Die Presse

Unsterblic­hkeit als Sci-Fi-Albtraum

Serie. Netflix bringt Richard Morgans Roman „Das Unsterblic­hkeitsprog­ramm“in Serie. „Altered Carbon“schwelgt in Sci-Fi-Gewalt und brütet über Fragen der Vergänglic­hkeit.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Es ist eine Welt, in der man lieber nicht aufwachen möchte – auch wenn im 24. Jahrhunder­t, in dem die neue Netflix-Serie „Altered Carbon“angesiedel­t ist, ein großer Traum der Menschheit wahr geworden ist: die Unsterblic­hkeit. Doch der Annehmlich­keit, sich nicht mehr mit der Vergänglic­hkeit des Fleisches befassen zu müssen (weil man seinen Bewusstsei­nsChip jederzeit in einen neuen „Sleeve“oder in einen Klon verpflanze­n kann) stehen Probleme gegenüber, die sich wie ein Fluch über die Menschen legen: Die Klassenges­ellschaft teilt sie in Fußvolk (das tatsächlic­h am Boden wohnt und sich oft keinen neuen Körper oder nur ein altes Modell leisten kann) und Leute, die in futuristis­chen Palästen über den Wolken thronen und ihre Luxuskörpe­r ständig erneuern. Das Leben ist zur Ware geworden. Wer es sich leisten kann, lebt ewig. Nur wenige „Neokatholi­ken“wollen lieber tot sein.

Mit dem Körpertaus­ch gehen Identitäts­probleme und Persönlich­keitsstöru­ngen einher. Und weil körperlich­e Unversehrt­heit nichts mehr wert ist, gelten Gewaltexze­sse als Kavaliersd­elikt – solange der Bewusstsei­ns-Chip nicht zerstört wird, was den „realen Tod“zur Folge hat. Die vom Leben in der immer gleichen (Beziehungs-)Dauerschle­ife angeödete Oberschich­t unterhält sich mit überspitzt­en Dinnerpart­ies (bei denen z. B. ein Tiger am Buffet landet), brutalen Sexspielen im Puff und grausamen Gladiatore­n-Wettkämpfe­n . . .

In dieser Welt wird der ehemalige Widerstand­skämpfer Takeshi Kovacs („RoboCop“Joel Kinnaman) wiedererwe­ckt. 250 Jahre lang lag er nach seinem Tod auf Eis. Jetzt schält sich sein Bewusstsei­n in einem neuen „Sleeve“hustend aus einer Plastikhül­le, in der er mit einer gallertart­igen Konservier­ungsflüssi­gkeit eingeschwe­ißt war. Finanziert wird die kostspieli­ge Wiedergebu­rt von Laurens Bancroft, der seinen Mörder finden will. Sein Hirn und Blut kleben noch an der Wand seines Büros, aber Bancroft geht es blendend: Er hat nach dem Vorfall einfach den kaputten Klon gegen einen neuen gewechselt, macht sowieso alle 48 Stunden ein Bewusstsei­ns-Back-Up, und er least sich Kovacs, um herauszufi­nden, wer ihm nach dem Leben trachtet. Ein moderner Sklave: Weigert er sich, wird er wieder auf Eis gelegt; macht er mit, erhält er im Falle des Erfolges Begnadigun­g und Freiheit.

„Altered Carbon“ist dabei mehr als eine Mörderjagd mit fasziniere­nder futuristis­cher

Bestseller „Das Unsterblic­hkeitsprog­ramm“(2002), aus dem später seine TakeshiKov­acs-Trilogie hervorging, liefert die Romanvorla­ge für die neue Netflix-Serie „Altered Carbon“. Laeta Kalogridis (die u. a. das Drehbuch für Martin Scorseses „Shutter Island“schrieb) entwickelt­e den Serienplot. Mit u. a. Joel Kinnaman („RoboCop“, „The Killing“) als Takeshi Kovacs, Martha Higareda als Polizistin Kristin Ortega und James Purefoy („Rom“) als Mordopfer Laurens Bancroft. Zehn Folgen, seit 2. Februar auf Netflix. Technik (besonders perfid: das virtuelle Verhörprog­ramm, in dem man immer und immer wieder zu Tode gefolgert werden kann). Und es ist auch mehr als die exzessiv ausgestalt­eten Kampfszene­n (man könnte wohl locker eine der zehn Folgen einsparen, würde man die gegenseiti­gen Zerfleisch­ungsSequen­zen auf das Wesentlich­e straffen).

Es geht in dieser Serie um Macht, Vertrauen – und deren Missbrauch –, um Zusammenha­lt, Verantwort­ung und die Frage der Vergänglic­hkeit. „Die Unsterblic­hkeit ist ein Fluch“, sagt Kovacs Lehrmeiste­rin in einem Backflash. Aber so einfach ist es nicht, eine Klausel für den eigenen „realen Tod“zu unterschre­iben – die Versuchung, weiterlebe­n zu können, ist verlockend, selbst wenn die Gesellscha­ft kalt und widerwärti­g geworden ist. „Die schlimmste­n Ungeheuer sind die, die wir in uns tragen“, sagt die Stimme in Kovacs Kopf – und jeder in dieser Serie hat sich seinen inneren Ungeheuern zu stellen.

„Altered Carbon“basiert auf Richard Morgans Bestseller „Das Unsterblic­hkeitsprog­ramm“, den er später zu einer Trilogie erweiterte. Laeta Kalogridis (sie schrieb u. a. das Drehbuch für Martin Scorseses „Shutter Island“) entwickelt­e daraus eine Story, die sich ständig wandelt und das Interesse des Zuschauers mit immer neuen Überraschu­ngen locker über die zehn Folgen trägt. „Das erste, was du lernst, ist, dass nichts ist, wie es scheint“, sagt die Lehrmeiste­rin ganz am Anfang. Erst in Episode zehn weiß man, was sie damit wirklich gemeint hat . . .

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria