„Unser Kurz“: Was Moskau über den Kanzler denkt
Russland. Anlässlich der Angelobung des neuen Kanzlers hegte man die Hoffnung, der 31-Jährige könne das Eis zwischen Ost und West zum Brechen bringen. Mittlerweile ist mehr Realitätssinn eingekehrt.
Wenn heute der russische Präsident den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz im Kreml empfängt, wird das auch ein mediales Ereignis sein, über das in Russland breit berichtet wird. Der österreichische Bundeskanzler ist der politischen Szene und der interessierten Öffentlichkeit ein Begriff.
Ein Grund ist allgemein bekannt: Kurz’ Alter. In Russland sind junge Politiker in verantwortlicher Position eine Seltenheit. Schon bei der Wahl im Herbst 2017 und der Angelobung des 31-Jährigen zum Kanzler war das Alter Gegenstand aufgeregter Berichte über den „weltjüngsten Kanzler“. Die Boulevard-Zeitung „Komsomolskaja Prawda“stellte damals verwundert fest, dass der „erfolgreiche Politiker nicht einmal einen Hochschulabschluss“habe.
Den Wahlsieg der ÖVP interpretierte man überschwänglich dahingehend, dass Wien „die Zusammenarbeit mit Russland gewählt und sich von Migranten abgewandt“habe. Das ist der zweite Grund, warum man in Russland Kurz beobachtet. Die Hoffnung, dass er sich für die Abschaffung der von der EU verhängten Sanktionen einsetzen werde, kam kurz nach der Wahl in mehreren Meinungsartikeln zum Ausdruck.
Trump-Begeisterung verflog schnell
Die Begeisterung über „Unseren Kurz“, wie ein Titel lautete, war also groß. „Kurz nasch“spielte zudem auf den in Russland populären Slogan „Krim nasch“an. Der bedeutet sinngemäß „Die Krim gehört uns“und wurde im Zuge der Annexion der ukrainischen Halbinsel im Frühling 2014 multimedial verbreitet – er tauchte in Politikersprüchen, auf T-Shirts und Trinkbechern auf. Darin fand die militaristische Euphorie über den handstreichartigen Landraub und das Wiedererstarken der einstigen Großmacht, vor der die Welt aufs Neue erzittern sollte, seinen wohl prägnantesten populärkulturellen Ausdruck.
Auch nach der Wahl von US-Präsident Donald Trump kursierte das Meme „Trump nasch“in sozialen Netzwerken. Die Begeisterung darüber, dass Trump auf der Seite Russlands stehe (und Moskau dabei womöglich sogar seine Hände im Spiel gehabt habe), schlug freilich bald in Enttäuschung um. Und wie ist es mit „Unserem Kurz“?
Auch unter den meisten Kommentatoren und Experten ist soviel Realitätssinn eingekehrt, dass man nicht glaubt, Österreich würde sich in punkto Sanktionen und Krim-Anerkennung gegen die EU-Linie stellen. Moskau hat sich das Einwirken auf mehreren geneigte EU-Staaten offensichtlich leichter vorgestellt. Versuche der Beeinflussung zeigten nicht „das gewünschte Resultat“erklärte der Politologe Wladimir Bruter kürzlich gegenüber „Gaseta.ru“. Dennoch sieht man den Besuch des Kanzlers bald nach Amtsantritt als Beleg dafür, dass Russland zu den Prioritäten der österreichischen Außenpolitik gehört. Stanislaw Stremidlowskij, Kommentator der Kreml-nahen Informationsagentur „Regnum“, betrachtet das Treffen Kurz’ mit Putin zweieinhalb Wochen vor der russischen Präsidentenwahl gar als Ausdruck dessen, „wen er in der Wahlkampagne unterstützt“. Kurz zeige seine Unterstützung nicht nur den anderen russischen Anwärtern, sondern auch „bestimmten Kräften im Westen“– womit der Autor auf Moskau-skeptische Regierungen anspielt.
Das Faktum, das mehrere europäische Regierungen ein gutes Auskommen mit Moskau suchen, wird von Stremidlowskij als Bewusstsein für eine neue Weltordnung interpretiert, in der die USA künftig eine geringere Rolle spielen werden und das Bedürfnis steige, mit Moskau gute Beziehungen zu unterhalten.
Bleibt zu hoffen, dass eine Umfrage des Radios „Echo Moskwy“nicht die Gespräche zwischen dem Kreml und Kurz stört. Im Dezember 2017 gaben 73 Prozent der Befragten an, sie könnten sich für Russland einen Politiker wie Sebastian Kurz an der Spitze vorstellen. Ist der Jungpolitiker gar eine Konkurrenz für Putin? Die Umfrage war allerdings nicht repräsentativ.
Dass Kurz zweieinhalb Monate nach Amtsantritt nach Moskau kommt, zeigt die Prioritäten Wiens. Stanislaw Stremilowskij