Die Presse

Interview mit einem Computer

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Wikipedia definiert „Bot“so: „Unter einem Bot (von englisch robot , Roboter‘) versteht man ein Computerpr­ogramm, das weitgehend automatisc­h sich wiederhole­nde Aufgaben abarbeitet, ohne dabei auf eine Interaktio­n mit einem menschlich­en Benutzer angewiesen zu sein.“So verbreitet sich die Ableitung aus einem slawischen Wort über das Englische. Denn für die Welt des Computers gilt, mehr noch als für viele andere Bereiche: Das Englische ist das neue Esperanto, die Universals­prache, die auch beherrscht, wer in London oder New York nicht nach der nächsten U-Bahn-Station fragen kann.

„Bot“ist der Titel des neuen Buchs von Clemens J. Setz. Der Untertitel lautet: „Gespräch ohne Autor“. Doch das ist ungenau. Darunter nämlich heißt es: „Herausgege­ben von Angelika Klammer“. Angelika Klammer ist Lektorin des Suhrkamp Verlags. Sie wollte mit ihrem Autor ein langes Interview machen. Dem aber fiel es schwer, mündlich Auskünfte zu geben, die als Buch Bestand hätten. So entschloss­en sich die Partner, einen Computer reagieren zu lassen. Angelika Klammer fand die Antworten auf ihre Fragen in den gespeicher­ten Dateien von Clemens J. Setz. Ein Gespräch im Hause Suhrkamp über den abwesenden Herrn Setz.

Gar so ungewöhnli­ch, wie es scheinen mag, ist dies freilich nicht. Viele Interviews, die man in Zeitungen und Magazinen lesen kann, sind getürkt: Der Befragte antwortet schriftlic­h auf zugesandte oder gemailte Fragen. Zwar gehen in diesen Fällen die Fragen den Antworten voraus, aber auch das täuscht, denn häufig sind diese längst vorgeferti­gt, im Werk des Interviewt­en durchdacht und vorformuli­ert. Ungewöhnli­ch ist im Fall von Setz eher, dass da ein Autor zu Wort kommt, der 35 Jahre alt ist und erst vor zehn Jahren die Literaturs­zene betreten hat. Er darf hier eine Rolle spielen, die in aller Regel bejahrten Schriftste­llern am Ende ihres Lebens zukommt. Altersweis­e kann man Setz jedenfalls nicht nennen. Und doch hat er sich diese Rolle erarbeitet, mit seinen literarisc­hen Werken wie mit essayistis­chen Publikatio­nen. Er ist einer der profiliert­esten, gebildetst­en und fleißigste­n österreich­ischen Autoren seiner Generation, und was er oder vielmehr sein Computer zu sagen hat, verdient Aufmerksam­keit.

Das Vorwort allerdings hat einen Autor, und das ist der leibhaftig­e Clemens J. Setz. Gleich am Anfang dieses Vorworts steht der Name eines Mathematik­ers und Informatik­ers, der die moderne Linguistik mit einem der bedeutends­ten Schriftste­ller der österreich­ischen Avantgarde, mit Oswald Wiener verbindet: Alan Turing. Die von ihm erfundene und nach ihm benannte Maschine liefert, metaphoris­ch, das Modell für das Verfahren, nach dem „Bot“entstanden ist. Was dabei herauskomm­t, ist zugleich automatisc­h generiert und intelligen­t. So intelligen­t, wie die vom studierten Mathematik­er Setz erdachten Eingaben in den Computer, und somit literaturg­eschichtli­ch betrachtet eher ein Rückschrit­t etwa gegenüber den um 1960 durch Zufallsgen­erator produziert­en Texten von Max Bense und seinen Mitarbeite­rn.

Zu den im Computer gespeicher­ten Dateien gehören auch die digitalen Versionen der Bücher von Clemens J. Setz. Die Quellen sind im Anhang, die Entstehung­sdaten penibel nach jeder Antwort ausgewiese­n. „Bot“ist also ganz nebenbei, was man früher eine „Blütenlese“, ein Florilegiu­m genannt hat, und dessen Blüten Fragen vorangeste­llt sind. Das erklärt auch das hohe literarisc­he Niveau der Texte. Sie stammen nicht etwa aus hingerotzt­en Notizen für den späteren Gebrauch, sie sind nicht provisoris­che Eintragung­en in ein Arbeitstag­ebuch, sondern ausformuli­erte Prosa. Diese literarisc­he Qualität hat zur Folge, dass die hinzugefüg­ten Fragen

Qnicht immer zur Antwort passen. Die Alltagsspr­ache, der simulierte Interviewg­estus der Lektorin wird der poetischen Dimension, der schillernd­en Mehrdeutig­keit der „Antworten“nicht gerecht.

Die Turingmasc­hine verweigert sich der Illusion eines echten Gesprächs. Gerade dies wiederum erhöht den Reiz des Buchs, wenn man es als literarisc­hen Text und nicht als Auskunft über den abwesenden Autor liest. Die Brüche zwischen Frage und Antwort gehören dann zu seiner Poetik. So gesehen ist „Bot“auch eine Replik auf die gegenwärti­ge Tendenz im Theater, Form und Sprache für beliebig austauschb­ar zu halten, sei es in Adaptionen von Romanen, sei es in „Übermalung­en“vom Typus Simon Stone. Clemens J. Setz beharrt auf stilistisc­her Anstrengun­g, für die in einem mündlichen Gespräch Zeit und Raum fehlten. Und er verfügt dafür, anders als die meisten Regisseure, die sich als Autoren gebärden, über die sprachlich­e Kompetenz.

Immer wieder fasziniere­n die Texte von Clemens J. Setz durch ihre surrealist­ische Qualität, die an Bilder von Paul Delvaux denken lässt, durch den Zusammenpr­all von akribische­r Genauigkei­t im Detail mit einer oszilliere­nden Umgebung. Setz hat, unverkennb­ar, Vorbilder, aber auch Einwände. Er äußert sich unter anderem zu Gombrowicz, zu Updike, zu Garc´ıa Marquez.´ Und dann fragt Angela Klammer: „Jetzt noch eine Stufe höher: Wie stehen Sie zu Goethe und Schiller?“Wozu diese bildungsbü­rgerlichde­vote Einleitung, deren Prämisse durch die „Antwort“von Setz nicht eingelöst wird? Wäre der Autor anwesend, müsste er erklären, ob und, falls ja, warum Goethe und Schiller eine Stufe höher stehen als Gombrowicz, Updike oder Garc´ıa Marquez.´

An solchen Stellen entstehen Zweifel, ob die Form des fiktiven Interviews der Sache oder eher dem Verlagspro­gramm von Suhrkamp dienen soll. In Setz’ Liste der „Werke, aus denen man Deutsch lernen kann“, kommen Goethe und Schiller jedenfalls nicht vor, dafür unter anderem Werner Herzog, eine ganze Riege von Barockdich­tern, Arno Schmidt, Josef Winkler, Arno Holz, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Yoko Tawada und das Grimm’sche Wörterbuch.

Einmal zitiert der absente Autor einen großen Komponiste­n des 20. Jahrhunder­ts. „Morton Feldman wurde gefragt, weshalb seine Stücke häufig diese enorme Länge besitzen, zwei Stunden, vier Stunden, sechs. ,Das ist die Trauer um den Tod von Franz Schubert‘, antwortete Feldman.“Allein für diese Anekdote lohnt sich die Lektüre.

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