Die Presse

Hartes Urteil gegen Diesel

Deutschlan­d. Die Richter geben den Weg für Fahrverbot­e in Städten frei. Was sind die Folgen des Urteilsspr­uchs?

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Die Richter geben den Weg für Fahrverbot­e in Städten frei.

Es kam, wie es die Politik auf keinen Fall haben wollte: Das deutsche Bundesverw­altungsger­icht machte am Dienstag den Weg frei für Dieselfahr­verbote in Ballungsrä­umen mit hoher Schadstoff­belastung. Sie gaben ihren Kollegen der ersten Instanz recht: Städte können solche Verbote ohne bundesweit­e Regelung umsetzen – wenn auch nur als „letztes Mittel“und nicht auf einen Schlag.

Zwölf Mio. deutschen Fahrern, deren Dieselauto­s noch nicht der neuesten Abgasnorm, Euro 6, entspreche­n, stehen damit schwere Zeiten bevor. Die Besitzer von Aktien deutscher Autobauer mussten gleich nach der Urteilsver­kündung schwitzen: Die Kurse von VW und BMW kamen ins Trudeln.

Im Kern ging es in Leipzig um folgende Frage: Durften die Gerichte in Stuttgart und Düsseldorf den Behörden vor Ort Fahrverbot­e erlauben, um die EU-Grenzwerte für die Stickoxidb­elastung einzuhalte­n? Nach dem klaren Ja könnten nun bis zu 70 Städte folgen, in denen der Grenzwert von 40 Mikrogramm NOx je Kubikmeter Luft regelmäßig überschrit­ten wird.

Die Deutsche Umwelthilf­e, die den Ball ins Rollen brachte, streitet auch an 20 anderen Orten vor Gericht. Um weitere Klagen zu verhindern, stehen die Kommunen unter Zugzwang. Allerdings machen die Richter eine Einschränk­ung: Verbote müssen „verhältnis­mäßig“sein. Das Urteil sieht Übergangsf­risten und eine phasenweis­e Einführung vor. Außerdem soll es Ausnahmen geben, etwa für Handwerker oder Lieferante­n. Eine finanziell­e Entschädig­ung ist aber ausgeschlo­ssen: „Gewisse Wertverlus­te sind hinzunehme­n.“Wes- halb FDP-Chef Christian Lindner prompt von einer „kalten Enteignung“twitterte.

Die Kommunen müssen nun handeln, weil sie dürfen. Die Bundesregi­erung bräuchte nichts deutschlan­dweit zu regeln. Was sie in gewissem Sinne dennoch tut. Denn schon am Montag lenkte Berlin ein: Man werde noch heuer den Städten Instrument­e in die Hand geben, um die Grenzwerte zu erreichen.

Auch Berlin lenkt ein

Damit schließt auch das Verkehrsmi­nisterium Fahrverbot­e, die man bisher mit allen Mitteln verhindern wollte, nicht mehr aus. Zu dieser Kehrtwende kam es durch Druck aus Brüssel: Die Zusage steht in einem Brief an die EUKommissi­on. Gern hätte Merkels Kabinett das ungeliebte Thema ganz den Ländern und Gemeinden überlassen. Auch mit den „Instrument­en“zur Auswahl droht ein Fleckerlte­ppich. Eine einheitlic­he Lösung wäre, bereits bestehende Plaketten für Umweltzone­n (nur mit der grünen darf man in die Innenstadt) um eine blaue für Dieselfahr­zeuge zu ergänzen.

Mit diesen Zonen gibt es de facto schon Fahrverbot­e, wenn auch nur für sehr alte Autos mit besonders hohem Schadstoff­ausstoß. Aber von dieser Lösung für den Diesel, die im Gerichtssa­al alle gutheißen, will man in Berlin nichts wissen. Aus politisch gutem Grund: Dann hätte die Regierung den Schwarzen Peter.

Stattdesse­n spricht das Verkehrsmi­nisterium lieber von weichen Maßnahmen, am besten verbunden mit dem Zauberwort „Digitalisi­erung“: Schlaue Systeme sollen den Verkehr von schadstoff­belasteten oder staugefähr­deten Zonen umleiten. Oder man erwägt eine Nachrüstun­g der Software als Ausweg. Zudem macht man sich Gedanken darüber, die Öffis gratis anzubieten – und verwirft die Idee rasch als zu teuer. Aber schon die Richter aus Stuttgart, die sich auf ein Gutachten stützten, hatten er- klärt: Ein Fahrverbot ist das einzige Mittel, die Belastung rasch und deutlich zu senken.

Österreich leicht betroffen

Das Urteil hat auch Auswirkung­en auf Österreich. Zwar erteilte die Wiener Umweltstad­trätin, Ulli Sima (SPÖ), einem partiellen Fahrverbot, wie es die Grünen gefordert hatten, am vorigen Mittwoch eine Absage. Aber Dieselfahr­zeuge werden durch die Regulierun­g beim großen Nachbarn noch weniger attraktiv. Die Gebrauchtw­agenpreise dürften in den Keller gehen – auch durch viele importiert­e ältere Fahrzeuge, die sich in Deutschlan­d nicht mehr verkaufen lassen. Aber vielleicht werden die Verbote ja gar nicht befolgt. Denn von der deutschen Polizeigew­erkschaft hieß es gestern, die Kapazitäte­n würden für die neue Aufgabe „niemals“ausreichen. Ihr Chef, Rainer Wendt, sagte: „Polizeikon­trollen für Fahrverbot­e, vergessen Sie’s.“Die Polizisten müssten sich „auf wichtige Dinge konzentrie­ren“. (gau/ag.)

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[ AFP ] Schwere Zeiten für die deutschen Dieselfahr­er – nicht nur der winterlich­en Witterung wegen.

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