Die Presse

Autonomie besser heute als morgen

Erwachsene­nschutz. Aus finanziell­en Gründen scheint das für 1. Juli geplante Inkrafttre­ten des neuen Gesetzes in Gefahr. Betroffene können sich nur wünschen, dass es nicht aufgeschob­en wird.

- VON JÜRGEN WALLNER Priv.-Doz. Dr. Jürgen Wallner, MBA leitet das Ethikprogr­amm der Barmherzig­en Brüder Österreich und lehrt Rechtsethi­k an den Universitä­ten Wien und Linz.

Was passiert eigentlich, wenn das 2. Erwachsene­nschutzges­etz nicht am 1. Juli 2018 in Kraft tritt? Viele Menschen werden sich denken: Keine Ahnung, aber mich betrifft es ohnedies nicht. Das kann sich von heute auf morgen ändern. Etwa, wenn Sie einen Schlaganfa­ll erleiden, einen Autounfall haben oder Demenzsymp­tome merkbar werden und Sie deshalb nicht mehr voll über Ihr Leben entscheide­n können. Deshalb sollte jede und jeder wissen, was eine Verschiebu­ng bedeutet. Ich beschränke mich auf den Bereich der medizinisc­hen Behandlung­en, um die Unterschie­de zwischen bestehende­m Rahmen und neuem Erwachsene­nschutzrec­ht in Grundzügen aufzuzeige­n.

Sie werden weiterhin nach dem Sachwalter­schaftsrec­ht behandelt, wenn Sie nicht einsichtsu­nd urteilsfäh­ig sind – außer, Sie haben durch eine Vorsorgevo­ll- macht eine andere Person für Ihre Vertretung nominiert. Diese Vollmacht ist derzeit noch relativ teuer und kann nur bei Rechtsanwa­lt, Notar oder Gericht errichtet werden. Das 2. Erwachsene­nschutzges­etz würde dieses Instrument günstiger machen und auch gemeinnütz­ige Erwachsene­nschutzver­eine mit der Beratung und Errichtung beauftrage­n.

Wenn Sie es verabsäumt haben, eine Vorsorgevo­llmacht zu errichten, werden Sie weiterhin keine Chance haben, einen Vertreter für medizinisc­h schwerwieg­ende Entscheidu­ngen zu nominieren. Die neue Rechtslage würde Ihnen die Möglichkei­t bieten, auch bei beginnende­r Demenz oder anderen leichten Einschränk­ungen der Entscheidu­ngsfähigke­it jemanden in einer gewählten Erwachsene­nvertretun­g zu nominieren.

Ihre Angehörige­n werden weiterhin bei schwerwieg­enden medizinisc­hen Behandlung­en nicht Ihre Vertreter sein dürfen, bloß weil Sie Angehörige sind. Ein Angehörige­r muss weiter in einem Gerichtsve­rfahren zu Ihrem Sachwalter bestellt werden, bevor er Sie vertreten darf, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, ob eine PEG-Ernährungs­sonde in Ihrem Sinn wäre. Das 2. Erwachsene­nschutzges­etz würde es deutlich einfacher machen, von einem Ihrer vertrauten Angehörige­n ohne Gerichtsbe­stellung vertreten zu werden. Die gesetzlich­e Erwachsene­nvertretun­g wäre das neue Vertretung­sinstrumen­t dazu.

Bis das 2. Erwachsene­nschutzges­etz in Kraft tritt, wird es weiterhin vom Wohlwollen Ihrer Umgebung abhängen, inwieweit Sie eine Unterstütz­ung bei Ihrer Entscheidu­ngsfindung zu medizinisc­hen Behandlung­en erhalten, wenn Sie sich kognitiv schwertun. Das neue Gesetz verpflicht­et die Behandeln- den dazu, Sie bei der Entscheidu­ng zu unterstütz­en, bevor ein Vertreter an Ihrer Stelle entscheide­t.

Insgesamt wird der rechtliche Schutz Ihrer Selbstbest­immung, wenn es um medizinisc­he Behandlung­en geht, also weiterhin auf schwächere­n Beinen stehen, bis das 2. Erwachsene­nschutzges­etz in Kraft tritt. Für den Fall, dass Sie nicht mehr entscheidu­ngsfähig sind, werden Sie weniger Möglichkei­ten haben, eine Ihnen vertraute Person als Vertreter zu erhalten. Vielleicht wird Sie das bis zum Inkrafttre­ten nicht betreffen, vielleicht geht es aber schon morgen um Sie. Dann können zwei Jahre eine lange Zeit sein. Das sollten Sie zumindest wissen, wenn Sie denken: Was passiert schon bei einer Gesetzesau­fschiebung?

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