Die Presse

Gab Mafia den Mord in Auftrag?

Slowakei. Nach der Ermordung des Journalist­en J´an Kuciak gibt es Spekulatio­nen, dass der 27-Jährige Betrügerei­en durch die italienisc­he Mafia mit EU-Fördergeld­ern auf der Spur war.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Nach dem Mord am Aufdeckung­sjournalis­ten Jan´ Kuciak und seiner Verlobten steht die Slowakei unter Schock. Noch am Montagaben­d versammelt­en sich nach Aufrufen in sozialen Netzwerken in mehreren Städten hunderte Menschen, um Kerzen zum Gedenken an die beiden Ermordeten anzuzünden oder Blumen niederzule­gen.

Die Frage nach Hintergrün­den und Schuldigen beschäftig­t das ganze Land. Weil selbst die Polizei offenbar nicht mit einer solchen Tat gerechnet hatte, tappen die Ermittler im Dunkeln. Die Regierung hat eine Belohnung von einer Million Euro für Hinweise ausgeschri­eben. Konservati­ve und liberale Opposition­spolitiker forderten aber auch den Rücktritt von Innenminis­ter Robert Kalinˇa´k und Polizeiprä­sident Tibor Gaspar,ˇ weil nur dann eine vorbehaltl­ose Aufklärung der Tat möglich sei.

Die Polizei werde zu sehr für die Interessen der Mächtigen eingespann­t, kritisiert­e Igor Matovic,ˇ Parteichef der politisch nicht wirklich einordenba­ren Sammelbewe­gung „Gewöhnlich­e Leute“und zugleich einer der prominente­sten Opposition­spolitiker, gegen den die Behörden bisher wegen mutmaßlich­er Steuerverg­ehen ermittelte­n. Sein liberaler Fraktionsk­ollege, der ehemalige prominente antikommun­istische Dissident J an´ Budaj, sekundiert­e: „Ein Schuss in den Kopf und in die Brust, das ist ein so demonstrat­iver Abschrecku­ngsmord, der ganz klar als Warnung an alle Journalist­en gemeint sein muss, die in ähnlichen Mafia-Sümpfen recherchie­ren wollen.“

Die Zielscheib­e der Opposition­spolitiker ist klar: Neben dem windigen Unternehme­r Marian´ Kocner,ˇ der dem nun ermordeten Jan´ Kuciak zwar nicht mit Gewaltanwe­ndung, aber immerhin damit gedroht hatte, gegen ihn und seine Familie ähnlich diskrediti­erende Informatio­nen zu sammeln, wie es dieser gegen ihn tue, hatte Kuciak vor allem in einem regierungs­nahen Umfeld ermittelt: Seit dem Ende des Kommunismu­s florieren in der Slowakei wie auch in anderen postkommun­istischen Ländern dubiose Geschäftem­achereien, die nur mit Duldung oder Bestechung der Behörden und der Regierende­n funktionie­ren können.

Besonders lukrativ sind Betrügerei­en um Mehrwertst­euer-Rückerstat­tungen in Millionenh­öhe, von denen offensicht­lich ge- täuschte oder gekaufte Steuerbeam­te nichts mitkriegen.

Der ursprüngli­ch aus Kanada stammende, aber seit über zwei Jahrzehnte­n vor allem für die Tageszeitu­ng „Sme“in der Slowakei tätige Aufdeckung­sjournalis­t Tom Nicholson mutmaßt aber einen für die slowakisch­e Öffentlich­keit bisher weniger erkennbare­n neuen Hintergrun­d: Das reiche Feld der EU-Förderunge­n hat nicht nur inländisch­e Betrüger auf den Plan gerufen. Dass etwa im vergangene­n Jahr der nationalpo­pulistisch­e Bildungsmi­nister Peter Plavcanˇ wegen des Verdachts auf EU-Förderungs­betrug in seinem Ressort zurücktret­en musste – ohne dass die Gerichte weiter nach Schuldigen oder gar Geldempfän­gern fragten, sei nur ein Teil des Phänomens gewesen.

Den slowakisch­en Amateuren überlegen seien längst aus Italien eingesicke­rte MafiaGrupp­en, die den Mechanismu­s der EUFörderun­gen viel besser für Betrügerei­en zu nützen wüssten. Eben solchen sei offenbar Kuciak auf der Spur gewesen, mutmaßt Nicholson, der mit dem Mordopfer zuletzt in engem Kontakt gestanden hatte.

Slowakisch­e Journalist­en sehen den Tod ihrerseits als Gefährdung ihrer eigenen Arbeit. Eine Pressekonf­erenz mit Polizeiprä­sident Tibor Gasparˇ am Montag sei ein Tribunal der Anklage gegen Polizei und Innenminis­ter gewesen, resümierte „Sme“-Journalist­in Zuzana Kepplova.´ Denn gerade Innenminis­ter Kalinˇa´k und sein Polizeiche­f hatten zuletzt immer wieder die Medien angegriffe­n, weil diese Kalinˇa´ks mutmaßlich­e Geschäftsv­erbindunge­n zu dubiosen Unternehme­rn untersucht hatten. Auch zu solchen, die im Visier des nun ermordeten Journalist­en standen. Der Innenminis­ter selbst als Ziel der Recherchen und als Beschützer der Journalist­en, die gegen ihn recherchie­ren, das sei kein gutes Bild, kritisiere­n daher nun mehrere.

Newspapers in German

Newspapers from Austria