Soll man lieber teuer oder billig einkaufen?
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis an sich sagt wenig aus. Sich damit zu befassen zahlt sich aber auch für Kleinanleger aus. Teure Aktien sind oft zu Recht teuer – und umgekehrt. Hinschauen sollte man aber trotzdem.
Wann ist eine Aktie teuer? Eine der bekanntesten Bewertungskennziffern ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Es gibt an, wie oft der Jahresgewinn pro Aktie im Aktienkurs eines Unternehmens enthalten ist. Doch was hilft einem als Kleinanleger diese Information? Zwar weiß man grundsätzlich, dass ein hohes KGV auf eine hohe Bewertung hinweist und ein niedriges bedeutet, dass die Aktien billig sind. Aber ist 20 hoch? Und 15 billig?
Die Experten der Deutschen Asset Management warnten kürzlich in einer Aussendung vor einer einseitigen Betrachtung des KGV. Dieses habe als Kennzahl Schwächen: Man müsse unterschiedliche Sektorgewichtungen, Bilanzierungsänderungen oder Konjunkturphasen berücksichtigen.
Letztere sind besonders augenfällig: In Rezessionsjahren wie 2009 sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse wegen der niedrigen Gewinne besonders hoch, die Aktienkurse sind aber meist stark gefallen. Der pauschale Rat, Aktien mit hohem KGV nicht zu kaufen, bewährt sich in solchen Phasen kaum. (Zwar gibt es auch zyklisch bereinigte Berechnungen wie das „Shiller-KGV“, für einzelne Unternehmen ist dieses aber wenig aussagekräftig.)
Hinzu kommt, dass etwa Rohstoffkonzerne wegen ihrer geringeren Wachstumsaussichten traditionell niedriger bewertet sind als Technologieunternehmen. Sind in einem Index mehr Technologiefirmen als früher, ist ein höheres durchschnittliches KGV gerechtfertigt. Auch gibt es Unternehmen, die vor allem wachsen wollen und den Gewinn in dieser Phase als nebensächlich erachten. Diese Strategie ist nicht per se verwegen, sie kann auch aufgehen. Amazon oder Netflix haben noch immer dreistellige Kurs-Gewinn-Verhältnisse. Zugleich stellten sie mit ihren Kursgewinnen zuletzt andere Unternehmen dieser Größe in den Schatten.
Der Rohstoffkonzern Rio Tinto ist mit einem KGV von elf (und einer Dividendenrendite von fünf Prozent) billig. Mit starkem Gewinnwachstum sollte man aber nicht rechnen, wie die Analystenschätzungen nahelegen. All das zeigt: Das KGV allein hilft bei der Entscheidung, ob man eine Aktie kaufen soll, nur sehr bedingt weiter.
Mit ähnlichen Unsicherheiten hat man auch zu kämpfen, wenn man sich ganze Indizes vorknöpft, etwa den US-amerikanischen S & P 500. Haben sich die Aktien in diesem Index in den vergangenen zehn Jahren in einer KGV-Spanne zwischen zehn (so billig waren sie unmittelbar nach dem Crash infolge der Finanzkrise) und 20 (so teuer waren sie im Vorjahr) bewegt, so sind sie nun noch teurer: Am Freitagnachmittag betrug das durchschnittliche KGV knapp 22. Zum Vergleich: Im ATX, DAX und EuroStoxx 50 ist es 17.
Bei der Deutschen Asset Management glaubt man, dass die US-Aktien „bis auf Weiteres ihr zyklisches KGV- Hoch gesehen haben“. Das heißt nicht zwingend, dass die Kurse nachgeben: Das KGV kann auch sinken, wenn die Gewinne stärker steigen als die Kurse, etwa infolge der Steuerreform von Donald Trump. Stimmen die Gewinnschätzungen der Analysten, läge das KGV der US-Aktien Ende 2018 – unter der Annahme unveränderter Kurse – bei 17 und ein Jahr später bei 15. Dann wären US-Aktien nicht teuer.
Bleibt die Frage: Hat es dann für Kleinanleger überhaupt Sinn, beim Aktienkauf auf Kennziffern wie das KGV zu achten? Ja, wenn es nicht das einzige Entscheidungskriterium ist. Denn mag man auch noch so viele Geschäftsberichte und Analystenkommentare gelesen haben, die die Höhe des KGVs interpretieren: Ein sehr hoher Wert kann dann immer noch als Warnung dienen (Ist ein solches Wachstum überhaupt realistisch?). Und ein niedriger kann dabei helfen, die richtigen Fragen zu stellen (Wo liegt der Haken?).