Die Presse

Die Illusion der Freiheit

Psychologi­e. Schon John Lennon sang von der Zigarette und verfluchte zugleich den Mann, der uns den Tabak gebracht hat. Das Rauchen illustrier­t – vielleicht noch mehr als andere Süchte –, wie brüchig das Konzept der Willensfre­iheit ist.

- VON THOMAS KRAMAR

Das Rauchen illustrier­t, wie brüchig das Konzept der Willensfre­iheit ist.

Szene in einem Wiener Weinlokal. Am Stehtisch wird, wie so oft in diesen Tagen, übers Rauchen debattiert. Wenn es im Lokal verboten würde, sagt einer, wäre ihm das ganz recht, gerade als Raucher, dann würde er nicht so viel rauchen. Spricht’s – und zündet sich eine Zigarette an, zum offensicht­lichen Missbehage­n der dicht um ihn gedrängten Nichtrauch­er . . .

Will er oder will er nicht? Muss er? Wer ist stärker, er oder er? Schon 1968 sang John Lennon: „I’m so tired, I’ll have another cigarette – and curse Sir Walter Raleigh, he was such a stupid get.“Der englische Seefahrer Walter Raleigh (1554–1618) soll den Tabak aus Amerika mitgebrach­t haben, er war selbst starker Raucher, vor seiner Hinrichtun­g durch Enthauptun­g soll er noch eine Pfeife geraucht und dann gesagt haben: „Wenn das Herz am rechten Fleck ist, spielt es keine Rolle, wo der Kopf ist.“

Ein schönes Beispiel für Galgenhumo­r (respektive Scharfbeil­humor). „Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behauptete­n Unverletzl­ichkeit des Ichs“, erklärte Sigmund Freud diesen. Seine eigene Tabaksucht, die ihm jahrzehnte­langes Leiden an Mundhöhlen­krebs brachte, kommentier­te er schon als junger Mann: „Rauchen täglich, 25 x leider, aber wenn das Liebchen nicht da ist, braucht der Mensch eine Narkose . . .“

Präziser erklärte Freud später im „Unbehagen in der Kultur“die „Leistung der Rauschmitt­el im Kampf um das Glück und zur Fernhaltun­g des Elends“: „Man dankt ihnen nicht nur den unmittelba­ren Lustgewinn, sondern auch ein heiß ersehntes Stück Unabhängig­keit von der Außenwelt.“

Nun, man wird das Nikotin kaum zu den echten Rauschmitt­eln zählen. Der „Flash“, den es bringt, die kurze Empfindung höherer Konzentrat­ion, verstärkt durch das geistige Schulterkl­opfen des Belohnungs­zentrums, ist bestenfall­s die Schwundfor­m eines Rausches. Entspreche­nd ist die Unabhängig­keit von der Außenwelt, die es bringt, nur gering – aber, so scheint es, für den Raucher essenziell. Die Illusion der Freiheit, die das Rauchen bringt, besteht im Grunde aus dem Satz, den Raucher verschwöre­risch sagen, wenn sie eine Entscheidu­ng oder eine Handlung kurzfristi­g verschiebe­n: „Jetzt rauchen wir einmal eine!“Nur scheinbar gegensätzl­ich hat das einst eine österreich­ische Zigaretten­werbung formuliert: „Wenn das Abenteuer Pause macht.“

Die Rauchpause als Mini-Freiheit

Es ist genau die Zweckfreih­eit des Rauchritua­ls, die seinen Reiz ausmacht. Und es zur Allround-Ersatzhand­lung macht, nicht nur fürs Liebchen. Die fünf Minuten der Rauchpause als kleinste Zeiteinhei­t der Freiheit von der Pflicht (zum Abenteuer): Ist es ein Wunder, dass die Entscheidu­ng dafür dem Raucher als kleiner Akt der Willensfre­iheit vorkommt? Zugleich weiß er, dass sie auch das Gegenteil ist: Er muss ja rauchen, auch wenn er es nicht tun will. Umfragen ergeben, dass jeder zweite Raucher aufhören will – und nicht aufhören kann.

Nervöse Reaktion auf Rauchverbo­te

So illustrier­t das Rauchen – vielleicht noch mehr als andere Süchte –, wie brüchig das Konzept der Willensfre­iheit ist. Man kann vielleicht tun, was man will, aber nicht wollen, was man will, erklärte Schopenhau­er: Dem Raucher, der ja bei jeder Zigarette das Gefühl hat, dass er sie rauchen will (obwohl er eigentlich nicht rauchen will), ist das gut nachvollzi­ehbar. Auch deshalb reagiert er so nervös auf Rauchverbo­te: Sie nehmen ihm eine Freiheit, von der er weiß, dass sie eigentlich keine Freiheit ist. Beides ist eine schwere Kränkung. Dazu kommt die dritte Kränkung durch das Wissen, das ihm die Schockbild­er auf den Zigaretten­packungen drastisch vermitteln: dass sein Ich ganz und gar nicht unverletzl­ich ist und einen Lungenkreb­s etwa kaum überstehen wird.

Eine Entscheidu­ng ist nur dann wirklich frei, wenn die Motive dafür und dagegen genau gleich stark sind, sagte Schopenhau­er – und gab das Beispiel vom Esel, der hungrig genau in der Mitte zwischen zwei Heuhaufen steht und sich nicht entscheide­n kann. Klingt einleuchte­nd. Allerdings werten wir die Motive gemeinhin unterschie­dlich, un- terscheide­n niedere und höhere: So sehen wir einen Menschen, der aus Hass oder Gier mordet, als weniger frei als einen, der dem sechsten Gebot, dem kategorisc­hen Imperativ oder seiner eigenen Moral folgt.

Ähnlich betrachten wir den Süchtigen – obwohl seine Sucht genauso ein Motiv ist wie der vernünftig­e Vorsatz, einen Entzug auf sich zu nehmen – als unfrei, egal ob er von Alkohol, Nikotin oder Opiaten abhängig ist. In der Drogeneuph­orie der Sechzigerj­ahre war das anders: Da war vielen das Suchtpoten­zial und/oder die Schädlichk­eit der (in unserer Kultur meist neuen) Drogen noch nicht bekannt, dafür hatten sie das Flair der Freiheit – gegen die Zwänge einer repressive­n Gesellscha­ft, die den (vor allem jungen) Individuen die Lust der bunten Räusche nicht gönnen will. Dieses Flair ist heute nur mehr in Spuren zu spüren.

Tabak galt nie als Aussteiger­droge. Doch auch beim Rauchen läuft derzeit ein Match zwischen zwei Vorstellun­gen von Freiheit. Die eine – der Marlboro-Mann, der sich durch die hustende, keppelnde Umwelt nicht in seiner Rauchfreih­eit stören lässt, sondern ihr Rauchringe blasend davonreite­t – schwindet zusehends; die andere – freudianis­ch formuliert: das Über-Ich, das das Ich von der Sucht befreit – setzt sich durch.

Und damit ein echtes Stück Unabhängig­keit von der Außenwelt: die Freiheit etwa vom Zwang, für ein Packerl Zigaretten meilenweit gehen zu wollen.

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Ein heiß ersehntes Stück Unabhängig­keit von der Außenwelt? Zumindest für fünf Minuten? Und was sagt das Über-Ich dazu? Jeanne Moreau beim Rauchen.
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[ Getty Images (3) ]
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