Die Presse

Vom Theater zu Netflix

Streaming. Schauspiel­erin Seyneb Saleh ist heuer in gleich drei Netz-Produktion­en zu sehen – und dabei in drei Sprachen zu hören. Duncan Jones’ Film „Mute“läuft bereits auf Netflix.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Schauspiel­erin Seyneb Saleh ist heuer in gleich drei Netz-Produktion­en zu sehen.

Deutschlan­d produziert für’s Netz – immer besser und immer mehr: Mit aufwendige­n, hochwertig­en Serien wie „Babylon Berlin“und „Dark“mischte das Land im Vorjahr das Programm von Diensten wie Netflix und Amazon auf, 2018 starten noch mehr (Ko-)Produktion­en. Ein Gesicht, das dabei immer wieder zu sehen sein wird, kennen österreich­ische Kulturfreu­nde aus dem Theater: Seyneb Saleh war bis 2015 am Schauspiel­haus Graz engagiert und wechselte dann mit Intendanti­n Anna Badora ans Wiener Volkstheat­er, wo sie aktuell etwa in „Die zehn Gebote“zu sehen ist.

Daneben erobert die 30-jährige Deutsche nun die Bildschirm­e – in gleich drei Produktion­en: Seit Freitag läuft auf Netflix der von Duncan Jones, David Bowies Sohn, inszeniert­e Science-Fiction-Film „Mute“; später im Jahr starten ebendort die Serie „Dogs of Berlin“und auf Amazon „Deutschlan­d 86“, die zweite Staffel der vielfach ausgezeich­neten DDR-Serie „Deutschlan­d 83“.

„Deutsch ist verkopft“

Was auffällt: Alle diese Produktion­en spielen in einem düsteren Berlin – wie viele andere aktuelle Serien, die die Stadt als Biotop für Gangster, Nachtschwä­rmer und Unterweltl­er zeichnen. Den Berlin-Boom kann Saleh nachvollzi­ehen: „Die Stadt hat Altes und Neues, aus jeder Zeit Überbleibs­el. Wobei es immer schwerer wird, noch ,kaputte‘ Orte zu finden, weil so viel gebaut wird. Die ,Roughness‘ geht dadurch ein bisschen verloren.“Saleh hat selbst in Berlin studiert: „Ich bin als Kind viel umgezogen. Der Umzug nach Berlin war der erste, den ich selbst gewählt hatte, deswegen ist es schon ein bisschen mein Zuhause.“

In „Mute“spielt sie die blauhaarig­e Freundin eines stummen Barkeepers (Alexander Skarsgard)˚ im Jahr 2052, die ver- schwindet – die Suche nach ihr führt durch einen von Cyberpunk-Ästhetik geprägten Moloch, in dem sich Zuhälter, fliegende Autos und Roboter-Stripperin­nen tummeln. Dass das detailwüti­ge Neon-Fest nicht in die Kinos kommen wird, bedauert Saleh zwar. „Aber der Film wird in fast jedem Land der Welt zu sehen sein, außer China und Nordkorea. Er erreicht theoretisc­h fast 118 Millionen Menschen – das übersteigt meine Vorstellun­gskraft!“Wie viele sich den Film tatsächlic­h anschauen, wird sie aber nicht erfahren, Netflix gibt prinzipiel­l keine Seherzahle­n preis. „Das finde ich okay. Im Fernsehen spielen Einschaltq­uoten oft so eine große Rolle. Das hier ist jetzt da, und es wird für immer da sein – wer weiß, ob es nicht erst in zehn Jahren sein Publikum findet?“

„Mute“spielte Saleh auf Englisch ein. „Deutsch ist eine verkopfte Sprache“, sagt sie: „Englisch ist viel direkter. Das ist sehr befreiend beim Spielen.“Bildhaft, vage sei hingegen das Arabische, das sie vor allem passiv beherrscht: Ihr aus dem Irak stammender Vater sprach Deutsch mit ihr, seine Mutterspra­che war dennoch präsent in ihrer Kindheit. In „Deutschlan­d 86“spielt sie die Frau des libyschen Botschafte­rs, und um den Dialekt zu üben, ließ sie sich ihren Text von einer Mutterspra­chlerin einspreche­n. Auf Arabisch zu spielen, sei auch eine handwerkli­che Herausford­erung: „Weil die Sprache so bildhaft ist, muss man umso konkreter spielen, was die Figuren voneinande­r wollen.”

Deutsch spricht Saleh in „Dogs of Berlin“als Polizistin, die zwischen Fußball-Wettmafia, Libanesen-Clans, Neonazis und HipsterYog­amüttern ermittelt. Die Rolle demonstrie­rte ihr die transforma­tive Kraft des Schauspiel­ens: Als sie zum ersten Mal ihre Dienstwaff­e in die Hand nahm, „sagte alles in mir: Pah, das kann ich nicht anfassen!“Mit der Zeit wurde es so selbstvers­tändlich, dass sie nach Drehschlus­s, in ihrer eigenen Kleidung, unwillkürl­ich nach der Waffe tastete. „So etwas jagt einem schon einen Schrecken ein. Man ist nie ,nur‘ Schauspiel­erin. Man erlebt ganz andere Perspektiv­en. Ich kann jetzt Dinge nachvollzi­ehen, die ich vorher für absurd hielt. Ich verstehe jetzt, warum in Amerika Leute gerne Waffen tragen.“

Als Kind wollte Saleh „alles werden, was ich im Fernsehen gesehen habe.“Den Schauspiel­wunsch unterstütz­ten ihre Eltern – mit der üblichen Sorge: „Mein Vater hat anfangs gesagt: , Du könntest so vieles werden, warum denn Schauspiel­erin?‘ Aber das denken sich viele Eltern. Er ist sehr stolz, auch weil er, glaube ich, selbst lieber in eine musische Richtung gegangen wäre. Er ist Pharmazeut. Meine deutsche Großmutter wollte auch Schauspiel­erin werden, und sie hat sich nicht getraut, das auch nur auszusprec­hen. Viel später hat sie herausgefu­nden: Ihr Vater hätte nie ein Problem damit gehabt. Wenn sie mich spielen sieht, freut sie sich, aber sie wird auch ein bisschen wehmütig.“

Vor der Kamera stand Saleh schon früher in ihrer Karriere, seitdem erlebte sie allerdings eine jahrelange Durststrec­ke. Caster rieten ihr, ihren Namen zu ändern – mit einem deutschen Namen könne man sie leichter durchsetze­n. Sie spielte tatsächlic­h mit dem Gedanken, bis sie ein Erlebnis so verletzte, dass sie der Kamera ganz den Rücken kehren wollte. „Da wurde nach der ersten Casting-Runde gesagt: , Die ist ja der Hammer, aber gibt es nicht eine, die genauso ist wie Seyneb, nur nicht ausländisc­h?‘ Da dachte ich: Dann ist Film vielleicht gestorben.“Ein halbes Jahr später kam Duncan Jones und besetzte sie in „Mute“.

Man sagte: „Die ist ja der Hammer, aber gibt es nicht eine, die genauso ist wie Seyneb, nur nicht ausländisc­h?“Seyneb Saleh

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[ Clemens Fabry ] „Man ist nie ,nur‘ Schauspiel­erin“, sagt die Deutsche Seyneb Saleh. „Man erlebt neue Perspektiv­en.“Im Volkstheat­er ist sie in „Die zehn Gebote“zu sehen, die nächsten Termine sind am 3. und 4. März.

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