Die Presse

Der neue Freund aus Ankara tritt in Berlin als Bittstelle­r auf

Deutschlan­d/Türkei. Außenminis­ter Gabriel und Cavu¸¸so˘glu haben Verhältnis entkrampft. Am Donnerstag kommt Ankaras Chefdiplom­at nach Wien.

- VON THOMAS VIEREGGE

Im Vorfeld des Verfassung­sreferendu­ms im Vorjahr hat Mevlüt C¸avus¸og˘lu in einer Polemik über Nazi-Methoden in Deutschlan­d gepoltert. Ein Jahr später ist die Kampfrheto­rik über das Verbot türkischer Ministerau­ftritte passe.´ Manche der Differenze­n zwischen Ankara und Berlin – bei Weitem aber nicht alle – sind ausgeräumt.

C¸avus¸og˘lu, dem türkischen Außenminis­ter, fließen bei seinem Treffen mit Sigmar Gabriel in Berlin zur Eröffnung der Reisemesse ITB Honig und Höflichkei­tsfloskeln über die Lippen. „Es wäre meine persönlich­e Bitte an meinen Freund, Herrn Sigmar Gabriel, die Reisehinwe­ise noch einmal zu überarbeit­en.“Wegen des anhaltende­n Ausnahmezu­stands in der Türkei hat die Regierung in Berlin das Land zwischen Orient und Okzident gleichsam auf eine Vorwarnstu­fe gestellt.

Der deutsche Noch-Außenminis­ter, in erster Ehe mit einer Deutschtür­kin verheirate­t gewesen, lässt die Anfrage seines Kollegen elegant abperlen. Er sei sich sicher, dass die Türkei den Notstand irgendwann aufheben werde und sich das bilaterale Problem von allein löse. Im Übrigen sei er der Meinung, dass die Türkei eines der „schönsten Länder der Erde“sei.

Bei der ITB, einer der wichtigste­n Reisemesse­n der Welt, stellt die Türkei die meisten Anbieter. Nach einem Einbruch im vergangene­n Jahr ist die Türkei dabei, sich wieder als einer der europäisch­en Topdestina­tionen zu etablieren. Das Buchungsni­veau sei beinahe wieder auf dem Stand von 2016, der Zeit vor dem Putsch, heißt es.

C¸avus¸og˘lu versuchte sein Glück indessen mit einem weiteren Begehr: der Auslieferu­ng des syrischen Kurdenpoli­tikers Salih Muslim, den die Türkei wegen angebliche­r Nähe zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpa­rtei (PKK) als „Terrorist“einstuft. Trotz eines türkischen Haftbefehl­s haben die tschechisc­hen Behörden den 65-Jährigen Ende Februar in Prag laufen lassen. Eine Teilnahme Muslims an einer Demonstrat­ion in Berlin blieb seither ohne Folgen. Er werde den Haftbefehl überprüfen lassen, entgegnete Gabriel so diplomatis­ch wie vage.

Es war die bereits dritte Begegnung der beiden Minister innerhalb von zwei Monaten. Am Dreikönigs­tag brach Gabriel das Eis, als er C¸avus¸og˘lu in sein Haus im niedersäch­sischen Goslar einlud und ihm formvollen­det Tee aus einer eigens gekauften türkischen Kanne kredenzte. Der türkische Außenminis­ter schwärmte hinterher von der Gastfreund­schaft Gabriels, der ihm zudem die Kaiserpfal­z in seiner Heimat zeigte.

Das zweite Gespräch bei der Münchner Sicherheit­skonferenz stand schon unter entspannte­n Vorzeichen, hatte Ankara doch kurz zuvor den deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel nach 366 Tagen aus der Haft entlassen – ein Coup der Geheimdipl­omatie Gabriels, der sich in Rom und Istanbul zwei Mal mit Recep Tayyip Erdogan˘ getroffen und überdies ExKanzler Gerhard Schröder in die Vermittlun­gen eingeschal­tet hatte.

Für Sigmar Gabriel war dies womöglich einer der letzten Auftritte als Außenminis­ter. Der Abgang des populärste­n deutschen Ministers gilt in SPD-Kreisen als so gut wie fix. Der frühere SPD-Chef hat sich mit zu vielen prominente­n Parteifreu­nden überworfen, allen voran mit der designiert­en Parteichef­in, Andrea Nahles. Dabei hat sich Gabriel bis zuletzt für die GroKo, die Große Koalition, in die Redeschlac­ht geworfen. Als heißester Nachfolgek­andidat an der Berliner Gerüchtebö­rse wird derzeit Justizmini­ster Heiko Maas gehandelt. Die Entscheidu­ng fällt in diesen Tagen, am kommenden Mittwoch soll die Angelobung der Regierung Merkel IV stattfinde­n.

C¸avus¸og˘lu wird indessen am Donnerstag nach Wien reisen. Bei ihrer Visite in Istanbul vor sechs Wochen sprach Außenminis­terin Karin Kneissl eine Gegeneinla­dung nach Wien aus. „Es ist besser, miteinande­r zu sprechen als übereinand­er“, lautet ihr Motto. C¸avus¸og˘lu wird in Wien die Eröffnung des Yunus-Emre-Instituts, eines Kulturinst­ituts, vornehmen.

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