Warum die Feuerpause nicht hält
Syrien. Eigentlich sollten am Dienstag in der umkämpften Rebellenenklave Ostghouta die Waffen schweigen. Doch die Kämpfe hielten an. Ausnahmeregelungen untergraben jede Vereinbarung.
Eigentlich sollten in der umkämpften Rebellenenklave Ostghouta die Waffen schweigen. Doch die Kämpfe hielten an.
Kaum hatte die Feuerpause für das belagerte syrische Rebellengebiet Ostghouta begonnen, wurde sie am Dienstag auch schon wieder gebrochen. Die Kämpfe gingen weiter – auch wenn der russische Präsident, Wladimir Putin, in einer etwas eigenwilligen Interpretation der entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates am Montag angeordnet hatte, dass die Waffen in Ostghouta zwischen neun und 14 Uhr Ortszeit (acht und 13 Uhr MEZ) schweigen sollen, um Hilfslieferungen zu ermöglichen und einen humanitären Korridor für Zivilisten zu schaffen. Doch die aktuelle Feuerpause hält nicht, weil sie einen grundlegenden Konstruktionsfehler hat – wie alle vereinbarten Feuerpausen zuvor ebenfalls.
Russland beschuldigte Rebellengruppen, die Evakuierungsroute zu bombardieren, wie die Nachrichtenagentur Tass berichtete. Kein einziger Zivilist habe die Zone verlassen können, wird ein russi- scher Militärsprecher zitiert. Die Islamistenmiliz Jaish al-Islam dementierte dies umgehend. Man habe niemanden davon abgehalten zu gehen, sagte ein Sprecher der in der Region operierenden Gruppe. „Die Zivilisten treffen ihre eigenen Entscheidungen.“Auch die UNO bestätigte neue Kämpfe.
Neue Angriffe mit Chlorgas?
Vor Putins Ankündigung und nur wenige Stunden nach Verabschiedung der UN-Resolution über eine Waffenruhe am Samstag war noch heftig gekämpft worden. Wieder wurden Luftangriffe, Artilleriefeuer und der Einsatz von Fassbomben vermeldet. Wieder wurden medizinische Einrichtungen bombardiert. Wieder gab es unbestätigte Berichte eines weiteren Chlorgasangriffes. Außerdem hält eine Bodenoffensive an, mit der die Regimetruppen versuchen, die von Rebellen gehaltene Enklave außerhalb der Hauptstadt Damaskus zu erobern. Rund 400.000 Zivilisten sind in Ostghouta eingeschlossen. Im Gegensatz zu der von Putin angeordneten fünf- stündigen Feuerpause pro Tag sieht die UN-Resolution eine Waffenruhe von 30 Tagen vor. Es war der sechste Versuch im UN-Sicherheitsrat in New York, für Teile des SyrienKonflikts einen Waffenstillstand auszuhandeln. Alle bisherigen Bemühungen in diese Richtung sind gescheitert.
Der Mechanismus ist stets der gleiche. Im UN-Sicherheitsrat oder während der sogenannten Friedensgespräche wird eine Waffenruhe vereinbart. Doch Russland und das Regime in Damaskus fordern stets Ausnahmeregelungen, die den sogenannten Islamischen Staat (IS) oder die al-Qaida-nahe Nusra-Front vom Waffenstillstand ausnehmen – und alle, die mit ihnen zusammenarbeiten. Sie bleiben ein legitimes militärisches Ziel.
Problematische Ausnahmen
Für Russland und das Assad-Regime dienen diese Ausnahmen dann aber dazu, weitere Angriffe auf Rebellen zu begründen. Denn die einzelnen Stellungen der Aufständischen lassen sich kaum aus- einanderhalten, noch weniger lässt sich genau bestimmen, wer mit wem zusammenarbeitet. Legitime und illegitime Ziele gehen ineinander über – und so wird schnell jedes Bombardement gerechtfertigt. Auf diese Weise wurde bisher nicht nur jede Vereinbarung über eine Waffenruhe ausgehebelt. Dasselbe Schicksal erlitten die sogenannten Deeskalationszonen, die vor Monaten mit dem Ziel geschaffen wurden, die Gewalt einzudämmen.
Wie es weitergehen wird, ist absehbar. Ostaleppo im Winter 2016 ist die Blaupause. Es wird so lang bombardiert werden, bis die Zivilbevölkerung so zermürbt ist, dass die Rebellen, egal, welcher politischen Zugehörigkeit, aufgeben. Dann wird die Evakuierung mithilfe von UNO und Internationalem Roten Kreuz folgen. Das aber ist nichts anderes als eine politische Säuberung. Ähnliches wird sich wohl auch in anderen von den Rebellen kontrollierten Gebieten wiederholen, wie im Norden der Provinz Idlib, die die meisten der Opposition nahestehenden Flüchtlinge aufgenommen hat. Von dort aus geht es nur noch in die Türkei und dann für einige weiter nach Europa.
Ein Trümmerhaufen
Am Ende wird das Regime einen militärischen Sieg feiern und vor einem politisch gesäuberten Trümmerhaufen stehen. Statt, wie zuvor, zu versuchen, Territorium zu halten, wird die Opposition in den Untergrund gehen. Es gilt, Hunderttausende offene Rechnungen zu begleichen. Frieden und Stabilität sehen anders aus. Auch wenn das Assad-Regime sich gern als Verteidiger der syrischen Souveränität vermarktet – das Land und seine Regierung hängen vollkommen am Tropf ihrer Verbündeten Russland und Iran.
Die nächsten regionalen und internationalen Konflikte sind damit vorgezeichnet. Im Süden zwischen der Hisbollah und Israel, im Norden zwischen der Türkei, der kurdischen PKK und ihren Ablegern. Auch die räumliche Nähe von russischen und amerikanischen Truppen in Ostsyrien hat Eskalationspotenzial. Und nicht zuletzt würde eine Verschärfung der amerikanisch-iranischen Spannungen als Erstes in Syrien ausgetragen.