Die Presse

Wurde der falsche Mann angeklagt?

Justiz. Ein Mord, zwei Prozesse: Welche Probleme es zwischen Richtern und Geschworen­en gibt.

- VON MANFRED SEEH

Der Wahrspruch der acht Geschworen­en ergeht einstimmig: Shkelzen D. hat Igor Z. nicht erschossen. Kein Mord. Kein Schuldspru­ch. Keine Strafe. Auch alle anderen Fragen, etwa jene nach fahrlässig­er Tötung, werden einstimmig verneint. Doch die drei Berufsrich­ter lassen den Entscheid der Geschworen­en nicht gelten. Sie setzen ihn außer Kraft.

Diese Begebenhei­t hat sich Ende November abgespielt. Morgen, Donnerstag, landet der heikle Fall erneut in Wien vor Gericht. Ein anderer Berufsrich­ter-Senat (Vorsitz: Andrea Wolfrum) und auch andere Geschworen­e werden ans Werk gehen. Sprechen diese D. noch einmal frei, müssen die Berufsrich­ter dies akzeptiere­n.

Diese Causa beleuchtet exemplaris­ch Probleme der Geschworen­engerichts­barkeit. Um deren Reform wird seit Jahrzehnte­n gerungen. Vor allem der Umstand, dass Geschworen­e allein – ohne Berufsrich­ter-Mitwirkung – über Schuld oder Schuldlosi­gkeit zu entscheide­n haben und ihren Spruch nicht begründen müssen (dies wäre von rechtliche­n Laien auch zuviel verlangt), sorgt für Debatten.

Die türkis-blaue Bundesregi­erung hat – wie ihre Vorgänger – Reformen versproche­n. Laut Regierungs­programm soll es zumindest eine „Evaluierun­g der Ergebnisse der Arbeitsgru­ppe zur Reform der Geschworen­engerichts­barkeit aus Oktober 2010“geben.

Misstrauen gegen Polizei

Die Causa Shkelzen D. wirft ein Schlaglich­t auf das Verhältnis zwischen Berufs- und Laienricht­ern. Sie zeugt auch von richterlic­hem Misstrauen in Bezug auf die Ermittler. Und offenbart Widersprüc­he und Ungereimth­eiten.

D. ist ein 28-jähriger kosovarisc­her Familienva­ter, von Beruf Tischler. Er ließ sich gleich nach der Bluttat – diese wurde am Ostersonnt­ag 2017 in Wien-Brigittena­u auf offener Straße begangen – von einem Bekannten zur Polizei fahren. Dort machte D. eigentümli­che Angaben: Igor Z. (26), das spätere Opfer, habe mit einem Verhältnis zu einer Kellnerin, zu Eva R., geprahlt. Dies habe ihn, D., gestört. Denn: Eva R. sei in Wahrheit seine Geliebte (gewesen). Also habe er Igor Z. zur Rede gestellt. Und dabei nach seiner Pistole gegriffen. Es sei zu einer Rangelei gekommen. Ein Schuss habe sich gelöst. Und Z. in den Kopf getroffen.

Waffe: „eine Dreckschle­uder“

Diese Version kann aber nicht stimmen. Gutachten (Gerichtsme­dizin, Schießwese­n) zeigen, dass der Todesschus­s auf das am Boden liegende Opfer abgefeuert wurde. Dazu sagte D. später gar nichts mehr. Auch im Prozess schwieg er.

Die Tatwaffe ist eine Crvena Zastava M57, eine durchaus durchschla­gskräftige Waffe – und „eine Dreckschle­uder“, wie eine Expertin der Polizei in der (ersten) Verhandlun­g angegeben hat. Soll heißen: eine Waffe, die viel Schmauchsp­uren hinterläss­t.

Merkwürdig: Weder auf der Schusshand, noch auf der Jacke von D. fand sich ausreichen­d Schmauch. Dazu heißt es in der Anklagesch­rift von Staatsanwa­lt Christoph Wancata: „Wieso der Angeklagte kaum Schmauchsp­uren an seinen Händen hatte, konnte nicht aufgeklärt werden.“

Der vorsitzend­e Richter der ersten Prozessrun­de, Georg Olschak, hat einen Beschluss zur Verlängeru­ng der U-Haft für D. geschriebe­n. Dort kommt das Thema „Schmauchsp­uren“vor: D. könne sich die Hände gewaschen oder abgewischt haben.

Theoretisc­h ja. Aber warum soll jemand, der sich sofort zur Polizei fahren lässt, dort zumindest zugibt, dass sich ein Schuss aus seiner Waffe gelöst habe, fieberhaft versuchen Schmauchsp­uren verschwind­en zu lassen?

Und was ist mit der Jacke des Angeklagte­n? Die ist auch frei von Schmauspur­en. Die könne der Angeklagte eilig gewechselt habe, sagte der (frühere) Richter. Oder aber: Es sei bei Untersuchu­ng der Hände „zu einer Verwechslu­ng der Proben“gekommen. Oder (bei der Jacke) zu „Fehlern bei der Abnahme“. War die Polizei wirklich schlampig – oder hat sich alles ganz anders abgespielt? Hat ein anderer geschossen? Schließlic­h waren – unbestritt­en – noch andere Männer am Tatort. Ein Zeuge sagt, drei bis vier Männer hätten Igor Z. angegriffe­n. Und wen kann das wacklige Motiv überzeugen? Den Staatsanwa­lt jedenfalls nicht. Er schreibt: „Ob Eifersucht das wahre Motiv für die Tat war, ist noch immer ungeklärt (...).“Handelt es um eine Fehde im Mafiamilie­u? Sowohl das Opfer als auch jener Mann, der D. nach dem Schuss eilig zur Polizei gefahren hat, tauchen in einer anderen Ermittlung der Polizei auf. Der eilige Chauffeur kommt als Opfer von Schutzgeld­erpressung in den Akten vor. Er verfügt aber auch über ein stattliche­s Vorstrafen­register.

Im Zweifel für den Angeklagte­n

Für den Verteidige­r von Shkelzen D., Werner Tomanek, ist der Fall deshalb klar, weil er so unklar ist – klingt paradox, ist aber erklärbar: „Wenn man Zweifel hat – wenn man meint, es könnte auch ein anderer geschossen haben, muss man den Angeklagte­n im Zweifel freisprech­en.“Und Tomanek übt Grundsatzk­ritik: Der (alte) Richtersen­at habe durch die Aussetzung des Wahrspruch­s „die Laiengeric­htsbarkeit ad absurdum geführt“. Bleibt abzuwarten, wie der neue Senat die Sache sieht. Übrigens: 2017 gab es österreich­weit um die 230 Geschworen­enverfahre­n. Davon wurden fünf Geschworen­en-Wahrsprüch­e von Berufsrich­tern ausgesetzt.

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[ APA ] Der Große Schwurgeri­chtssaal in Wien (rechts im Bild: die Bank der Geschworen­en). Nicht immer sind die Berufsrich­ter mit den Ergebnisse­n der Laien einverstan­den.

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