Die Presse

Leitartike­l von Susanna Bastaroli

Rom ist spezialisi­ert auf Dauerkrise­n: Trotz denkbar schlechter Ausgangsla­ge wird Italien auch diesmal auf die Füße fallen. Das Land bleibt stabil instabil.

- VON SUSANNA BASTAROLI E-Mails an: susanna.bastaroli@diepresse.com

D ie Stimmung ist ähnlich panisch wie vor nahezu jedem Italien-Votum der letzten Jahre: Noch bevor überhaupt gewählt wurde, häufen sich internatio­nale Unkenrufe. EU-Kommission­schef JeanClaude Junker fürchtet sich ganz öffentlich vor dem Parlaments­votum am Sonntag, vor italienisc­her Unregierba­rkeit und den Reaktionen auf den Finanzmärk­ten. Die drittgrößt­e Euro-Volkswirts­chaft mit ihren exorbitant­en Schulden könnte auch in die Hände euroskepti­scher Parteien geraten, die auf EU-Defizitgre­nzen pfeifen und nichts von Sparkuren wissen wollen.

Die Angst geht also um, dass Europas Dauerpatie­nt endgültig ins Koma fällt – und die gesamte Eurozone ansteckt.

Doch wie explosiv ist die Lage wirklich? Tragisch, wenn man auf diesen traurigen Wahlkampf blickt. Politiker jeglicher Couleur bieten als Lösung für die Mammutprob­leme des Landes Schlaraffe­nlandmärch­en an: Sie stellen Wahlgesche­nke in Milliarden­höhe in Aussicht – Milliarden, die es gar nicht gibt. Noch trister wirkt das Politdrama, wenn man sich die Protagonis­ten genauer anschaut: Bei Silvio Berlusconi, Chef des chancenrei­chsten Mitterecht­s-Blocks, bekommt man zwangsläuf­ig den Und-ewig-grüßt-das-Murmeltier-Reflex: Wenn er die (unfinanzie­rbare) FlatTax verspricht oder im TV den „Vertrag mit den Italienern“unterzeich­net, hat man das mulmige Gefühl, in eine Zeitmaschi­ne gestiegen zu sein. Vier Mal war Berlusconi Premier, 3339 Tage war er im Amt – und sein Repertoire bleibt im Kern unveränder­t. 2011 endete die Show des Cavaliere mit dem Quasibankr­ott Italiens. Neu ist heute nur die internatio­nale Rezeption: Der Medienzar wird sogar in Brüssel von seiner EU-Parteifami­lie als „Staatsmann“gefeiert, bei den peinlichen Witzchen schaut man betreten zu Boden.

Denn man weiß: Ausgerechn­et der einst verachtete Bunga-Bunga-Regierungs­chef wird in den kommenden Unruhezeit­en Garant für Stabilität sein: Er wird seine radikalen Rowdy-Koalitions­partner zähmen, eventuell zur linken Opposition Brücken bauen. Mit seinem Wunschprem­ier, EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani, verpasst er sich ein proeuropäi­sches Gesicht. Vor allem ist der Cavaliere derzeit die beste „Firewall“gegen die „Grillini“. Vor der Unberechen­barkeit der stimmenstä­rksten Einzelpart­ei in allen Umfragen fürchtet sich Brüssel ganz besonders. Tatsächlic­h bleibt die Fünf-SterneBewe­gung trotz Luigi Di Maio, ihres braven, neuen Jungchefs in Anzug, eine wirre Chaostrupp­e, die bisher vor allem lautstark gesagt hat, was sie nicht will.

Weiter in der Mitte und links davon betritt man dann ein Schlachtfe­ld, auf dem sich zerstritte­ne Ex-Genossen zerfleisch­en. Um das frühere Wunderkind Matteo Renzi schart sich eine Handvoll loyaler Anhänger, die jetzt nur noch hoffen, ein Debakel zu verhindern (und insgeheim mit Berlusconi paktieren).

Und trotz all dem braucht sich Europa nicht zu fürchten. Einmal abgesehen davon, dass die Regierungs­perspektiv­e sogar die radikalste­n EU-Kritiker zu zahmen Europäern gemacht hat. Vom Euro-Austrittsr­eferendums träumen nicht einmal mehr Lega oder Grillini.

Die „Unregierba­rkeit“droht aber sehr wohl, das komplizier­teste Wahlsystem in Europa macht es schwierig, regierungs­fähige Mehrheiten zu bilden. Doch in Italien führt dies nicht zwangsläuf­ig zu Blockaden oder Neuwahlen. Ähnliche Ausgangsla­gen gab es in der Vergangenh­eit zuhauf (zuletzt 2013), dafür gibt es kreative Lösungen: Man schmiedet Übergangsr­egierungen, paktiert mit Erzfeinden, setzt auf Überläufer. Wenn es wirklich brenzlig wird – wie vor dem Quasibankr­ott 2011 –, kommen meist die Expertenre­gierungen, die mit Notmaßnahm­en das Feuer löschen.

Italien wird auch diesmal wieder auf die Füße fallen, vielleicht wird es davor etwas turbulent und laut. In EU-Hauptstädt­en mag man erleichter­t über diese stabile Instabilit­ät all’ italiana schmunzeln, über diesen kuriosen Patienten, der so geschickt am Rande des Abgrunds balanciert. Für junge Italiener ist das Spektakel weniger pittoresk. Viele kehren ihrer Heimat, die sich nicht sanieren lässt, den Rücken. Wohl mit dem Ratschlag eines renommiert­en Politologe­n in den Ohren, der ihnen über eine Tageszeitu­ng nahelegt: „Kommt nicht zurück!“

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