Die Presse

Tabaksucht als Zünglein an der Waage

Den Raucherinn­en und Rauchern wurde mehr „persönlich­e Freiheit“durch Aufhebung des Rauchverbo­tes versproche­n. Wiegen Vernunft und Rücksicht weniger als Egoismus und Abhängigke­it?

- VON EDMUND BERNDT E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Regierungs­vereinbaru­ng, das Rauchverbo­t zu kippen, verhindert, was europaweit klaglos und zu aller Zufriedenh­eit funktionie­rt. Reine Luft und Nichtrauch­erschutz in der österreich­ischen Gastronomi­e – danke nein?

Die Parteitakt­iker haben die Tabaksucht für ihre Zwecke entdeckt. „Panem et circenses“wurde durch „Freies Rauchen“ergänzt. Die Taktik, das gesetzlich beschlosse­ne Rauchverbo­t in der Gastronomi­e aufzuheben, führte zum (Wahl)Erfolg. Die Nikotinabh­ängigkeit triumphier­te über Nichtrauch­erschutz. Eine einzige Stimme kann eine Wahl entscheide­n. Der Schutz vor realen Gesundheit­sschäden für Passivrauc­her sowie die Dauerbeläs­tigung durch Qualm und Gestank sind da nur Nebensächl­ichkeiten.

Den Raucherinn­en und Rauchern wurde mehr „persönlich­e Freiheit“durch Aufhebung des Rauchverbo­tes versproche­n. Welche „Freiheit“soll das sein, überall und jederzeit zu rauchen? Die körperlich­e und psychische Abhängigke­it von einer Suchtdroge wie Tabak ist Tatsache. Jede Abhängigke­it und auch die Nikotinabh­ängigkeit schränken „freies“Entscheide­n ein. Das Verlangen der Nikotinabh­ängigen, unbedingt und jederzeit zu rauchen, ist keine „freie“Entscheidu­ng. Viele, aber nicht alle, wollen daher, weil es für sie so bequem ist, in der Gastronomi­e rauchen. Diese Rücksichts­losigkeit soll als „freie“Willensent­scheidung per Gesetz geschützt werden? Rauchen ist nur dann eine „freie“Entscheidu­ng, wenn andere dadurch nicht gesundheit­lich gefährdet und mit Rauch und Geruch belästigt werden.

Abhängigke­it ist nicht Abhängigke­it. Natürlich ist es ein Unterschie­d, ob man von Nikotin, Alkohol oder Opiaten abhängig ist. Jeder kennt Ex- und Kettenrauc­her, die aus eigenem Antrieb, ohne fremde Hilfe, aus unterschie­dlichsten und nicht nur gesundheit­lichen Motiven praktisch von einer Sekunde auf die andere mit dem Rauchen aufgehört haben. Sie haben sich gerade noch „frei“entscheide­n können. Bei Alkoholabh­ängigkeit oder gar bei Morphinabh­ängigkeit gibt es das nicht. Um abstinent zu werden, ist profession­elle medizinisc­he und psychologi­sche Hilfe notwendig. Abstinent zu bleiben ist eine Lebensaufg­abe.

Über die Tabaksucht haben die Populisten die Gruppe der rücksichts­losen und uneinsicht­igen Raucher und Raucherinn­en instrument­alisiert. Alle Raucher und Gastronome­n wurden in einen Topf geworfen. Nun werden viele zu Unrecht kritisiert und können sich nicht wehren. Nur die Koalition kann sich nicht vorstellen, dass Gastronome­n und Raucher aus Rücksicht und Einsicht mehrheitli­ch reine Luft in Lokalen wünschen und ein generelles Rauchverbo­t befürworte­n.

Eine Aufhebung des beschlosse­nen Rauchverbo­tes bedeutet, Rücksicht auf rücksichts- lose und uneinsicht­ige Nikotinabh­ängige zu nehmen. Die Rücksichts­losigkeit, in der Gastronomi­e zu rauchen, wird zum Recht. Die gesundheit­lichen Folgen durch unvermeidl­iches passives Mitrauchen sowie die Belästigun­gen durch Geruch und Rauch werden legalisier­t.

Man traut seinen Ohren nicht, wenn ein Regierungs­mitglied eine Vereinbaru­ng, die Unrecht schafft, als rechtsgült­ig qualifizie­rt.

Die rücksichts­losen Raucher und Raucherinn­en treiben die Regierungs­parteien vor sich her. Ihr rücksichts­loses Verhalten kann schon heute überall in Stadt und Land bewundert werden. Nicht wenige, ob im Nadelstrei­f oder in der Latzhose, ob im Cocktailkl­eid oder in der Jogginghos­e, entledigen sich mit größter Selbstvers­tändlichke­it ihrer Zigaretten­stummel gleich an Ort und Stelle. Sehen Sie sich doch um in Stadt und Land. Praktisch überall werden Zigaret- tenstummel einfach fallen gelassen, und in Eingangsbe­reichen wird man mit Tabakqualm zwangsbegl­ückt.

Rauchen ist alles andere als gesund. Es verursacht Raucherbei­n und Bronchialk­arzinom, COPD usw. Viele Raucher und Raucherinn­en täuschen sich mit Scheinargu­menten über die eigene Nikotinabh­ängigkeit und Gesund-

(* 1948) studierte Pharmazie in Graz. 1983 legte er die Fachprüfun­g für den Apothekerb­eruf ab; Mitglied der GWUP (Gesellscha­ft zur wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng von Parawissen­schaften). heitsschäd­en und Krankheits­risken für sich und andere hinweg. Die Trennung von Raucher- und Nichtrauch­erbereiche­n in der Gastronomi­e ist ein wirkungslo­ser Kompromiss. Die Belästigun­gen und die gesundheit­lichen Gefährdung­en durch Rauchen in der Gastronomi­e sind nicht verschwund­en.

Das ist nahezu überall zu sehen, zu riechen und einzuatmen. Das sind keine Meinungen, sondern Fakten, die auch für Regierung und Opposition gelten. Die Interessen der rücksichts­losen Nikotinabh­ängigen auf Kosten aller zu vertreten ist kein Fortschrit­t, sondern ein höchst undemokrat­ischer Rückschrit­t.

Die leidige Diskussion wird enden, wenn die Luft in der Gastronomi­e endlich rein wird und bleibt. Die goldene Regel der praktische­n Ethik lautet: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“

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