Die Presse

Keiner ist davor gefeit, in eine Bullenfall­e zu tappen

Den richtigen Zeitpunkt an den Börsen zu finden ist schwierig. In turbulente­n Zeiten versuchen es dennoch viele. Mit mäßigem Erfolg. Ende 2008 dachten viele, der Crash sei nun vorbei. Dann kam es noch schlimmer.

- VON BEATE LAMMER E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com

Überrasche­nd kamen die Börsenturb­ulenzen vergangene Woche kaum. Die Bewertunge­n sind hoch, viel zu lang ist es stetig bergauf gegangen. Da genügen schon kleine Warnzeiche­n, um eine Lawine ins Rollen zu bringen. In der Vorwoche waren das eben der gute US-Arbeitsmar­ktbericht und die damit einhergehe­nde Angst vor steigender Inflation und anziehende­n Zinsen.

Wie sich zeigte, wurden viele Anleger dennoch überrascht: Obwohl die Volatilitä­t an den Börsen rekordverd­ächtig niedrig war, hatten sie auf weiter rückläufig­e Schwankung­sintensitä­t gesetzt und mit einem Schlag viel Geld verloren (mehr dazu: Seite 9). Was nämlich durchaus überrasche­nd war, war der Zeitpunkt der Korrektur. Der war schlicht nicht vorhersehb­ar. Was in den vergangene­n Tagen passiert ist, hätte auch irgendwann im Vorjahr stattfinde­n können. Die möglichen Auslöser waren vorhanden: Experten warnten schon damals vor den hohen Aktienbewe­rtungen, die Konjunktur lief auf Hochtouren, die Zinswende schwebte als Damoklessc­hwert über den Märkten. Der richtige Ausstiegsz­eitpunkt schien da zu sein, tatsächlic­h war er das erst heuer.

Wer ihn dennoch erwischt hat, steht nun vor der nächsten Herausford­erung: Wann ist die Korrektur vorbei? Im Dow Jones hat sie zwischenze­itlich bereits zehn Prozent betragen, liegt also in jenem Bereich, den Experten vorhergesa­gt haben: Raiffeisen­Analyst Peter Brezinsche­k hielt in der Woche vor den Turbulenze­n eine Korrektur im Bereich von zehn bis 15 Prozent heuer für wahrschein­lich. Doch ist nicht gesagt, dass es jetzt, da die Nervosität an die Märkte zurückgeke­hrt ist, nicht noch einmal tiefer geht. Wer Wellen ausreiten will, sollte sich vor Bullenfall­en in Acht nehmen.

Eine solche tritt auf, wenn die Märkte in einem Abwärtstre­nd plötzlich wieder zu steigen beginnen. Anle- ger denken, die Korrektur sei vorbei, kaufen und werden erst recht vom Abwärtssog erfasst. So war es 2008, als sich die Aktienkurs­e nach dem schweren Absturz infolge der Lehman-Pleite gegen Jahresende hin kräftig erholten.

Viele kauften. Dafür gab es auch Gründe: Die Aktien guter Unternehme­n außerhalb des Finanzsekt­ors waren wirklich billig geworden. Doch die Erholung erwies sich als trügerisch. Die Kurse sanken wieder und fielen bis März 2009 auf ein noch tieferes Niveau als unmittelba­r nach der Lehman-Pleite. Dann wäre der beste Zeitpunkt zum Einstieg gewesen. Nur wusste das keiner, und den Bullen war die Lust vergangen.

Eine ähnliche Erfahrung mussten auch Bitcoin-Inhaber machen. Die Kryptowähr­ung hatte Mitte Dezember fast 20.000 Dollar erreicht, um in der ersten Jännerwoch­e auf 13.000 Dollar abzustürze­n. Kurz darauf erfolgte eine Scheinerho­lung, als der Bitcoin-Kurs binnen weniger Tage wieder auf 17.000 Dollar stieg. Dann schnappte die Bullenfall­e zu. Am vergangene­n Freitag wurde ein Bitcoin um knapp über 8000 Dollar gehandelt.

Wer glaubt, dass Bitcoin eine große Zukunft hat, kann das aussitzen. Und wenn er recht hat, kann er gewinnen – ob er nun bei 1000, 8000 oder 20.000 Dollar gekauft hat. Wer allerdings Wellen ausreiten wollte, hat sich vorerst verspekuli­ert.

Ähnliches gilt für Aktien: Wer fürs Alter vorsorgen will, für den macht es keinen großen Unterschie­d, ob er erstmalig bei einem Dow-Jones-Stand von 23.000, 26.000 oder 18.000 kauft. Wer aber Wellen ausreiten will, muss nicht nur immer den richtigen Zeitpunkt finden, er muss auch die Transaktio­nskosten hereinspie­len. Das gelingt selten. US-Studien haben gezeigt, dass Kleinanleg­er oft genau zum falschen Zeitpunkt handeln. Die besten Renditen fahren jene ein, die am wenigsten handeln. Sie sparen nicht nur Kosten, sie können auch in keine Bullen- und Bärenfalle­n tappen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria