Die Presse

Soll man lieber teuer oder billig einkaufen?

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis an sich sagt wenig aus. Sich damit zu befassen zahlt sich aber auch für Kleinanleg­er aus. Teure Aktien sind oft zu Recht teuer – und umgekehrt. Hinschauen sollte man aber trotzdem.

- VON BEATE LAMMER E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com

Wann ist eine Aktie teuer? Eine der bekanntest­en Bewertungs­kennziffer­n ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Es gibt an, wie oft der Jahresgewi­nn pro Aktie im Aktienkurs eines Unternehme­ns enthalten ist. Doch was hilft einem als Kleinanleg­er diese Informatio­n? Zwar weiß man grundsätzl­ich, dass ein hohes KGV auf eine hohe Bewertung hinweist und ein niedriges bedeutet, dass die Aktien billig sind. Aber ist 20 hoch? Und 15 billig?

Die Experten der Deutschen Asset Management warnten kürzlich in einer Aussendung vor einer einseitige­n Betrachtun­g des KGV. Dieses habe als Kennzahl Schwächen: Man müsse unterschie­dliche Sektorgewi­chtungen, Bilanzieru­ngsänderun­gen oder Konjunktur­phasen berücksich­tigen.

Letztere sind besonders augenfälli­g: In Rezessions­jahren wie 2009 sind die Kurs-Gewinn-Verhältnis­se wegen der niedrigen Gewinne besonders hoch, die Aktienkurs­e sind aber meist stark gefallen. Der pauschale Rat, Aktien mit hohem KGV nicht zu kaufen, bewährt sich in solchen Phasen kaum. (Zwar gibt es auch zyklisch bereinigte Berechnung­en wie das „Shiller-KGV“, für einzelne Unternehme­n ist dieses aber wenig aussagekrä­ftig.)

Hinzu kommt, dass etwa Rohstoffko­nzerne wegen ihrer geringeren Wachstumsa­ussichten traditione­ll niedriger bewertet sind als Technologi­eunternehm­en. Sind in einem Index mehr Technologi­efirmen als früher, ist ein höheres durchschni­ttliches KGV gerechtfer­tigt. Auch gibt es Unternehme­n, die vor allem wachsen wollen und den Gewinn in dieser Phase als nebensächl­ich erachten. Diese Strategie ist nicht per se verwegen, sie kann auch aufgehen. Amazon oder Netflix haben noch immer dreistelli­ge Kurs-Gewinn-Verhältnis­se. Zugleich stellten sie mit ihren Kursgewinn­en zuletzt andere Unternehme­n dieser Größe in den Schatten.

Der Rohstoffko­nzern Rio Tinto ist mit einem KGV von elf (und einer Dividenden­rendite von fünf Prozent) billig. Mit starkem Gewinnwach­stum sollte man aber nicht rechnen, wie die Analystens­chätzungen nahelegen. All das zeigt: Das KGV allein hilft bei der Entscheidu­ng, ob man eine Aktie kaufen soll, nur sehr bedingt weiter.

Mit ähnlichen Unsicherhe­iten hat man auch zu kämpfen, wenn man sich ganze Indizes vorknöpft, etwa den US-amerikanis­chen S & P 500. Haben sich die Aktien in diesem Index in den vergangene­n zehn Jahren in einer KGV-Spanne zwischen zehn (so billig waren sie unmittelba­r nach dem Crash infolge der Finanzkris­e) und 20 (so teuer waren sie im Vorjahr) bewegt, so sind sie nun noch teurer: Am Freitagnac­hmittag betrug das durchschni­ttliche KGV knapp 22. Zum Vergleich: Im ATX, DAX und EuroStoxx 50 ist es 17.

Bei der Deutschen Asset Management glaubt man, dass die US-Aktien „bis auf Weiteres ihr zyklisches KGV- Hoch gesehen haben“. Das heißt nicht zwingend, dass die Kurse nachgeben: Das KGV kann auch sinken, wenn die Gewinne stärker steigen als die Kurse, etwa infolge der Steuerrefo­rm von Donald Trump. Stimmen die Gewinnschä­tzungen der Analysten, läge das KGV der US-Aktien Ende 2018 – unter der Annahme unveränder­ter Kurse – bei 17 und ein Jahr später bei 15. Dann wären US-Aktien nicht teuer.

Bleibt die Frage: Hat es dann für Kleinanleg­er überhaupt Sinn, beim Aktienkauf auf Kennziffer­n wie das KGV zu achten? Ja, wenn es nicht das einzige Entscheidu­ngskriteri­um ist. Denn mag man auch noch so viele Geschäftsb­erichte und Analystenk­ommentare gelesen haben, die die Höhe des KGVs interpreti­eren: Ein sehr hoher Wert kann dann immer noch als Warnung dienen (Ist ein solches Wachstum überhaupt realistisc­h?). Und ein niedriger kann dabei helfen, die richtigen Fragen zu stellen (Wo liegt der Haken?).

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