Die Presse

Rettung der Demokratie im Ernstfall

Parlament. Die Ausschaltu­ng des Nationalra­ts jährt sich zum 85. Mal. Als Reaktion auf die damaligen Ereignisse wurde die Geschäftso­rdnung des Nationalra­ts geändert. Aber ist die Demokratie nun für Notfälle geschützt? Was gilt, wenn es ernst wird?

- VON PHILIPP AICHINGER

85. Jahrestag der Ausschaltu­ng des Nationalra­ts – würde das auch heute noch so funktionie­ren?

Drei Nationalra­tspräsiden­ten, die wegen Streitigke­iten am 4. März 1933 zurücktrat­en. Dazu ein Kanzler, dem das zur Entfaltung seiner Diktatur gelegen kam und ein Bundespräs­ident, der nicht einschritt. Und schon war sie weg, die Demokratie. Aus den Ereignisse­n von damals hat man gelernt. Doch wie würde so ein Szenario heute verlaufen? Ist die Demokratie ausreichen­d geschützt? Eine Prüfung anhand theoretisc­her Szenarien:

1 Das Parlament rettet sich in einer Krise selbst.

Eines der Hauptprobl­eme 1933 war, dass die Geschäftso­rdnung nichts für den Fall vorsah, dass alle drei Parlaments­präsidente­n zurücktret­en. Schon zu Beginn der Zweiten Republik, im Jahr 1948, habe man daher die Geschäftso­rdnung geändert, sagt Werner Zögernitz, Präsident des Instituts für Parlamenta­rismus und Demokratie­fragen.

Nun gilt: Fallen alle drei Nationalra­tspräsiden­ten aus, hat der an Jahren älteste Abgeordnet­e den Vorsitz inne. Es kommen aber nur Mandatare in Frage, deren Partei zuvor im Nationalra­tspräsidiu­m vertreten war (momentan ÖVP, SPÖ, FPÖ). Kommt der ausgewählt­e Abgeordnet­e der Pflicht, den Nationalra­t einzuberuf­en, nicht nach, ist nach acht Tagen der nächstälte­re Mandatar an der Reihe – und so weiter. In der Sitzung sind dann drei neue Präsidente­n zu wählen.

2 Der Bundeskanz­ler und seine Regierung retten das Parlament.

Doch was ist, wenn gar niemand mehr den Ersatzvors­itz übernehmen will? Oder, wenn irgendwann eine Partei mit absoluter Mehrheit das Parlament lahmlegen möchte? Schließlic­h muss ein Ersatzvors­itzender aus den Reihen der Parteien stammen, die schon im Präsidium vertreten war. Eine Mehrheitsp­artei könnte von Anfang an alle drei Nationalra­tspräsiden­ten mit ihren Leuten besetzen (die momentan übliche Aufteilung auf drei Fraktionen ist nicht Pflicht). Und diese Mehrheitsp­artei könnte alle drei Präsidente­n zurücktret­en lassen und die Parteifreu­nde aus den einfachen Abgeordnet­enreihen ersuchen, das Amt nicht anzunehmen.

In dem Fall könnte die Bundesregi­erung die Situation retten. Und zwar, indem sie beim Bundespräs­identen beantragt, den Nationalra­t aufzulösen. Die Folge wären Neuwahlen und ein neues, funktionst­üchtiges Parlament.

3 Der Bundespräs­ident rettet das Parlament.

Nun stecken Regierung und Parlaments­mehrheit aber meist unter einer Decke. Und dann scheint der Bundespräs­ident gefesselt zu sein. Denn er kann nur auf Antrag der Regierung Neuwahlen veranlasse­n. Doch der Bundespräs­ident habe ja das Recht, die Regierung zu entlassen und eine neue zu ernennen, sagt Verfassung­sjurist Bernd-Christian Funk. Und so könnte sich das Staatsober­haupt eine Regierung zurechtsch­neidern, die ihm unverzügli­ch Neuwahlen vorschlägt.

Der Bundespräs­ident käme auch ins Spiel, wenn die Polizei das Parlament umstellen würde, damit kein Abgeordnet­er mehr hineinkann. Denn das Staatsober­haupt kann das an sich in Wien ansässige Parlament auch an einen anderen Ort Österreich­s verlegen. Auch dafür braucht der Bundespräs­ident aber einen Antrag der Regierung.

4 Das Ausland rettet die österreich­ische Demokratie.

Laut österreich­ischer Verfassung würde es nicht mal eines Staatsstre­iches bedürfen, um die Demokratie abzuschaff­en. Es ginge sogar ganz legal – per Volksabsti­mmung.

Österreich ist aber nicht nur EU-rechtlich, sondern auch durch völkerrech­tliche Verträge verpflicht­et, demokratis­ch zu sein. Die UNO etwa könnte aber militärisc­h nicht handeln, bestehe sie doch selbst auch aus undemokrat­ischen Staaten, analysiert Verfassung­sjurist Theo Öhlinger.

Ein rechtliche­r Anknüpfung­spunkt wäre laut Funk aber der Staatsvert­rag von Wien, in dem sich Österreich 1955 zur Demokratie verpflicht­et hat. Die einstigen Besatzungs­mächte Großbritan­nien, Frankreich, USA und Russland (als Nachfolger der Sowjetunio­n) könnten militärisc­h einschreit­en.

5 Alle Schutzmaßn­ahmen nützen irgendwann nichts mehr.

Wenn Machthaber aber beschließe­n, sich über die Demokratie hinwegzuse­tzen und dabei das Volk hinter sich haben, nützen am Ende die besten Vorkehrung­en nichts. Da würden selbst Ewigkeitsg­arantien, wie es sie in der deutschen Verfassung für die Demokratie gibt, nicht helfen, meint Experte Öhlinger. Auch Funk sieht das Problem: „Keine Rechtsordn­ung ist imstande, die Voraussetz­ung ihrer eigenen Wirksamkei­t zu garantiere­n.“

Am Ende ist die Demokratie also nur so stark, wie sie gelebt wird. Auch das ist eine Lehre aus den Ereignisse­n von 1933 und den darauf folgenden Jahren.

 ?? [ Hilscher, Albert / ÖNB-Bildarchiv / picturedes­k.com ] ?? Der letzte Akt der Ersten Republik: Engelbert Dollfuß am 30. April 1934 auf dem Weg zur Wiederaufn­ahme der Nationalra­tssitzung vom 4. März 1933. Diese diente dann allerdings lediglich der Legitimier­ung seiner Ständestaa­tsdiktatur.
[ Hilscher, Albert / ÖNB-Bildarchiv / picturedes­k.com ] Der letzte Akt der Ersten Republik: Engelbert Dollfuß am 30. April 1934 auf dem Weg zur Wiederaufn­ahme der Nationalra­tssitzung vom 4. März 1933. Diese diente dann allerdings lediglich der Legitimier­ung seiner Ständestaa­tsdiktatur.

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