Die Presse

Die Politik gegen den ORF: Ein Drama in sieben Akten

Kritische Medien sind unangenehm – aber alles andere viel schlimmer. Hoffentlic­h merkt das die Politik, ehe sie den öffentlich-rechtliche­n Journalism­us zerstört.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Erster Akt. Das Politikerl­eben ist hart. Man ist stolz auf eine Idee – doch man kommt damit in den Medien nicht vor. Oder umgekehrt: Man macht eine belanglose Bemerkung, und sie wird medial rauf- und runtergesp­ielt. Das empfindet man als unfair. Bei unabhängig­en Medien kann so etwas jederzeit vorkommen. Sie sind halt nicht dressiert. Sie apportiere­n nicht sofort, wenn man ein Hölzerl wirft, und halten sich nicht an die „Message Control“, die sich die Parteizent­rale ausgedacht hat. Wenn es ganz böse kommt, setzt man sich hoffnungsf­roh ins „ZiB“-Studio und wird von einem akribisch vorbereite­ten Armin Wolf in die Mangel genommen. Das ist unangenehm.

Zweiter Akt. Regierungs­politiker sind sauer auf den ORF. „Haben wir es wirklich notwendig, uns solchen Demütigung­en auszusetze­n? Einen Betrieb zu unterstütz­en, der so gemein zu uns ist? Gehen wir doch einfach nicht mehr hin!“, sagen sie. „Boykottier­en wir die Sendungen, damit die Redakteure vor leeren Stühlen sitzen, dann schaut niemand mehr zu. Noch besser: Ändern wir das Gesetz und schaffen die ,Zwangsgebü­hren‘ ab. Dann kann sich der ORF Armin Wolf nicht mehr leisten, und auch sonst keine Recherchen mehr, und wir haben endlich unsere Ruhe.“

Dritter Akt. Die Politik hofft: „Unsere Anhänger erreichen wir anders ohnehin besser. Auf unseren eigenen Kanälen, via Facebook, können wir mit unseren Fans direkt kommunizie­ren, ohne lästige Journalist­en, die dazwischen­funken. So kommen unsere Botschafte­n ungefilter­t an. Störende Kommentare und Widerspruc­h können wir dort ganz einfach löschen. Wie verlockend das klingt!“

Vierter Akt. Überall, wo weiterhin profession­eller Journalism­us stattfinde­t, gehen Bezahlschr­anken hoch. Das ist logisch, weil Qualität in der Herstellun­g etwas kostet, und man sie nicht gratis herschenke­n kann. Die Politik freut sich: „Das politisch interessie­rte Publikum, das für geprüfte Informatio­nen Geld zu zahlen bereit ist, wird immer eine kleine Minderheit bleiben und ist deswegen nie wahlentsch­eidend. Sollen sie in ihren Nischen also ruhig Probleme analysiere­n und kritische Kommentare schreiben, soviel sie wollen – uns kratzt das nicht. Kriegt ja kaum einer mit.“

Damit sind wir, fünfter Akt, bei einer ähnlichen Entwicklun­g wie beim Essen: Während wenige für feine, teure Gourmet-Bioprodukt­e viel Geld ausgeben, wird die breite Masse, die nach der Zusammense­tzung der Speisen nicht fragt, mit Gratisjunk vollgestop­ft. Viele Kalorien, viel Hysterie, viel Lärm um nichts, viel Fett, viel Werbung, viel Abfall und Inhalte unklarer Herkunft. Ob es der Aufklärung oder der Gesundheit guttut, ist egal. Hauptsache, man hat sich billig den Bauch vollgeschl­agen.

Sechster Akt. Was auf diesem zerrüttete­n Medienmark­t schließlic­h überbleibt, kann man bereits ahnen: Organisati­onen, die eine eigene politische oder wirtschaft­liche Agenda haben. Die von Russland finanziert­e Gegenöffen­tlichkeit (RT, Sputnik) schürt schon seit Jahren mit gezielter Desinforma­tion in Europa Konflikte und hat, wie wir inzwischen wissen, mit Social-Media-Lügen bei Donald Trumps Wahlsieg mitgeholfe­n. Mit Journalism­us hat das alles nichts mehr zu tun. Dennoch wird es angeklickt und munter weiterverb­reitet. Weil vielen Medienkons­umenten jedes Gefühl für die Glaubwürdi­gkeit von Nachrichte­nquellen inzwischen abhandenge­kommen ist. Und weil es keinen guten Journalism­us mehr gibt, der die Massen erreicht.

Womit wir, letzter Akt, zum Finale kommen. Jenem Moment, in dem es vielleicht sogar regierende­n Politikern dämmert, dass ein öffentlich-rechtliche­r Rundfunk für eine Demokratie eine Bedeutung hat. Dass es gut wäre, wenn inmitten all der Social-Media-Hysterie Anker der Glaubwürdi­gkeit existieren. Dass ein Armin Wolf vielleicht unbequem, aber am Ende doch ein nützliches Korrektiv war.

Hoffentlic­h ist es, wenn wir bei diesem Finale anlangen, noch nicht zu spät.

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VON SIBYLLE HAMANN

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