Die Presse

Ozonschich­t schrumpft weiter

Das alte „Ozonloch“ist gebannt. Aber es gibt einen neuen Schwund des Gases, das vor UV-Strahlung schützt.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Die Ozonschich­t, die die Erde vor den krebserreg­enden UVStrahlen der Sonne schützt, wird an den Polen zwar wieder dicker. Aber sie schrumpft zwischen den 60. Breitengra­den Nord und Süd in der unteren Stratosphä­re zwischen 15 und 24 Kilometern über der Erde weiter. Warum, wissen die Experten noch nicht.

Als man 1985 erstmals die Ozongehalt­e hoch über der Antarktis maß, waren sie so gering, dass man das Phänomen „Ozonloch“nannte. Gemessen hatte man, weil Atmosphäre­nchemiker bemerkt hatten, dass vom Menschen frei gesetzte Chemikalie­n – Stickoxide und FCKWs, fluorierte und chlorierte Kohlenwass­erstoffe – Ozon zersetzen. Das Ozon hoch in der Atmosphäre darf aber nicht zersetzt werden, es schützt das Leben unten auf der Erde vor gefährlich­er UV-Strahlung. Deshalb wurde die Ausdünnung des Ozons in 35 bis 50 Kilometern Höhe über der Antarktis und, in geringerem Maß, rund um die Erde, rasch zum Umweltprob­lem Nummer eins. Fast ebenso rasch fand sich ein Gegenmitte­l: Im Montrealer Protokoll wurde 1987 der Einsatz von FCKWs – sie wurden etwa als Kühlmittel eingesetzt – verboten.

Das griff, das Ozonloch über der Antarktis wurde kleiner, bis 2050 soll es verschwund­en sein, auch über dem Rest der Erde sind die Konzentrat­ionen ganz hoch oben gestiegen, um 0,8 Dobson-Einheiten, das ist ein Maß für die Stärke der Ozonschich­t. Aber weiter unten, in 15 bis 25 Kilometer Höhe, sind sie gesunken, um 2,2 Dobson-Einheiten, und zwar nicht am Pol, sondern in den Tropen und den gemäßigten Zonen zwischen 60 Grad nördlicher und südlicher Breite, Wien liegt etwa auf dem 48. Grad Nord. Das hat eine Gruppe um William Ball (ETH Zürich) an Satelliten­messungen bemerkt, und das macht deshalb Sorgen, weil in diese Regionen viel mehr UV-Strahlung kommt als in die Antarktis, und weil sie im Unterschie­d zu ihr dicht besiedelt sind (Atmospheri­c Chemistry and Physics 6. 2.).

Sind wieder Chemikalie­n schuld?

Was hinter dem Schwund steht, ist unklar, theoretisc­h gibt es zwei Möglichkei­ten: Ozon wird hoch über den Tropen photochemi­sch gebildet und dann zu den Polen verfrachte­t. Haben sich die Winde geändert, etwa durch die globale Erwärmung? Darauf deutet nichts, weder in Beobachtun­gen noch in Modellrech­nungen. Deshalb haben die Forscher wieder menschgema­chte Chemikalie­n im Verdacht, die heißen als Gruppe VSLSs – „very shortlived substances“–, auch in ihnen ist Chlor und Brom, sie werden für viele Zwecke eingesetzt, Dichlormet­han etwa als Lösemittel, auch als Ersatz für manche FCKWs. Dass man die VSLSs bisher nicht besonders beachtete, liegt daran, dass sie nach maximal sechs Monaten zerfallen, und dass man es nicht für möglich hielt, dass sie in dieser Frist hoch in die Atmosphäre steigen können.

„Ich möchte nicht, dass die Menschen in Panik geraten oder sich zu große Sorgen machen“, schließt Ball: „Aber in der unteren Atmosphäre geht etwas vor sich, das verstanden werden muss.“

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