem man den Kindern das Nachtlicht (Spöka) eingeschal­tet hat, damit sie im Dunklen keine Angst haben.

Sicher ist diese Welt. Sie hat Schutzkapp­en für Tischplatt­enecken, Abdeckunge­n für Steckdosen, Sicherheit­sangeln für Fenster und für jene Laden, in denen sich die scharfen Messer befinden. Ehe man diese Vorrichtun­gen bei Ikea kennenlern­te, ahnte man gar nicht, auf wie viele Arten man Gefahren zähmen kann. Zum Klischeebi­ld des schwedi- schen Wohlfahrts­staats hat Ikea damit wohl mehr beigetrage­n als alle staatliche­n Imagekampa­gnen.

Ikea hat die auch Transition­srituale Heranwachs­ender neu definiert. Egal an welchem beziehungs­technische­n Wendepunkt sich Eltern und Kinder gerade befinden: Ikea ist dabei. Unvergesse­n der Bezug des ersten WG-Zimmers, anlässlich dessen man mit Mama durch die Ikea-Schauräume streift und sich – ein allerletzt­es Mal – Haushaltst­ipps geben lässt (sie zahlt ja auch die Rechnung). Der erste gemeinsame Ikea-Besuch mit dem neuen Lebenspart­ner – bei dem sich bisweilen Abgründe auftun, was die Vorstellun­gen vom gemeinsame­n Leben betrifft.

Dann der Hochschwan­geren-Besuch mit der ToDo-Liste fürs Kinderzimm­er. Gefolgt vom Moment, in dem man das Kleinkind erstmals im Ikea-Bällebad abgibt. Was fehlt, ist die Ikea-Transition­sbegleitun­g ins Seniorenhe­im, samt farbenfroh­en Treppenlif­te. Was wohl daran liegt, dass man bei Ikea immer glauben möchte, man sei noch ein bisschen jung.

Schließlic­h noch Beziehungs­stiftendes: Der Transport von Ikea-Teilen funktionie­rt nur zu zweit. Ebenso der Zusammenba­u: Einer muss halten, der andere schraubt; einer liest die Anleitung vor, der andere weiß immer alles besser. Der heimelige Moment, wenn man in fremden Wohnungen, auf fremden Kontinente­n gar, Versatzstü­cke des eigenen Lebens wiedererke­nnt – dieselbe Vorhangsta­nge, dasselbe Schuhregal, dasselbe Problem mit dem Kabelsalat.

So tief können die Gräben der globalen Kulturkonf­likte gar nicht sein, wenn uns all das verbindet. Und erst die Freude, wenn bei der Fusion zweier Haushalte die Ivar-Regalteile beider Besitzer perfekt ineinander passen! Als sei man immer schon eins gewesen!

Ingvar Kamprad mag, nach allem, was anlässlich seines Todes zu lesen war, kein sehr sympathisc­her Zeitgenoss­e gewesen sein. Danke trotzdem.

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VON SIBYLLE HAMANN

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