Das Schöne am Tod
Interview. Regisseur Luk Perceval hat eine besondere Sicht auf das Alter und den Tod. Und Schauspieler Tobias Moretti interessieren Menschen nicht, die an sich „herumschnipseln“.
Regisseur Luk Perceval und Schauspieler Tobias Moretti im Doppelinterview über Alter und Sterben.
Am 12. März hat das Stück „Rosa oder Die barmherzige Erde“im Akademietheater Premiere. Der Regisseur Luk Perceval verknüpft Shakespeares „Romeo und Julia“mit Dimitri Verhulsts Roman„Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“, Darin erzählt er von dem 73-jährigen Desir´e,´ der das Leben an der Seite seiner Frau nicht mehr erträgt. Er beschließt, eine Demenz vorzutäuschen und in ein Pflegeheim zu ziehen. Dort trifft er seine große Liebe Rosa wieder. Doch seine „Julia“verlischt, was Desir´e´ zum Verzweifeln bringt. Ohne sie will er nicht weiterleben. Seine vorgetäuschte Demenz wird Wirklichkeit.
Die Presse: Sie beide arbeiten zum ersten Mal zusammen. Herr Moretti, wussten Sie, worauf Sie sich einlassen? Tobias Moretti: Ich wusste nicht genau, was auf mich zukommt. Es hieß erst nur, Luk Perceval macht am Burgtheater ein Stück, das es aber noch nicht gibt. Wir haben uns dann in Antwerpen getroffen. Luks Arbeiten kenne ich seit den späten 1990er-Jahren, als er an den Münchner Kammerspielen, meinem ehemaligen Theater, gearbeitet hat. Seine Inszenierungen haben mich damals atemlos gemacht wie kaum etwas zuvor. Solche Reaktionen beim Publikum hab ich vorher noch nicht erlebt. Da hat einer dem anderen das Programmheft auf den Schädel geschlagen. Alle Regeln schienen aufgehoben. Da war plötzlich Krieg auf und vor der Bühne. Mit ihm wollte ich immer einmal arbeiten. Nun merke ich, dass es mir doppelt Freude macht – aber es ist auch sehr schwer. Nicht nur die Figur selbst, sondern weil Perceval keine Figuren mag, der Einsatz ist man selbst.
Wie meinen Sie das? Moretti: Als Schauspieler will man immer sofort eine Figur entwickeln. Sie ist so etwas wie ein Hebstecken. Nur ist sie manchmal auch der Vorhang, den man vor sich aufoder zuzieht. So einen Vorgang bringt Perceval sofort um. Damit muss man erst einmal umgehen. Es ist aufregend, manchmal ist man hilflos. Manchmal geht es einem auf die Nerven.
Ich dachte, der Schlüssel zur Figur ist erst einmal der Text. Moretti: Nein, wieso? Nicht zwingend. Wir erzählen Situationen. Das interessiert den Zuschauer, wenn er ins Theater geht. Wenn ich ohnehin weiß, was mit mir passiert, weil ich den Text schon in- und auswendig kenne, brauche ich nicht mehr herkommen. (Perceval lacht)
Wieso lachen Sie? Luk Perceval: Ich finde es eine interessante Idee, ins Theater zu gehen und schon vorweg den Text zu kennen. Das soll vorkommen. Perceval: Ja, es gibt sogar Leute, die lesen den Text während der Vorstellung im Reklamheft mit. Moretti: Letztlich geht es um den Austausch zwischen dem Publikum und uns da oben. Das, was nicht absehbar ist, das ist das Interessante am Theater. Es kann dadurch auch sein, dass ein Zuschauer hinausgeht, weil ihm fad ist oder weil er das Tempo oder die Pausen nicht mehr aushält. Damit muss man klarkommen. Und damit sind wir schon bei der Figur des Dementen und seiner Freiheit: Er bestimmt das Tempo, nicht die anderen, das ist seine Anarchie.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, diese zwei Geschichten miteinander zu verknüpfen? Perceval: Ich laufe schon viele Jahre mit dem Gedanken herum, „Romeo und Julia“zu machen, aber mit alten Menschen. Jedes Mal, wenn ich das Stück mit jungen Schauspielern sah, fand ich die Idee blöd, dass ihre Liebe erst im Tod ihre Vollendung finden soll. Wieso soll man sich für eine unerfüllte Liebe umbringen, wenn man noch jung ist? Wenn aber alte Menschen den Text sprechen, hat das eine andere Dimension.
Und wieso? Perceval: Wir Menschen sind wie Tiere, die nie genug haben. Wir suchen immer nach noch mehr. Aber als alter Mensch akzeptiert man seinen Zerfall, und man hat schon viele Versuche der Liebe hinter sich. Das Ablegen aller Erwartungen und das Versöhnen mit dem Tod als einen Ort, an dem man seine Liebe vollendet, fand ich einen sehr rührenden Gedanken für alte Menschen.
Glauben Sie denn, dass Menschen all ihre Erwartungen im Alter ablegen? Perceval: Wir haben als Vorbereitung auf das Stück ein Pflegeheim besucht. Für mich war extrem auffällig, dass die Leute dort kein Ziel mehr haben, nichts mehr wollen. Sie sitzen einfach nur herum. Man spürt, dass etwas weg ist, was uns treibt.
Das empfinden Sie als positiv? Perceval: Wir, die Getriebenen, sehen das immer negativ. Aber ist es so positiv, immer getrieben zu sein? Moretti: Für mich war das anders. Mich hat der Zustand dieser Menschen im Heim wahnsinnig gemacht. Ich habe Wut, Hass und Angst empfunden, weil ihnen jegliche Autonomie verloren ging. Allerdings hilft es mir natürlich auch für meinen Desir´e.´ Es ist befreiend, wenn eine Figur nichts mehr will, weil sie ja dann keine Figur mehr ist. Und vielleicht ermöglicht erst dieser Zustand, dass so etwas Unvorhersehbares wie diese Liebe geschehen kann.
Der Gedanke, dass alte Menschen sich im Tod in Liebe wiederfinden, ist schön, aber eine reine Fiktion. Perceval: Ja, eine reine Fiktion. Eine Illusion.
Ist so eine Fiktion tröstend? Perceval: Ja, klar. Ich will das nicht denunzieren. Moretti: Die Illusion ist der Motor für alles. Fürs Leben und fürs Überleben. Wenn die Illusion stirbt, stirbt alles. Das ist ja auch das Problem von Desir´e.´ Deshalb entzieht er sich dem Leben, er flieht in die Demenz, letztlich in den Tod.
Ihre Sicht aufs Alter erscheint mir fast verklärt. Erleben Sie das Alter als etwas so Gütiges, Mildes? Perceval: Ich würde es anders sagen. Wir leben in einer Zeit, in der das Alter weggeschoben wird. Dabei leben wir in einer Gesellschaft, die immer älter wird. Trotzdem setzen wir alles daran, so zu tun, als wären wir alle jung. Es ist höchste Zeit, dass wir als Gesellschaft lernen, anders auf das Alter zu schauen und es nicht nur als eine Last, als etwas Hässliches, Stinkendes und Beängstigendes zu sehen. Altwerden hat auch viele schöne und witzige Aspekte. Die Herausforderung, vor der wir alle stehen, ist, wach und neugierig zu bleiben. Wenn man das Staunen verlernt, verurteilt man sich selbst. Moretti: Das irre Glück unseres Berufes, unser Vorteil.
Wieso? Moretti: Es ist der einzige Beruf, in dem man besser wird und anerkannt wird, dass man mit dem Alter eine andere Qualität bekommt. Man wird profunder und radikaler – wenn man es schafft. Und trotzdem leicht. Darauf freue ich mich wahnsinnig – wenn man hell in der Birne bleibt. Diese Rolle ist der erste Schritt.
Das werden viele Ihrer Kollegen anders sehen. Moretti: Sie meinen das Altern? Das ist doch wurscht, irgendwann kommt es eh, früher oder später. Da verwechseln manche den Beruf mit dem roten Teppich. Mich interessieren Menschen, die in einem Verhältnis zu sich stehen und Persönlichkeiten sind. Wenn Leute glauben, an sich herumschnipseln lassen zu müssen, noch dazu so, dass man’s merkt, ist das peinlich, und man verliert das Interesse. Darum geht es nicht, da ist das Thema verfehlt, im Leben wie im Beruf. Perceval: Die Tatsache, dass auch das Theaterpublikum immer älter wird, ist übrigens eine große Chance. Sie wollen nicht nur unterhalten werden, sondern sich mit Themen wie Tod, Alter und Liebe beschäftigen. Moretti: Der Cantus firmus der Dramatik ist immer der Tod. Perceval: Das ist der Grund, weshalb wir Theater machen. Unsere Kunstform ermöglicht, uns mit der Angst vor dem Sterben zu versöhnen. Der Tod und alles, was danach kommt, kann auch etwas Schönes sein.