Die Presse

Die Rache der SPD-Führung an Sigmar Gabriel

Deutschlan­d. Sigmar Gabriel wird als Außenminis­ter ausgeboote­t – auch, weil er im Willy-Brandt-Haus verbrannte Erde hinterließ. Sein Nachfolger wird der bisherige Justizmini­ster Heiko Maas. Eine Überraschu­ng ist Neuköllns Bürgermeis­terin Franziska Giffey.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Sie nannten sich Freunde. Und sie teilten sich die Macht. „Martin“wurde SPD-Chef, „Sigmar“Außenminis­ter. So vereinbart­en sie es. 14 Monate ist das jetzt her. Danach gab es Streit. Immer wieder. Und nach der Wahl wollte der eine – Martin Schulz – Außenminis­ter werden und der andere – Sigmar Gabriel – Außenminis­ter bleiben. Am Ende haben beide nichts, außer ihr Salär als einfache Bundestags­abgeordnet­e und vielleicht die Genugtuung, dass der jeweils andere auch leer ausging.

Denn nach Schulz’ Rückzug aus der Spitzenpol­itik muss auch Sigmar Gabriel als Außenminis­ter gehen. So entschied es die SPDSpitze um Andrea Nahles und Olaf Scholz. Es ist eine späte Rache. Beide hatten einst unter Gabriels SPDFührung (2009 bis 2017) gelitten und später unter dessen belehrende­n Zurufen von der Seitenlini­e. Die Lage eskalierte vollends, als es so aussah, als würde Schulz tatsächlic­h Gabriel als Außenminis­ter ablösen. Gabriel schäumte, er warf der SPD-Spitze Wortbruch vor und beleidigte Schulz mit einem angebliche­n Zitat seiner Tochter als „den Mann mit den Haaren im Gesicht“.

Aus der Sicht der Parteiführ­ung wäre Gabriel mit seinem Wankelmut und seiner Sturheit ein Störfaktor im Kabinett gewesen.

Am Ende half dem 58-Jährigen weder sein Umfrage-Aufstieg zum populärste­n Politiker noch die Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel, an der Gabriel mitgewirkt hatte und die er gestern zu seinen „bleibenden Erinnerung­en“zählte.

Aber jetzt ist der einst von Gabriel düpierte Scholz am Zug. Er wird Vizekanzle­r und Finanzmini­ster. Im Auswärtige­n Amt dürfte Gabriel Heiko Maas beerben. „Eine exzellente Wahl“, befand Gabriel, der nun den guten Verlierer gab.

Der rote Proporz

Das Leibthema des Juristen Maas ist der Kampf gegen Rechts. Die Pegida-Aufmärsche nannte er früh „eine Schande für Deutschlan­d“. Er schrieb ein Buch: „Aufstehen statt Wegducken“. Das kam an der SPDBasis gut an, machte Maas aber zugleich zum Feindbild der Rechten. Als Justizmini­ster agierte der Mann mit den Slim-Fit-Anzügen teils glücklos, seine Maßnahme gegen Hass im Internet, das sogenannte Netzwerkdu­rchsuchung­sgesetz, erhitzt weiter die Gemüter.

Die Wahl der künftigen SPDFamilie­nministeri­n fällt indes auf Franziska Giffey (39). Womit das Ostproblem gelöst wäre: Giffey wuchs in den neuen Bundesländ­ern auf (Frankfurt/Oder), deren SPD-Verbände ein Ministeram­t verlangen. Im Alter von 37 Jahren stieg Giffey zur jüngsten Bezirksbür­germeister­in Berlins auf, und das in Neukölln, der größten Problemzon­e der Hauptstadt. Wie ihr Förderer und Vorgänger, Heinz Buschkowsk­y, fordert Giffey einen starken Staat und beklagt die Manifestat­ion einer Parallelge­sellschaft.

Die bisherige Familienmi­nisterin, Katarina Barley (49), bleibt im Kabinett. Die Deutschbri­tin ist Juristin und könnte daher Justizmini­sterin werden oder alternativ ins Arbeits- und Sozialmini­sterium wechseln. Die SPD hatte versproche­n, drei ihrer sechs Ministerie­n mit Frauen zu besetzen.

Was zu Svenja Schulze führt. Sie ist SPD-Generalsek­retärin in Nordrhein-Westfalen, der roten Herzkammer, die man eher nicht übergehen sollte. Schulze dürfte nun Umweltmini­sterin werden.

Der sechste SPD-Ministerpo­sten geht entweder an Matthias Miersch (49), den Chef der SPDLinken, oder an Hubertus Heil (45), eher erfolglose­r Ex-SPD-Generalsek­retär. Beide stammen aus der Kaderschmi­ede Niedersach­sen, die einst Gerhard Schröder hervorgebr­acht hat – und Sigmar Gabriel.

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