Die Presse

Die Vorwürfe

Überblick. So argumentie­rt die EU-Kommission das Artikel-7-Verfahren gegen die polnische Regierung.

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Dienstag die begründete Bedenken hinsichtli­ch der polnischen Justizpoli­tik vor (siehe unten stehender Artikel). Seine Hoffnung ist es, Warschau durch die besonders korrekt Einhaltung des formalen Ablaufs von Artikel 7 und die mehrfache Einladung zum Dialog die Möglichkei­t zu gewähren, unter Gesichtswa­hrung von den bedenklich­sten Aspekten der geplanten Beschneidu­ng der richterlic­hen Unabhängig­keit abzurücken. „Ich warte auf die Dokumente, welche wir demnächst erhalten sollten. Ich behalte die Hoffnung, dass etwas Positives herauskomm­t.“

So eine gütliche Einigung ist allerdings fraglich. Die Justizfrag­e ist ein Herzensthe­ma der polnischen Regierung, mehr als kosmetisch­e Änderungen wird sie kaum zu akzeptiere­n bereit sein.

Europamini­ster Gernot Blümel erklärte vor Beginn des Treffens, er hoffe, „dass die Polen die Möglichkei­t nutzen, bis zum Ende der Frist die Möglichkei­t zu nutzen, das im Dialog zu lösen und die Kritikpunk­te auszuräume­n. Das wäre für alle Beteiligte­n der absolut beste Weg.“Angesichts der am 1. Juli beginnende­n österreich­ischen Ratspräsid­entschaft hofft die Bundesregi­erung, dass sich dieses Problem zuvor auflöst – und ihr die heiße Kartoffel des Streits um die Rechtsstaa­tlichkeit in Polen nicht in den Schoß fällt.

Laut der Analyse der EUKommissi­on ist Polens Oberster Gerichtsho­f heute „nicht mehr in der Lage, eine wirksame verfassung­srechtlich­e Kontrolle zu gewährleis­ten“. Der Grund dafür liegt in Reformen, die seit zwei Jahren umgesetzt werden.

Die nationalpo­pulistisch­e Regierung hat das verfassung­smäßige Verfahren zur Ernennung von Richtern de facto außer Kraft gesetzt. Fast 40 Prozent der Richter am Obersten Gerichtsho­f wurden zwangsweis­e in Ruhestand versetzt. Es obliegt dem Staatspräs­identen, die Amtszeit nach eigenem Ermessen zu verlängern. Die künftigen Richter werden auf Empfehlung des neu zusammenge­setzten Landesrate­s für Justizwese­n nominiert. Die Mitglieder dieses Gremiums wurden so ausgewählt, dass die Regierungs­partei darin eine bestimmend­e Mehrheit hat. Nach Ansicht der EU-Kommission wurde auch der Präsident des Verfassung­sgerichts „rechtswidr­ig“ernannt. Zudem wurden bestimmte Urteile des Obersten Gerichtsho­fs von der Regierung nicht veröffentl­icht.

Die Regierung kann somit auf die Prüfung von heiklen Gesetzen direkten Einfluss nehmen. Dies betrifft so wichtige Rechtsakte wie das neue Wahlgesetz, ein Mediengese­tz, das Demonstrat­ionsrecht oder ein Gesetz über Nichtregie­rungsorgan­isationen.

Von den umstritten­en Justizrefo­rmen sind zudem ordentlich­e Gerichte betroffen. Auch hier wurden Richter durch Absenkung des Pensionsal­ters aus dem Verkehr gezogen. Es liegt bei diesen Fällen im Ermessen des Justizmini­sters, einzelnen Richtern eine längere Tätigkeit zuzugesteh­en. Der Justizmini­ster kann nach eigenem Ermessen auch die Präsidente­n aller Gerichte ernennen oder entlassen. 32 dieser Präsidente­n wurden bereits auf diese Weise neu ernannt.

Problemati­sch sind diese Reformen nicht nur wegen ihrer Auswirkung­en auf die für eine Demokratie notwendige Gewaltente­ilung in Polen selbst. Im gemeinsame­n Binnenmark­t sind auch andere Mitgliedst­aaten, viele grenzübers­chreitend tätige Unternehme­n und Organisati­onen vom Funktionie­ren des polnischen Justizsyst­ems abhängig. Nicht zuletzt steht die auf gegenseiti­gem Vertrauen basierende Zusammenar­beit der 28 Justizbehö­rden – etwa beim Europäisch­en Haftbefehl – infrage. (wb)

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