„Doppelmoral“und „krankes System“
Flüchtlinge. Kanzler Kurz und Biograf Ronzheimer diskutieren überraschend hitzig.
„Endlich teilen wir mal was“, sagte Kurz-Biograf Paul Ronzheimer nach einer Stunde auf dem Podium mit Sebastian Kurz (ÖVP) – auch wenn das dann so gar nicht ganz stimmte. Bei der Präsentation der inzwischen zweiten Biografie des 31-jährigen Kanzlers wurde überraschend hitzig diskutiert. Es ging vor allem um die Flüchtlingskrise, ein Thema, für das der „Bild“-Reporter Ronzheimer schon in der am Montag erschienenen Biografie seine eigenen Erfahrungen an den Grenzen Europas mit den politischen Entscheidungen des damaligen Außenministers Kurz kontrastierte. Damit konfrontierte er den Kanzler denn auch am Mittwochabend.
Wann er sich das letzte Mal ein libysches Flüchtlingslager angesehen hätte, fragte Ronzheimer etwa. Um Kurz später sogar „Doppelmoral“vorzuwerfen. Er höre nicht, wie Russland für sein Vorgehen in Sy- rien kritisiert werde, genauso wenig wie er Kritik am syrischen Machthaber Bashar al-Assad vernehme. „Die Grenzen sind zu, aber das bedeutet, dass an der syrisch-türkischen Grenze Schießanlagen die Menschen daran hindern, aus diesem Schlachthaus zu fliehen.“Worauf Kurz ungewöhnlich flapsig reagierte: „Ich habe mir gar nicht alles gemerkt, aber was ich mir gemerkt habe, da muss ich widersprechen“, sagte er. Um am Ende dann zu jener Kernbotschaft zu kommen, die er an diesem Abend mehr als ein Mal erklärte: die, warum seine Flüchtlingspolitik, inklusive Schließung der Westbalkanroute, trotz allem der richtige Weg sei.
Obwohl man gern helfen würde: In Libyen würden jene leiden, die sich auf den Weg machten, weil sie hörten, dass der Weg nach Europa offen sei, sagte Kurz. „Wenn wir sie aufnehmen, dann kommt die nächste Million nach.“Profitieren würden davon die Schlepper. Und weiter: „Wäre ich einer dieser Menschen, würde ich mich auch auf den Weg machen. Das zeigt, wie krank das System ist.“
„Ich freue mich, weiter zu streiten“, schloss Ronzheimer, der Kurz einst bei einer Debatte über die Flüchtlingskrise näher kennengelernt hatte und für das nun bei Herder erschienene Buch längere Gespräche mit ihm führte. „Die wahre Prüfung steht noch bevor“, warnte er den Kanzler. „Da ist die Gefahr groß, weil er in Österreich so geliebt wird, dass die Umfragewerte nach unten gehen.“Eine Warnung, die Kurz betont locker nahm: Ihm seien bereits einige erste Prüfungen prophezeit worden. Und: Auch er freue sich auf weitere und mitunter hitzige Diskussionen. (beba)