Klubzwang: Was „Abweichlern“droht
Nationalrat. Ob Rauchen oder Richter: ÖVP-Abgeordnete wollen trotz Bedenken so abstimmen, wie es die Partei wünscht. Das Unterordnen der eigenen Meinung hat im Parlament Tradition.
Im Dezember war für Josef Smolle noch klar, dass das Rauchverbot in den Lokalen wie geplant ab Mai kommen soll. „Ich werde für das eintreten, was ich für richtig halte. Und aus gesundheitspolitischer Sicht bin ich der Überzeugung, dass die Regelung bleiben sollte, wie sie beschlossen wurde“, erklärte Smolle. Der frühere Rektor der Grazer Medizin-Uni stand damals kurz vor dem Einzug in den Nationalrat auf einem frei gewordenen ÖVP-Mandat.
Wie wird Smolle nun im Nationalrat beim türkis-blauen Antrag zum Kippen des Rauchverbots, der am heutigen Mittwoch eingebracht wird, abstimmen? „Da müssen Sie die Frau Magister Brüggler fragen“, antwortet Smolle nur, als ihn „Die Presse“am Dienstag erreicht.
Also Anruf bei Iris Brüggler, Pressesprecherin des ÖVP-Klubs. Sie erklärt die Position Smolles: „In dem Moment, in dem er Abgeordneter wurde, hat er gesagt, dass er pakttreu stimmen werde“, sagt sie. Also für die Aufhebung des Rauchverbots. Seine Aussage im Dezember habe Smolle noch als Privatmann getätigt, erläutert Brüggler. Und warum darf Smolle das nicht selbst erklären? Er dürfe ja, aber „er will, dass die Kommunikation über die Pressestelle läuft“, sagt Brüggler. Ordnen sich die Abgeordneten also dem Klubzwang unter? „Es gibt keinen Klubzwang“, entgegnet die ÖVP-Sprecherin.
Juristisch gesehen stimmt das. Die Abgeordneten sind laut Verfassung „an keinen Auftrag gebunden“. Doch realpolitisch schaut es anders aus. Auch bei der Kür der Verfassungsrichter will der ÖVPKlub geeint abstimmen, wenngleich mancher den umstrittenen FPÖ-Wunschkandidaten Andreas Hauer lieber nicht wählen würde.
Der Klubzwang ist keine Erfindung der ÖVP. Was es heißt, für die eigene Meinung einzutreten, musste etwa auch die frühere SPÖ-Mandatarin Daniela Holzinger (jetzt bei der Liste Pilz, die den Klubzwang ablehnt) erleben. Mehrfach stellte sie sich gegen die SPÖ-Linie und setzte sich etwa frühzeitig für die Einführung des U-Ausschusses als Minderheitsrecht ein.
„Es gab sofort eine Klubstehung, in der psychischer Druck aufgebaut wurde. Ich will die einzelnen Wortmeldungen nicht wiedergeben. Aber ich habe noch im Kopf, als was ich alles bezeichnet wurde“, erzählt Holzinger. Zudem habe sie fortan weniger Redezeit im Parlament bekommen.
Dass selbst jene 28 ÖVP-Abgeordnete, die 2015 für das Rauchverbot gestimmt haben, nun wegen des Regierungspakts für die Aufhebung stimmen wollen, ist für Holzinger unverständlich: „Es sollte um Überzeugungen gehen, nicht darum, welche Linie die Regierung diktiert. Für mich ist das die Aufhebung der Gewaltentrennung.“
Doch schon in der französischen Nationalversammlung 1791 waren die Fraktionen um ein geeintes Auftreten bemüht. Auf die Spitze trieben es die deutschen Kommunisten. Sie zwangen zu Zeiten der Weimarer Republik ihre Abgeordneten, Blankovorlagen für einen Mandatsverzicht zu unterzeichnen. Verstieß jemand gegen den Klubzwang, holte man die Verzichtserklärung aus der Schublade.
Diese Praxis war verfassungswidrig. So, wie eine Partei auch in Österreich Abgeordneten ihr Mandat nicht wegnehmen kann. Die Partei kann Mandatare aber aus der Fraktion ausschließen. Oder ihnen bei der nächsten Wahl keinen vorderen Listenplatz mehr geben.
Schon zu Zeiten der Monarchie war der Klubzwang Thema. „Die schwerste Krankheit, an der unser Parlamentarismus leidet, ist der Klubzwang, sagen wir es deutlich, der Klub-Unfug. Wir verdanken ihn den Herren aus Galizien. Diese ha- ben die verhängnisvolle Krankheit 1861 in Wien eingeschleppt. Sie bildeten einen ,Klub‘, in dem alle Mitglieder sich einem Klubzwang unterwarfen, sich verpflichteten, eventuell gegen die eigene Überzeugung zu stimmen!“, war in der „Kritischen Revue“1891 zu lesen.
Der Klubzwang des Vielvölkerparlaments sollte auch in der Republik Österreich Anwendung finden. Nur selten wurden Abstimmungen freigegeben, etwa bei der Frage der Promillegrenze beim Autofahren. Eine Mehrheit von ÖVP- und FPÖMandataren sorgte 1994 zu Zeiten der rot-schwarzen Koalition dafür, dass die Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 abgelehnt wurde. Erst nachdem ein Alkolenker drei Schüler getötet hatte und Mitschüler eine Initiative gestartet hatten, fand die Senkung der Promillegrenze 1997 eine Mehrheit.
Beim Rauchen ist eine freie Abstimmung ebenso wenig geplant wie eine Begutachtung. Es würde „der Demokratie nicht guttun, wenn das Thema ohne Begutachtungsfrist durch den Nationalrat gepeitscht würde“, meinte am Dienstag Salzburgs Vizelandeshauptmann, Christian Stöckl (ÖVP).
Er unterliegt als Gesundheitslandesrat ja keinem Klubzwang.