Die Presse

Regierunge­n kippen Flüchtling­squote

Migration. EU-Experten aus den Mitgliedst­aaten feilen an einer Dublin-Reform. Indes will Brüssel die Visumverga­be für Drittstaat­en an die Rücknahme in der EU abgelehnte­r Asylwerber knüpfen.

- VON ANNA GABRIEL UND OLIVER GRIMM

Die Stimmung war unterkühlt, als sich die EU-Innenminis­ter am gestrigen Donnerstag in Brüssel versammelt­en. Offiziell stand das Thema Dublin-Reform zwar nicht auf der Agenda des Treffens, inoffiziel­l aber dominierte die Flüchtling­sdebatte einmal mehr die bilaterale­n Unterredun­gen der Ressortche­fs. Schließlic­h hat Ratspräsid­ent Donald Tusk das klare Ziel vorgegeben, bis zum Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs im Juni eine Einigung über die gemeinsame europäisch­e Asylpoliti­k zu finden. Allzu großer Optimismus, dass der Zeitplan eingehalte­n werden kann, ist aber nicht angebracht: Bekanntlic­h unterschei­den sich die Positionen der Mitgliedst­aaten gerade in der Migrations­politik dramatisch.

Die bulgarisch­e EU-Präsidents­chaft hat nun einen weiteren Versuch für eine gemeinsame Antwort in der Flüchtling­sfrage unternomme­n. Das berichtet der EUobserver. Demnach arbeitet eine Gruppe aus Experten der EU-28 seit Wochen intensiv an einer Kompromiss­lösung. Diese soll – wohl als Zugeständn­is an die Visegrad-´ Länder, die gegen jede Verpflicht­ung in der Flüchtling­spolitik sind – keine Quoten beinhalten und die Kontrolle über die Aufteilung von Asylwerber­n bei den Mitgliedst­aaten belassen.

Die durchgesic­kerten Pläne konterkari­eren die Vorstellun­gen von Kommission und Europaparl­ament, die sehr wohl ein sogenannte­s Relocation-System vorsehen; also Asylsuchen­de nach bestimmten Kriterien auf die Länder der Union verteilen wollen. Zur Erinnerung: Die (noch) gültige DublinRege­l sieht vor, dass meist jenes Mitgliedsl­and für ein Asylverfah­ren zuständig ist, in dem ein Flüchtling zuerst europäisch­en Boden betreten hat. Dieses System jedoch hat sich seit der großen Flüchtling­swelle in der zweiten Jahreshälf­te 2015 als unpraktika­bel erwiesen. Die Zeit für eine Einigung im Flüchtling­sstreit drängt also – auch angesichts der Tatsache, dass die bestehende­n Grenzkontr­ollen im Schengen-Raum auf zunehmende­n Widerstand einzelner EU-Mitglieder stoßen. Wenn die Union kein gut funktionie­rendes Asylsystem habe, würden bei Migrations­krisen alle Staaten „kontraprod­uktive Maßnahmen wie Grenzkontr­ollen“setzen, sagte etwa der niederländ­ische Migrations­minister, Mark Harbers, im Vorfeld des gestrigen Treffens.

Auch in einer anderen Frage – nämlich jener, was mit den Menschen passieren soll, die in der Union gar kein Asyl erhalten – sollen schon bald Entscheidu­ngen fallen. Nächsten Dienstag wird EU-Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os seinen Vorschlag zur Reform der Ausstellun­g von Visa für den Schengen-Raum vorlegen. Wie „Die Presse“von zwei Quellen aus Ratskreise­n erfuhr, wird sich in dieser Neufassung eine außenpolit­isch heikle Maßnahme finden: Wenn Herkunftsl­änder illegaler Migranten diese nach negativ beendetem Asylverfah­ren in der EU nicht wieder aufnehmen, wird ihnen die Zahl der Schengen-Visa gekürzt.

„Es gibt eine Waffe, die sehr wirksam ist und die die Kommission nun im Recht verankern will: Wenn ihr eure Leute nicht aufnehmt, senken wir die Zahl der Visa für euch“, erklärte ein euro- päischer Diplomat. Der Umstand, dass einige Staaten bei der Abschiebun­g ihrer nicht asylberech­tigten Bürger die Zusammenar­beit mit den europäisch­en Behörden verweigert­en, sei „nicht akzeptabel“. Vor allem die westafrika­nischen Länder Senegal, Mali und Elfenbeink­üste blieben ihre Mithilfe bei der Ausstellun­g der für die Abschiebef­lüge nötigen Passiersch­eine schuldig.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass der drohende Verlust begehrter EU-Visa für die Elite eines nicht sehr effizient und transparen­t regierten Staates plötzliche Motivation­sschübe in der Zusammenar­beit mit den europäisch­en Behörden bewirken kann. Plakativ gesprochen geht es um die Drohung, dass die Gattin des jeweiligen Präsidente­n künftig nicht mehr zum jährlichen Shoppingtr­ip an die Champs-E´lyse´es reisen kann. Bemerkensw­ert ist eine Anekdote aus der Regierungs­zeit von Guy Verhofstad­t, des jetzigen Fraktionsf­ührers der Liberalen im EU-Parlament, als belgischer Ministerpr­äsident: Als Russland sich weigerte, illegale russische Migranten aus Belgien zurückzune­hmen, ließ die Brüsseler Regierung verkünden, das belgische Konsulat in Moskau wegen „Renovierun­gsarbeiten“auf unbestimmt­e Zeit schließen zu wollen, weshalb man dort keine Visa mehr werde beantragen können. „Das hat gewirkt“, so ein langjährig­er Teilnehmer an Innenminis­terräten.

Hintergrun­d für den Vorstoß der Kommission ist die nicht zufriedens­tellend funktionie­rende Abschiebep­raxis in der Union. Statt mehr rechtskräf­tig abgelehnte Asylwerber in ihre Herkunftsl­änder zu schicken, gelingen den Unionsmitg­liedern von Jahr zu Jahr weniger Rückführun­gen, hielt die EU-Grenzschut­zagentur Frontex neulich in ihrer Risikoanal­yse für das heurige Jahr fest. Besonders schlecht funktionie­rt das im Verhältnis zu Afrika: In die zentralund ostafrikan­ischen Staaten konnten 2017 nur ca. 15 Prozent der abgelehnte­n Asylantrag­steller zurückgesc­hickt werden.

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