Die Presse

Was können die Schweine dafür?

Kunsthalle Wien. Eine so wundersame wie verstörend­e Ausstellun­g stellt das Werk der Kanadierin Ydessa Hendeles vor. „Death to Pigs“ist eine große, unheimlich­e Installati­on.

- VON ALMUTH SPIEGLER bis 27. Mai, Kunsthalle Wien, MQ.

Was wissen wir schon? Wann ist jemand Künstlerin, Sammlerin, Kuratorin, Galeristin, Kulturwiss­enschaftle­rin, Aktivistin? Ist das überhaupt wichtig? Die 1948 als Tochter polnischst­ämmiger Holocaust-Überlebend­er in Marburg geborene Ydessa Hendeles macht so oder so heftige, abgründig-märchenhaf­te Installati­onen, in deren Assoziatio­nsdickicht man sich verlieren kann, und die bisher auch für Wien verloren waren. Die Kunsthalle Wien hat Hendeles, die im Alter von zwei Jahren mit ihren Eltern nach Kanada auswandert ist, jetzt hierher geholt, zeigt ihre erste umfassende Retrospekt­ive überhaupt. Es ist eine der besten, jedenfalls die intensivst­e Ausstellun­g, die Nicolaus Schafhause­n, hier auch als Kurator begleitend, in seiner Zeit als Direktor bisher verantwort­et hat.

Die Geschichte von Hendeles ist nicht linear: Erst setzte sie sich für kanadische Gegenwarts­kunst ein, führte eine Galerie, eine Kunsthalle, sammelte selbst, war eine große Nummer der internatio­nalen Kunstszene. Aber darauf beschränkt­e sie sich nicht, sie sammelte nebenbei Ausbildung­en, blickt man auf ihre zeilenfüll­ende Anhäufung akademisch­er Titel. Sie ist auch Kunstthera­peutin, Kulturwiss­enschaftle­rin, Archivarin – etwa von Tausenden Fotos von Kindern aus den 1940er-Jahren, die Teddybären halten. 2003 stellte sie diese in einer Ausstellun­g im Haus der Kunst in München aus, in dem sie eine Gruppenaus­stellung kuratierte. Zwischen die Fotos mischte sie auch drei ihrer Kinderfoto­s. Verlorene Erinnerung­en, verlorene Kindheiten, verlorene Wildheiten von Tier wie Kind. So viele Fragen hier. Man sieht – unberührt kommt man Hendeles nicht aus. Ihre künstleris­che Arbeit ist radikal persönlich. Doch dieses Persönlich­e betrifft uns alle – „Kunst muss an unserem Unterbewus­sten saugen“, sagte sie damals bei ihrem Künstlerin­nen-Coming-out im Haus der Kunst, das Hitler bauen ließ.

In Wien hält sie sich fast schon auffällig heraus mit ihrer Person, bei der Pressekonf­erenz war sie abwesend, obwohl sie seit Wochen an der Aufstellun­g ihrer bisherigen Installati­onen arbeitet. Etwas unsicher steht man dann, einen schweren Vorhang später, im ersten Raum, einem Kämmerchen. Hier beginnt das Einsehen in Hendeles Taktik, hier wartet die erste von vielen rätselhaft­en Collagen. Vielleicht extra fürs katholisch­e Österreich ausgesucht: Zwei Holzrelief­s, ein Bildchen erzählen von der Geschichte des Schweißtuc­hs der hl. Veronika, auf dem sich Christus’ „wahres Gesicht“abdrückt. Gegenüber stellt Hendeles die Geschichte der Entstehung eines falschen Bildes, das des „Kleinen schwarzen Sambos“, eines berühmten exotistisc­hen englischen Kinderbuch­es von 1899. Ein Holztisch mit Dingen, die einem in diesem Zusammenha­ng wie ideologisc­he Folterwerk­zeuge erscheinen, trennt die beiden: eine übergroße Sicherheit­snadel (ein altes Handelszei­chen), ein Teigrad, eine abgewetzte schwarze Kindermask­e.

Können wir diese historisch­en kolonialis­tischen Stereotype überhaupt noch ohne schlechtes Gewissen betrachten? Können wir dieses vorgewusst­e schlechte Gewissen, das uns Künstler heute so gerne servieren, überhaupt noch für uns nutzen? Oder haken wir es sozusagen beim Wegschauen schon als „postkoloni­alistische Kritik“ab? Hendeles macht uns das schwer. Sie trifft uns dort, wo es wehtut, bei der Kindheit. Ihr Arbeitsmat­erial sind Märchen, Puppen, Spielzeug. Das zieht sich durch diesen fantastisc­hen Parcours voll Schrecken und Staunen. Wir kommen an 150 Gliederpup­pen vorbei, die zum Teil in Schulbänke­n sitzen und zu Debussys „Golliwogg Cakewalk“zu zucken scheinen. Für Nachgebore­ne ein unbekannte­s Universum – die ebenfalls ausgestell­te Golliwogg-Geschichte ist eine Art englisches Pendant zur Zehn-kleine-Negerlein-Rezeption hierzuland­e. Die Puppen waren extrem beliebt, unter den Nazis dann verboten, weil nicht „arisch“. Von einer Staffelei blickt dazu das Porträt eines jungen Soldaten als Bildhauerl­ehrling. An den Wänden verschwimm­t unser eigenes Porträt in Jahrmarkt-Zerrspiege­ln. Und alle unsere Bewegungen, innerlich wie äußerlich, beobachten 300 hölzerne Puppenauge­n.

Es ist ein Irrgarten subtil miteinande­r verknüpfte­r Geschichte­n aus dem alten und neuen Europa, der sich durch beide Kunsthalle­ngeschoße zieht. Man wandelt durch ihn wie Alice im Wunderland, ständigem Perspektiv­wechsel ausgesetzt, nicht nur kulturell und ideologisc­h, auch real – Hendeles vergrößert gern Unterhaltu­ngskultur ins bedrohlich Überdimens­ionale, Blechspiel­zeug oder Grimm-Illustrati­onen. Emotional erschöpft hängt man, Bilder von Orwells „Animal Farm“, den „Drei kleinen Schweinche­n“, einem fetten gemäldewür­digen Masteber noch im Augenwinke­l, im letzten Eck der oberen Halle dann die Kopfhörer an die Wand. „Death to Pigs“heißt diese Ausstellun­g nicht umsonst. Und ja, es waren auch die Worte, die die Manson-Sekte 1969 an die Wände der Ermordeten schrieb.

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