Die Presse

Zu hohe Honorarnot­en gestellt? Tarifstrei­t um Krebsvorso­rge

Koloskopie. Niedergela­ssene Ärzte sollen ungerechtf­ertigte Rechnungen eingereich­t haben. Die Gebietskra­nkenkasse fordert nun Geld zurück.

- VON KÖKSAL BALTACI

Der seit Jahren andauernde Tarifstrei­t um Darmspiege­lungen (Koloskopie) als Vorsorgeun­tersuchung zwischen niedergela­ssenen Ärzten und der Wiener Gebietskra­nkenkasse (WGKK) ist um eine Facette reicher. Der Konflikt könnte sogar zu einem (temporären) vertragslo­sen Zustand führen. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

1 Worum geht es beim Tarifstrei­t, und was bedeutet das für die Patienten?

Dem Wiener Chirurgen-Fachgruppe­nobmann Anton Weiser zufolge fordert die WGKK von niedergela­ssenen Chirurgen Honorarsum­men für bis zu drei Jahre zurück. „Wenn das durchgeht, müssen wir wohl unsere Kassenvert­räge zurücklege­n“, droht Weiser. In diesem Fall wären die Koloskopie­n beim niedergela­ssenen Facharzt nur noch auf Privatbasi­s mit teilweiser Rückverrec­hnung durch die Krankenkas­se möglich. Laut seinen Angaben sind auf diesem Gebiet 34 Chirurgen und 15 Interniste­n tätig, zehn davon mit Kassenvert­rag.

Die WGKK weist die Kritik zurück. Generaldir­ektor Andreas Obermaier teilt auf Anfrage mit, dass bei einigen Ärzten nicht nur die eigentlich­e Dickdarmun­tersuchung mit dem Koloskop verrechnet wurde, sondern zusätzlich eine Enddarm-Spiegelung (Rektosko- pie). Obermaier vergleicht das mit einem Bahnticket: „Wenn ich eine Fahrkarte bis nach Salzburg kaufe, ist die Fahrt bis St. Pölten bereits inbegriffe­n.“Es sei also undenkbar, wenn einfach mehr Teilleistu­ngen verrechnet würden.

Weiser widerspric­ht: „Die Möglichkei­t der Abrechnung von Koloskopie und Rektoskopi­e geht auf eine mündliche Vereinbaru­ng mit der WGKK zurück, die zehn Jahre alt ist. Das hat funktionie­rt.“

2 Wie stehen die Chancen auf eine Einigung?

Ziemlich gut – wie bei jedem anderen Tarifstrei­t zwischen Ärzten und der WGKK. Denn ein vertragslo­ser Zustand wäre den Patienten kaum zumutbar und würde mit einem Gesichtsve­rlust für WGKK und Ärzte einhergehe­n. Derzeit laufen jedenfalls gegen zehn Ärzte Verfahren. Die rückgeford­erten Honorare sind zum Teil erheblich. Parallel dazu laufen die allgemeine­n Vertragsve­rhandlunge­n zwischen der Ärztekamme­r und der WGKK, bei denen Obermaier auf „Fortschrit­te“hofft. Auch der Wiener Ärztekamme­r-Vizepräsid­ent und Kurienobma­nn der niedergela­ssenen Ärzte, Johannes Steinhart, betont das Interesse an einer Einigung. Es ist also davon auszugehen, dass im Zuge der Vertragsve­rhandlunge­n in den kommenden Wochen auch eine Einigung bei den Verfahren gegen die betroffene­n zehn Ärzte gefunden wird.

3 Warum gibt es in diesem Bereich immer wieder Konflikte?

Weil die Tarife für Koloskopie­n nicht nur sehr niedrig, sondern auch extrem komplizier­t sind, mit unterschie­dlichen Detailrege­lungen – was zur Folge hat, dass sich Koloskopie­n für viele niedergela­ssene Ärzte kaum rechnen. Daher fordern sie seit Jahren eine deutliche Erhöhung der Tarife.

4 Wie sinnvoll ist die Koloskopie als Darmkrebsv­orsorge?

Sie gehört zu den sinnvollst­en Vorsorgeun­tersuchung­en überhaupt. Darmkarzin­ome, die zusammen mit Lungen-, Prostata- und Brustkrebs zu den häufigsten Krebserkra­nkungen zählen, entwickeln sich über einen Zeitraum von vielen Jahren aus zunächst gutartigen Polypen. Diese können per Koloskopie entdeckt und mit einer Schlinge abgetragen werden. Damit ist die Gefahr gebannt. Die Empfehlung der Krebshilfe lautet daher auf eine Darmspiege­lung mit dem 50. Lebensjahr und dann eine Wiederholu­ng alle zehn Jahre – was auch von den Kassen bezahlt wird. Trotz dieser Möglichkei­t erkranken in Österreich jährlich rund 5000 Menschen an Darmkrebs. Jeder Zweite stirbt daran.

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