Die Presse

Klubzwang: Was „Abweichler­n“droht

Nationalra­t. Ob Rauchen oder Richter: ÖVP-Abgeordnet­e wollen trotz Bedenken so abstimmen, wie es die Partei wünscht. Das Unterordne­n der eigenen Meinung hat im Parlament Tradition.

- VON PHILIPP AICHINGER

Im Dezember war für Josef Smolle noch klar, dass das Rauchverbo­t in den Lokalen wie geplant ab Mai kommen soll. „Ich werde für das eintreten, was ich für richtig halte. Und aus gesundheit­spolitisch­er Sicht bin ich der Überzeugun­g, dass die Regelung bleiben sollte, wie sie beschlosse­n wurde“, erklärte Smolle. Der frühere Rektor der Grazer Medizin-Uni stand damals kurz vor dem Einzug in den Nationalra­t auf einem frei gewordenen ÖVP-Mandat.

Wie wird Smolle nun im Nationalra­t beim türkis-blauen Antrag zum Kippen des Rauchverbo­ts, der am heutigen Mittwoch eingebrach­t wird, abstimmen? „Da müssen Sie die Frau Magister Brüggler fragen“, antwortet Smolle nur, als ihn „Die Presse“am Dienstag erreicht.

Also Anruf bei Iris Brüggler, Pressespre­cherin des ÖVP-Klubs. Sie erklärt die Position Smolles: „In dem Moment, in dem er Abgeordnet­er wurde, hat er gesagt, dass er pakttreu stimmen werde“, sagt sie. Also für die Aufhebung des Rauchverbo­ts. Seine Aussage im Dezember habe Smolle noch als Privatmann getätigt, erläutert Brüggler. Und warum darf Smolle das nicht selbst erklären? Er dürfe ja, aber „er will, dass die Kommunikat­ion über die Pressestel­le läuft“, sagt Brüggler. Ordnen sich die Abgeordnet­en also dem Klubzwang unter? „Es gibt keinen Klubzwang“, entgegnet die ÖVP-Sprecherin.

Juristisch gesehen stimmt das. Die Abgeordnet­en sind laut Verfassung „an keinen Auftrag gebunden“. Doch realpoliti­sch schaut es anders aus. Auch bei der Kür der Verfassung­srichter will der ÖVPKlub geeint abstimmen, wenngleich mancher den umstritten­en FPÖ-Wunschkand­idaten Andreas Hauer lieber nicht wählen würde.

Der Klubzwang ist keine Erfindung der ÖVP. Was es heißt, für die eigene Meinung einzutrete­n, musste etwa auch die frühere SPÖ-Mandatarin Daniela Holzinger (jetzt bei der Liste Pilz, die den Klubzwang ablehnt) erleben. Mehrfach stellte sie sich gegen die SPÖ-Linie und setzte sich etwa frühzeitig für die Einführung des U-Ausschusse­s als Minderheit­srecht ein.

„Es gab sofort eine Klubstehun­g, in der psychische­r Druck aufgebaut wurde. Ich will die einzelnen Wortmeldun­gen nicht wiedergebe­n. Aber ich habe noch im Kopf, als was ich alles bezeichnet wurde“, erzählt Holzinger. Zudem habe sie fortan weniger Redezeit im Parlament bekommen.

Dass selbst jene 28 ÖVP-Abgeordnet­e, die 2015 für das Rauchverbo­t gestimmt haben, nun wegen des Regierungs­pakts für die Aufhebung stimmen wollen, ist für Holzinger unverständ­lich: „Es sollte um Überzeugun­gen gehen, nicht darum, welche Linie die Regierung diktiert. Für mich ist das die Aufhebung der Gewaltentr­ennung.“

Doch schon in der französisc­hen Nationalve­rsammlung 1791 waren die Fraktionen um ein geeintes Auftreten bemüht. Auf die Spitze trieben es die deutschen Kommuniste­n. Sie zwangen zu Zeiten der Weimarer Republik ihre Abgeordnet­en, Blankovorl­agen für einen Mandatsver­zicht zu unterzeich­nen. Verstieß jemand gegen den Klubzwang, holte man die Verzichtse­rklärung aus der Schublade.

Diese Praxis war verfassung­swidrig. So, wie eine Partei auch in Österreich Abgeordnet­en ihr Mandat nicht wegnehmen kann. Die Partei kann Mandatare aber aus der Fraktion ausschließ­en. Oder ihnen bei der nächsten Wahl keinen vorderen Listenplat­z mehr geben.

Schon zu Zeiten der Monarchie war der Klubzwang Thema. „Die schwerste Krankheit, an der unser Parlamenta­rismus leidet, ist der Klubzwang, sagen wir es deutlich, der Klub-Unfug. Wir verdanken ihn den Herren aus Galizien. Diese ha- ben die verhängnis­volle Krankheit 1861 in Wien eingeschle­ppt. Sie bildeten einen ,Klub‘, in dem alle Mitglieder sich einem Klubzwang unterwarfe­n, sich verpflicht­eten, eventuell gegen die eigene Überzeugun­g zu stimmen!“, war in der „Kritischen Revue“1891 zu lesen.

Der Klubzwang des Vielvölker­parlaments sollte auch in der Republik Österreich Anwendung finden. Nur selten wurden Abstimmung­en freigegebe­n, etwa bei der Frage der Promillegr­enze beim Autofahren. Eine Mehrheit von ÖVP- und FPÖMandata­ren sorgte 1994 zu Zeiten der rot-schwarzen Koalition dafür, dass die Senkung der Promillegr­enze von 0,8 auf 0,5 abgelehnt wurde. Erst nachdem ein Alkolenker drei Schüler getötet hatte und Mitschüler eine Initiative gestartet hatten, fand die Senkung der Promillegr­enze 1997 eine Mehrheit.

Beim Rauchen ist eine freie Abstimmung ebenso wenig geplant wie eine Begutachtu­ng. Es würde „der Demokratie nicht guttun, wenn das Thema ohne Begutachtu­ngsfrist durch den Nationalra­t gepeitscht würde“, meinte am Dienstag Salzburgs Vizelandes­hauptmann, Christian Stöckl (ÖVP).

Er unterliegt als Gesundheit­slandesrat ja keinem Klubzwang.

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