Putin startet eine Säuberungswelle vor der Wahl
Russland. In einem massiven Einsatz geht die Zentralmacht gegen Korruption in der Nordkaukasusrepublik Dagestan vor. Das geschieht nicht zufällig kurz vor der Präsidentenwahl – und wird Folgen fürs ethnische Gleichgewicht haben.
Als Wladimir Wasiljew im Oktober des Vorjahres seinen Job als neuer Präsident Dagestans antrat, blickten sowohl Beobachter als auch die Bewohner der russischen Teilrepublik mit Spannung auf seinen Amtssitz in Machatschkala. Wasiljews Ernennung war ein aufsehenerregender Schritt: In der drei Millionen Einwohner zählenden Vielvölkerrepublik im Nordkaukasus hatten bisher lokale Schwergewichte das Sagen.
Der von Wasiljew abgelöste Präsident Ramasan Abdulatipow gehörte der Volksgruppe der Awaren an; die verschiedenen Nationalitäten partizipieren in einem fragilen Proporzsystem an der Macht. Wasiljew aber ist ein Moskauer Outsider, diente als Funktionär der Kreml-Partei Einiges Russland und machte Karriere in den Sicherheitsstrukturen. Wie würde Moskaus Gesandter die Republik umkrempeln?
Doch nichts passierte. Man munkelte bereits, dass der mit 68 Jahren nicht mehr ganz junge Wasiljew, dessen Mandat zunächst bis September dauert, wohl doch nur die Aufgabe bekommen habe, eine geordnete Präsidentenwahl am 18. März zu organisieren. In Dagestan, das an die frühere Kriegsregion Tschetschenien grenzt, sind islamistische Extremisten aktiv. Zudem registrierte man in der Vergangenheit bei Wahlen schwere Verstöße. Und dann kamen die Festnahmen vom 5. Februar.
Luxus-Anwesen und Gold-Colt
An diesem Montag verhafteten Sicherheitskräfte in einer konzertierten Aktion mehrere hohe Beamte der Teilrepublik, darunter den Premierminister Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und den früheren Bildungsminister. Sie wurden per Flugzeug nach Moskau überstellt, wo sie vernommen wurden. Schon davor festgenommen worden war der Architekt von Machatschkala und der Bürgermeister der Stadt. Ihnen allen wird massive Hinterziehung von öffentlichen Geldern und persönliche Bereicherung vorgeworfen. Im Fernsehen waren Bilder der luxuriösen Anwesen der Funktionäre am Ufer des Kaspischen Meeres zu sehen; in die Kamera gehalten wurde zudem eine goldene Pistole des Premiers mit dessen Initialen.
Eine eigens eingerichtete Kommission des nationalen Ermittlungskomitees durchkämmt nun die Republik. Auch föderale Behörden wie das Schatzamt sollen Gelder in Milliardenhöhe hinterzogen haben. Bisher wurden 71 Strafverfahren eingeleitet. Es heißt, man habe mehr als 2400 Gesetzesverstöße registriert. „Wir ändern die Spielregeln“, sagte Wasiljew plakativ in einem TV-Interview.
Medial verwertbare Aufräumaktionen sind in Russland nicht unüblich. Vor allem kurz vor der Wahl könnte man den Bürgern signalisieren wollen, dass Moskau durchgreifen kann – sogar im von Vetternwirtschaft geplagten Nordkaukasus. Doch ein lokaler Journalist, der seinen Namen nicht nennen will, spricht gegenüber der „Presse“von einer „noch nie dagewesenen Säuberungsaktion“, deren Ende nicht absehbar sei. Einerseits seien viele der nun geäußerten Vorwürfe in der Region bestens bekannt; andererseits ziehe das harte Agieren der Sicherheitsbehörden mittlerweile weite Kreise – „womöglich bis nach Moskau“. Vor Ort sei man sich nicht einmal mehr sicher, ob der frühere Präsident Ramasan Abdulatipow aus der Affäre ungeschoren hervorgehen werde.
Ob sich das Staubaufwirbeln der Einsatzkräfte in Gerichtsurteilen niederschlagen wird, bleibt abzuwarten. Die Konsequenzen der Aktion werden in Machatschkala bereits diskutiert: Wer könnte künftig die politische Führungsrolle in der Republik übernehmen? „Es ist schwer vorzustellen, wie ein Lokaler jetzt die Kontrolle halten könnte“, sagt der Gesprächspartner der „Presse“angesichts des gestörten Gleichgewichts.
Womöglich wird Wasiljews Einsatz am Kaspischen Meer doch noch länger dauern. Oder aber der neue Premier Artjom Sdunow stellt sich als geeigneter Nachfolger heraus. Den hat man übrigens eigens aus Tatarstan eingeflogen.