Eine Lanze für die lichte Seite des Lebens Jovanotti, italienischer Superstar, gastiert am 19. Juni in der Wiener Stadthalle. „Die Presse“sah ihn sich vorab in Mailand an und sprach mit ihm über die Wichtigkeit der lichten Seite des Lebens, Busenobsessio
Zwölfmal hintereinander hat er das Mediolanum Forum am Stadtrand von Mailand ausverkauft. Es fasst 12.000 Besucher. Lorenzo Cherubini, genannt Jovanotti, ist zweifellos der beliebteste italienische Musiker seit Adriano Celentano, einer, dessen Stimme auch in den deutschen Sprachraum schallt. Sein vorzügliches aktuelles Album „Oh, Vita!“, eine Liedersammlung, die ungerührt aller derzeitigen politischen und sozialen Unbilden das Leben zelebriert, lockt vermehrt das Publikum. „Manche mögen mich deshalb nicht ganz für voll nehmen“, räumt er kurz nach ein Uhr früh nach dem Konzert im Gespräch mit der „Presse“ein. „Aber für mich gibt es keine Alternative dazu. Ich werbe aus Überzeugung für die lichte Seite des Lebens.“
Das tat er schon vor 24 Jahren, im rasanten Rap „Penso positivo“. Wenig überraschend stand er auf der 29 Lieder umfassenden Setlist. Die Stimmung im Publikum war von Beginn so überschäumend. Von Anfang an hallten dem angenehm kratzigen Melos von Jovanottis Stimme glockenhelle Mädchenstimmen entgegen. Selbst bei Stimmen, die sich nicht zum öffentlichen Gesang eignen, war gewisse interpretative Sensibilität auszumachen. Gestischer Übermut formte sich zu Gruppenchoreografien. Fäuste und Finger stachen wissend in die Luft, Becken rotierten. Die drollige Zeile „Quando mi apri la finestra dei tuoi seni“(„Wann öffnest du das Fenster zu deinen Brüsten“) aus der Ballade „Chiaro di luna“war filmisch unterstützt. „Brüste sind die erste und wichtigste Erfahrung jedes Menschen. Ohne Brüste kein Leben“, erläuterte er.
Sein Faible für anakreontische Lebensweise illustrierte er auch mit einer Zuspielung von Verdis „La traviata“-Arie „Brindisi (Libiamo ne’lieti calici)“. Luciano Pavarotti, ein Komplize punkto dionysischer Volksverführung schwärmte hier davon, an „freudigen Gläsern zu nippen“. Jovanotti fand natürlich auch persönliche Bilder für seine Lebenslust. Im Song „Oh, Vita!“reichte das Spektrum von Barockmaler Diego Velaz-´ quez über Motorradfahrer Valentino Rossi bis zu Run DMCs Hymne „Walk this Way“.
„Die Beastie Boys waren meine Beatles“
Rick Rubin, amerikanischer Mitschöpfer dieses Hybrids aus Rap und Rock, hat das aktuelle Album Jovanottis produziert. „Mit ihm zu arbeiten war ein Traum. Nie hätte ich gedacht, dass das einmal möglich sein wird. Rubin hat mich mit seiner Arbeit für das Label Def Jam überhaupt erst zum Rapper wer- den lassen. Die von ihm produzierten Beastie Boys waren meine Beatles. Sie machten mich richtiggehend stoned. Als Produzent ist Rubin der kameradschaftliche Typ. Er versucht stets, das Beste aus dir herauszuholen. Seine Devise lautet: Erreiche das Maximum mit einem Minimum. Seine Methode ist durchaus radikal, aber du überlässt dich diesem Magier.“
Dabei ist er als Entertainer selbst eine Art Zauberer. Ob mit treibenden Raps oder sehnsuchtsvollen Balladen, Jovanotti bot seinen Fans auch an diesem Abend einen Schlupfwinkel für ihre im Alltag zurückgedrängten idealistischen Fantasien. Seine Metaphern befeuern, selbst wenn sie vage sind. Renitenz und Romantik gehen in diesen Liedern eine unentwirrbare Verbindung ein. Viele männliche Fans im Saal waren Lookalikes mit zerrupften Vollbärten, bunten Tätowierungen, doppelten Goldketten. Jovanotti ist auch punkto Mode Idol der italienischen Ausgabe von Otto Normalabweichler. Strassbesetztes Holzfällerkaro, gelbe Schlabberhosen, Billigturnschuhe – dieser Mann lebt den Stil der Stillosigkeit.
Das Konzert als „Nabel der Welt“
Wichtig scheint ihm einzig die Zusammenkunft mit seinen Fans zu sein. Im Konzert wird der Saal zum „Ombelico del mondo“, zum Nabel der Welt, wie es im gleichnamigen Hit heißt. Jovanottis Sehnsucht nach einer solidarischen Welt müsste er eigentlich gar keine konkreten Worte widmen. Sie scheint schon in seiner Intonation eingelagert zu sein. Und doch verbalisiert er seine politische Agenda zwischen den Songs. Er steht für die offene Gesellschaft, für eine Gemeinschaft, die in der Differenz das Positive erkennt. Und ja, Angst darf man auch haben. „Man muss die Furcht nur in sein Leben integrieren. Angst kann ein Antrieb sein“, sagt er, der in seiner Show immer wieder die Figur des Don Quichotte zeigt.
Die Lanze Jovanottis ist dieser krude Musikmix mit kämpferischer Attitüde: „Für mich zählt der Rock ’n’ Roll zu den wichtigsten Kreationen des 20. Jahrhunderts. Musik ermöglicht es Menschen, in Massen zusammenzukommen, ohne durch Religion oder Politik manipuliert zu sein. Gemeinsam feiern wir die Freiheit.“Der gegenwärtigen Brutalisierung in den sozialen Medien hält Jovanotti in „Oh, Vita!“einen Lebensentwurf der Ortlosigkeit entgegen, einen der Empathie, Sensibilität, Intelligenz fördert. Sein Credo lautet „Non ho radici, ma piedi per camminare“– „Ich habe keine Wurzeln, aber Füße zum Gehen.“Dass die auch noch tanzen können, macht das Wunder noch größer.