Die Presse

Vergaberec­ht: Firmen zittern um Schlichtun­gsstelle

Niederöste­rreich. Verpflicht­end zuerst zur Schlichtun­g, erst dann zum Gericht: Das ist der EU ein Dorn im Auge.

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Erst kürzlich wurde Österreich von der EU-Kommission wegen Nichtumset­zung von Vergaberic­htlinien verklagt – und jetzt hat die Republik ein weiteres Vertragsve­rletzungsv­erfahren am Hals. Diesmal geht es um ein niederöste­rreichisch­es Spezifikum: Dort können Unternehme­n, die mit Vergabeent­scheidunge­n öffentlich­er Auftraggeb­er nicht einverstan­den sind, nicht gleich vors Landesverw­altungsger­icht ziehen. Sondern müssen sich zuerst an eine Schlichtun­gsstelle wenden.

Die Wirtschaft­skammer lobt das als Erfolgsmod­ell: 48 Schlichtun­gsanträge habe es im Jahr 2016 gegeben, in 94 Prozent der Fälle sei die Schlichtun­g gelungen. Die Unternehme­n hätten sich dadurch ein kostspieli­ges Gerichtsve­rfahren erspart – die Schlichtun­g ist für sie gratis. Der EU-Kommission ortet jedoch einen Verstoß gegen Unionsrech­t und hat Österreich zur Stellungna­hme aufgeforde­rt.

Verpflicht­end oder fakultativ?

Für Juristen kommt das nicht wirklich überrasche­nd. „Die Regelung widerspric­ht meines Erachtens der Rechtsmitt­el-Richtlinie, die einen unmittelba­ren Zugang zu den Verwaltung­sgerichten als Nachprüfun­gsinstanze­n vorschreib­t“, sagt Rechtsanwa­lt Rudolf Pekar, Vergaberec­htsexperte bei fwp. Er verweist auf zwei EuGH-Urteile zur (inzwischen abgeschaff­ten) Bundesverg­abekontrol­lkommissio­n (C-410/01, C-230/02) sowie eine ebenfalls bereits vor Jahren ergangene Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichtsh­ofs, die sich auf Niederöste­rreich bezieht. „Die Einrich- tung eines Schlichtun­gsverfahre­ns mit dem Ziel, eine gütliche Einigung von Streitfrag­en des Vergabever­fahrens zu ermögliche­n, mag sinnvoll sein und ist als solche rechtlich nicht zu beanstande­n“, heißt es da. Der Zugang zum Nachprüfun­gsverfahre­n dürfe jedoch nicht an die vorherige Anrufung einer Schlichtun­gsstelle geknüpft werden (2009/04/0252). „Das besagt, dass bei richtlinie­nkonformer Interpreta­tion das Schlichtun­gsverfahre­n nur fakultativ­en Charakter haben kann“, sagt Pekar.

Droht der außergeric­htlichen Streitbeil­egung nun das Aus? Manche befürchten das. „Schlichtun­gsstellen bewähren sich immer, wenn eine gerichtlic­he Streitbeil­egung bzw. Rechtsdurc­hsetzung wegen hoher Kosten, asymmetris­cher Machtverte­ilung etc. unrealisti­sch ist. Das erkennt die EU in vielen Bereichen – bei der Verbrauche­rschlichtu­ng, im Mietrecht. Im Bereich des Vergabewes­ens aber leider nicht“, sagt Felix Ehrnhöfer, Generalsek­retär der Bundeskamm­er der Ziviltechn­iker, zur „Presse“.

Die Verbrauche­rschlichtu­ng ist ein fakultativ­es Angebot, im Mietrecht muss dagegen bei bestimmten Streitfäll­en zuerst die Schlichtun­gsstelle angerufen werden, sofern es in der betreffend­en Gemeinde eine solche gibt. Was dafür sprechen mag, ist eben gerade das Machtgefäl­le – der wirtschaft­lich Stärkere kann sonst die Schlichtun­g verweigern, sodass dem Schwächere­n nur der teure Klagsweg bleibt. Das kann im Vergaberec­ht genauso zutreffen. Die Vereinbark­eit mit EU-Recht steht jedoch auf einem anderen Blatt. (cka)

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