Die Presse

Labour will eine Zollunion mit der EU und eine möglichst enge Anbindung an den Binnenmark­t. Premiermin­isterin May gerät dadurch massiv unter Druck.

Großbritan­nien.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die opposition­elle Labour Party bringt die britische Regierung unter massiven Druck, ihre BrexitPosi­tion abzumilder­n. In einer Grundsatzr­ede wird heute, Montag, Parteichef Jeremy Corbyn die Partei auf eine Zollunion mit der EU auch nach dem Austritt aus der Union festlegen. Brexit-Sprecher Keir Starmer erklärte dazu in der BBC: „Ein neues Abkommen, das die bestehende Zollunion fortschrei­bt, ist der einzig realistisc­he Weg vorwärts.“Der Beibehalt des freien Zugangs zum EU-Binnenmark­t, dem größten der Welt, sei für die britische Wirtschaft essenziell.

Labour legt sich damit nach monatelang­em Zögern auf eine Position fest, die Premiermin­isterin Theresa May gewaltig ins Schwitzen bringen wird. Ihre konservati­ve Regierung hat keine eigene Mehrheit im Parlament, und erst Ende vergangene­r Woche brachten Rebellen ihrer Partei einen Antrag ein, der die Regierung nach dem Brexit de facto auf eine Zollunion mit der EU festlegen will. „Es ist praktisch dasselbe, was wir wollen“, schloss Starmer gestern eine Zustimmung seiner Labour-Partei zu dem Antrag nicht aus.

Bei einem Zusammensc­hluss aller Befürworte­r eines sanften Brexit droht May damit vor dem nächsten informelle­n EU-Gipfel eine weitere Abstimmung­sniederlag­e. In politische­n Kreisen in London wird bei einem parteiüber­greifenden Zusammenwi­rken der proeuropäi­schen Kräfte sogar schon davon gesprochen, dass die zutiefst zerstritte­ne Regierung stürzen könnte. „Unter den Abgeordnet­en aller Fraktionen wächst das Bewusstsei­n, was sie jetzt alles in der Hand haben“, sagte der frühere Labour-Minister Chris Leslie.

Paradoxerw­eise könnte es ausgerechn­et der Aufschwung von Labour sein, der die Tories zum Zusammenha­lt auf ihrem rasch sinkenden Schiff zwingt. In einer jüngsten Meinungsum­frage überholte die Corbyn-Partei erstmals Mays Konservati­ve. Handelsmin­ister Liam Fox, ein führender „Brexiteer“, bestätigte gestern, dass man aus Angst vor einer Niederlage die Abstimmung zu verzögern versuche: „Wir wollen erst alle von unserer Position überzeugen.“

Diese wurde Ende der Vorwoche in einer Regierungs­klausur festgelegt und soll von May am Freitag in einer Rede vorgestell­t werden. Soweit bereits bekannt ist, hält London an seiner Politik des Rosinenkla­ubens fest, wenngleich man mit „managed divergence“einen elegantere­n Begriff geschaffen hat. Die britische Regierung will die künftigen Wirtschaft­sbeziehung­en mit der EU in drei Körbe („baskets“) gliedern: Im ersten Bereich, etwa in der Automobilo­der Chemieindu­strie, soll weiterhin regulatori­sche Übereinsti­mmung bestehen und die Rechtsspre­chung des Europäisch­en Gerichtsho­fs gelten. Im zweiten, beispielsw­eise bei Dienstleis­tungen, sollen möglichst enge Vereinbaru­ngen getroffen und von gemeinsame­n Gremien überwacht werden. Im dritten Korb schließlic­h, etwa bei Zukunftste­chnologie, wollen die Briten ihre eigenen Wege gehen.

Labour tritt nun für ein Festhalten an einer Zollunion mit der EU ein. Durch eine möglichst starke Anbindung an den Binnenmark­t soll die britische Wirtschaft abgesicher­t werden. Die Regierung unter Theresa May sieht sich einem Hard Brexit verpflicht­et. An die Stelle einer generellen Zollunion soll ein Handelsabk­ommen treten, das britische Interessen absichert.

In Brüssel wurden diese Vorstellun­gen umgehend zurückgewi­esen. Von „reiner Illusion“sprach EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk. „Wir haben von Anfang an klargemach­t, dass es kein Rosinenkla­uben geben kann.“Der irische Regierungs­chef, Leo Varadkar, meinte: „Es kann nicht sein, dass die Briten in jenen Bereichen an die EU angepasst sind, in denen es ihnen passt, und dort nicht, wo es ihnen nicht gefällt.“

Premiermin­isterin May hat sich wiederholt festgelegt, dass der Brexit für sie einen Austritt aus dem EU-Binnenmark­t und aus der Zollunion bedeute. Warnungen, dass damit schwere wirtschaft­liche Schäden verbunden sein würden, treten Brexit-Anhänger mit der Behauptung entgegen, dass Großbritan­nien außerhalb der EU „frei sein wird, mit der ganzen Welt Handelsabk­ommen zu schließen“. Eine weitere Zollunion ist für Hardliner ein „Verrat“. Mit 43 Prozent aller Exporte ist die EU aber weiter der größte Wirtschaft­spartner der Briten. Dennoch erklärte May gestern: „Wenn wir es richtig hinbekomme­n, wird der Brexit der Beginn eines neuen strahlende­n Kapitels in der Geschichte unserer Nation, und unsere besten Tage werden erst vor uns liegen.“Wenn . . .

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