Rettung der Demokratie im Ernstfall
Parlament. Die Ausschaltung des Nationalrats jährt sich zum 85. Mal. Als Reaktion auf die damaligen Ereignisse wurde die Geschäftsordnung des Nationalrats geändert. Aber ist die Demokratie nun für Notfälle geschützt? Was gilt, wenn es ernst wird?
85. Jahrestag der Ausschaltung des Nationalrats – würde das auch heute noch so funktionieren?
Drei Nationalratspräsidenten, die wegen Streitigkeiten am 4. März 1933 zurücktraten. Dazu ein Kanzler, dem das zur Entfaltung seiner Diktatur gelegen kam und ein Bundespräsident, der nicht einschritt. Und schon war sie weg, die Demokratie. Aus den Ereignissen von damals hat man gelernt. Doch wie würde so ein Szenario heute verlaufen? Ist die Demokratie ausreichend geschützt? Eine Prüfung anhand theoretischer Szenarien:
1 Das Parlament rettet sich in einer Krise selbst.
Eines der Hauptprobleme 1933 war, dass die Geschäftsordnung nichts für den Fall vorsah, dass alle drei Parlamentspräsidenten zurücktreten. Schon zu Beginn der Zweiten Republik, im Jahr 1948, habe man daher die Geschäftsordnung geändert, sagt Werner Zögernitz, Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen.
Nun gilt: Fallen alle drei Nationalratspräsidenten aus, hat der an Jahren älteste Abgeordnete den Vorsitz inne. Es kommen aber nur Mandatare in Frage, deren Partei zuvor im Nationalratspräsidium vertreten war (momentan ÖVP, SPÖ, FPÖ). Kommt der ausgewählte Abgeordnete der Pflicht, den Nationalrat einzuberufen, nicht nach, ist nach acht Tagen der nächstältere Mandatar an der Reihe – und so weiter. In der Sitzung sind dann drei neue Präsidenten zu wählen.
2 Der Bundeskanzler und seine Regierung retten das Parlament.
Doch was ist, wenn gar niemand mehr den Ersatzvorsitz übernehmen will? Oder, wenn irgendwann eine Partei mit absoluter Mehrheit das Parlament lahmlegen möchte? Schließlich muss ein Ersatzvorsitzender aus den Reihen der Parteien stammen, die schon im Präsidium vertreten war. Eine Mehrheitspartei könnte von Anfang an alle drei Nationalratspräsidenten mit ihren Leuten besetzen (die momentan übliche Aufteilung auf drei Fraktionen ist nicht Pflicht). Und diese Mehrheitspartei könnte alle drei Präsidenten zurücktreten lassen und die Parteifreunde aus den einfachen Abgeordnetenreihen ersuchen, das Amt nicht anzunehmen.
In dem Fall könnte die Bundesregierung die Situation retten. Und zwar, indem sie beim Bundespräsidenten beantragt, den Nationalrat aufzulösen. Die Folge wären Neuwahlen und ein neues, funktionstüchtiges Parlament.
3 Der Bundespräsident rettet das Parlament.
Nun stecken Regierung und Parlamentsmehrheit aber meist unter einer Decke. Und dann scheint der Bundespräsident gefesselt zu sein. Denn er kann nur auf Antrag der Regierung Neuwahlen veranlassen. Doch der Bundespräsident habe ja das Recht, die Regierung zu entlassen und eine neue zu ernennen, sagt Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk. Und so könnte sich das Staatsoberhaupt eine Regierung zurechtschneidern, die ihm unverzüglich Neuwahlen vorschlägt.
Der Bundespräsident käme auch ins Spiel, wenn die Polizei das Parlament umstellen würde, damit kein Abgeordneter mehr hineinkann. Denn das Staatsoberhaupt kann das an sich in Wien ansässige Parlament auch an einen anderen Ort Österreichs verlegen. Auch dafür braucht der Bundespräsident aber einen Antrag der Regierung.
4 Das Ausland rettet die österreichische Demokratie.
Laut österreichischer Verfassung würde es nicht mal eines Staatsstreiches bedürfen, um die Demokratie abzuschaffen. Es ginge sogar ganz legal – per Volksabstimmung.
Österreich ist aber nicht nur EU-rechtlich, sondern auch durch völkerrechtliche Verträge verpflichtet, demokratisch zu sein. Die UNO etwa könnte aber militärisch nicht handeln, bestehe sie doch selbst auch aus undemokratischen Staaten, analysiert Verfassungsjurist Theo Öhlinger.
Ein rechtlicher Anknüpfungspunkt wäre laut Funk aber der Staatsvertrag von Wien, in dem sich Österreich 1955 zur Demokratie verpflichtet hat. Die einstigen Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich, USA und Russland (als Nachfolger der Sowjetunion) könnten militärisch einschreiten.
5 Alle Schutzmaßnahmen nützen irgendwann nichts mehr.
Wenn Machthaber aber beschließen, sich über die Demokratie hinwegzusetzen und dabei das Volk hinter sich haben, nützen am Ende die besten Vorkehrungen nichts. Da würden selbst Ewigkeitsgarantien, wie es sie in der deutschen Verfassung für die Demokratie gibt, nicht helfen, meint Experte Öhlinger. Auch Funk sieht das Problem: „Keine Rechtsordnung ist imstande, die Voraussetzung ihrer eigenen Wirksamkeit zu garantieren.“
Am Ende ist die Demokratie also nur so stark, wie sie gelebt wird. Auch das ist eine Lehre aus den Ereignissen von 1933 und den darauf folgenden Jahren.