Man urlaubt wieder in Krisenländern
Tourismus. Kann man in die Türkei fahren? Nach Ägypten? Immer mehr Österreicher sagen Ja. Damit sind sie spät dran. Das Comeback ist dort schon gelungen – wenn auch nicht flächendeckend.
„Jetzt ist die Zeit, nach Luxor zu fahren“, sagt John Kester. Kester ist kein Verkäufer, sondern Statistiker. Im Madrider Büro der Welttourismusorganisation (UNWTO) überwacht er die internationalen Reiseströme. Vor Kurzem war er selbst in Luxor. Und praktisch allein. Das deckt sich mit seinen Daten. Sieben Jahre nach Ausbruch des Arabischen Frühlings liegt der Tourismus rund um Nil und Pyramiden am Boden.
Luxor dürfte aber immer mehr zur traurigen Ausnahme werden. Krisenländer, die von den Touristen lang gemieden wurden, erfreuen sich neuer Beliebtheit. Die Türkei, Tunesien und Ägypten sind bis zu viermal besser gebucht als 2017, melden Tui und Ruefa. Selbst als der türkische Präsident Erdogan˘ zur Militäroffensive in Syrien rief, wurde munter weiter gebucht. Wo zwischen Jammer und Jubel liegt die Wahrheit? „Die Presse“hat die wichtigsten Daten analysiert.
ITürkei: Mit Sonne, Strand und einem Preisniveau weit unter dem von Spanien war die Türkei die sichere Bank für das All-inklusiveSortiment – bis 2016. Ein Putschversuch, Anschläge und Verstimmungen zwischen der Türkei und ihren Hauptmärkten Russland und Deutschland sorgten für wenig urlaubstaugliche Bilder. Die Ankünfte brachen in einem Jahr von 39,4 auf 30,3 Millionen ein. „Jetzt sind wir langsam auf dem Weg der Normalität“, sagt Kathrin Limpel von Tui. Sie spricht für Österreich.
Ein Blick über die Grenze zeigt: Andere haben den Weg längst hinter sich. Die internationalen Ankünfte waren 2017 laut dem türkischen Tourismusministerium fast wieder auf ihrem früheren Höchststand. Die UNWTO hat keine endgültigen Zahlen, Kester schätzt im Gespräch mit der „Presse“aber Ähnliches. Der Aufschwung wurde von der Rückkehr der Russen und Gästen aus dem Mittleren Osten befeuert. Westeuropa ließ ein weiteres Jahr aus. Das erklärt die Meinung in Österreich, dass die Hotels an den türkischen Stränden noch leer sind. Im deutschen Raum spielt der politische Konflikt stark in die Zahlen, sagt Kester. Ob Österreicher die Türkei aus Angst oder politischen Gründen meiden, ist aber relativ egal: Sie machen mit 288.000 Ankünften weniger als ein Prozent des Markts aus. Zum Vergleich: 2017 kamen wieder 4,7 Millionen Russen und lösten die Deutschen als größte Urlaubergruppe ab.
ITunesien: Von hier sprang der Revolutionsfunke im Winter 2010 auf den Großteil der arabischen Welt über. Das kostete Tunesien im Jahr darauf zwei seiner 7,8 Millionen Gäste. Aber schon davor hatte das Land nie die Anziehungskraft der Türkei: Während diese die Gästezahl von 921.000 im Jahr 1980 auf 39,4 Millionen 2015 schraubte, war hier das Allzeithoch mit 7,8 Millionen erreicht. Beschwörungen, dass die Urlauber sicher sind, wollen seit der Revolution nicht verfangen. Noch weniger, seit Terroristen 2015 Dutzende Touristen erschossen. Dass nach wie vor auf diese Attentate verwiesen wird, ist nicht fair, sagt Elyes Lakhal von Tunesiens Botschaft in Wien. „Seit zwei Jahren ist bei uns nichts passiert. Der Arabische Frühling ist überwunden.“
Tunesien ist „in der Bedeutungslosigkeit verschwunden“, sagt Ruefa-Chef Walter Krahl. 2010 flogen 53.500 Österreicher über das Mittelmeer, 2016 5300. Erst 2017 brachte eine zarte Wende. Doch wie in der Türkei zeigen die internationalen Zahlen: Andere haben das Land längst wiederentdeckt. 2017 kamen gut sieben Millionen Menschen. Lakhal ist zuversichtlich, dass der Aufschwung hält. Das ist zu wünschen. Tunesien hängt zu 7,4 Prozent direkt vom Tourismus ab. Der indirekte Beitrag wird auf das Doppelte geschätzt.
IÄgypten: 2017 konnte Ägypten 123.000 Österreicher anlocken – fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Dennoch ist Mohammed Abdel Gabbar, Ägyptens Tourismusdirektor in Berlin, unzufrieden. „Gut 90 Prozent der Gäste kommen nur für Urlaub am Roten Meer“, sagt er zur „Presse“. Die Reisebüros bestätigen das. „Es reduziert sich primär auf den Badetourismus“, sagt Krahl. „Dort gibt es drei Checkpoints zwischen Flughafen und Hotel“, erklärt Limpel von Tui. So fühle sich der Gast sicher. Das Sicherheitsbedürfnis hat Gründe: 2015 schoss ein ISAbleger eine russische Urlaubermaschine über dem Sinai ab. Russland kappte alle Flugverbindungen. Viele europäische Länder strichen ebenfalls ihre Kontingente.
Abdel Gabbar will die Touristen jetzt von den Vorzügen Luxors und Kairos überzeugen. Laut Experten wird das schwierig. „In Kairo kann die Sicherheit nicht im gleichen Maß gewährleistet werden“, sagt Kester. Gleiches gelte für die Ausgrabungsstätten. Kommende Woche soll Russlands Präsident Putin erste Flüge nach Kairo erlauben. Das wird die Erholung beschleunigen. Ob die Russen in Kairo in einen Flieger nach Hurghada umsteigen, ist die andere Frage.