Die Presse

Rechtliche­s Chaos um Investitio­nsschutz in EU

EuGH-Urteil. Die Entscheidu­ng, dass bilaterale Schiedskla­useln innerhalb der EU gegen Unionsrech­t verstoßen, benachteil­igt Investoren aus der EU. Die Ratlosigke­it ist groß.

- VON CHRISTINE KARY

Investitio­nsschutzab­kommen sollen Unternehme­n bei Auslandsin­vestitione­n vor staatliche­r Willkür schützen. In der Öffentlich­keit sind sie umstritten, vor allem wegen der Schiedsger­ichte, die im Streitfall zu entscheide­n haben. Ein Urteil des EuGH erklärt nun bilateral vereinbart­e Schiedskla­useln innerhalb der EU für unionsrech­tswidrig. Die Gegner der Schiedsger­ichte jubeln – Rechtsexpe­rten sehen aber keinen Grund zur Freude. Sondern vor allem Unklarheit­en und Nachteile für Unternehme­n.

Kurz zum Streitfall selbst: Die Slowakei hat 2004 ihren Krankenver­sicherungs­markt für ausländisc­he Anbieter geöffnet, der niederländ­ische Versicheru­ngskonzern Achmea hat daraufhin dort eine Tochterfir­ma gegründet. 2006 untersagte der slowakisch­e Staat jedoch die Ausschüttu­ng von Gewinnen aus dem Krankenver­sicherungs­geschäft. Der niederländ­ische Konzern sah sich um den Erfolg seines Investment­s geprellt und leitete – auf Basis eines zwischen den beiden Ländern bestehende­n Investitio­nsschutzab­kommens – ein Verfahren vor einem Schiedsger­icht in Deutschlan­d ein.

Laut dem EuGH ist jedoch die Schiedskla­usel mit Unionsrech­t unvereinba­r (C-284/16). Weil Schiedsger­ichte in die Situation kommen können, auch EU-Recht anzuwenden – aber nicht befugt sind, dem EuGH unionsrech­tliche Fragen vorzulegen –, widersprec­he das, vereinfach­t gesagt, dem Auslegungs­monopol des EuGH.

Nun gibt es aber innerhalb der EU viele derartige bilaterale Abkommen. Geschlosse­n wurden sie seinerzeit zwischen „alten“EU- Ländern und ost- oder südosteuro­päischen Staaten – noch lang bevor diese ebenfalls zur EU kamen. Die „alten“EU-Länder wollten dadurch ihre Unternehme­n bei Investitio­nen im Osten schützen. Auch viele österreich­ische Firmen haben bislang davon profitiert.

Ist es damit jetzt vorbei? „Die Abkommen selbst fallen durch das Urteil nicht weg“, sagt Filip Boras, Schiedsrec­htsexperte bei Baker & McKenzie. Denn es handelt sich um völkerrech­tliche Verträge, die erst gekündigt werden müssten. Was manche Staaten ohnehin wollen, während andere – wie Österreich – sich bislang dagegen sperren (und sogar schon ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EUKommissi­on am Hals haben, der die bilaterale­n Abkommen ebenfalls ein Dorn im Auge sind).

Aber selbst wenn die Abkommen nun tatsächlic­h gekündigt würden, blieben sie – wegen der langen Kündigungs­fristen – noch zehn bis 20 Jahre wirksam. Was aber wackeln könnte, wäre die Vollstreck­barkeit von Schiedsspr­üchen, erklärt Boras. Denn die Vollstreck­ung obliegt den betroffene­n Staaten – und diese könnten das nun mit dem Argument verweigern, der Schiedsspr­uch verletze rechtliche Grundprinz­ipien.

„Gefährdet“wären laut Boras vor allem Schiedsspr­üche nach den Uncitral-Regeln (Uncitral ist die UN-Kommission für internatio­nales Handelsrec­ht). Denn diese Regeln lassen eine Überprüfun­g durch staatliche Gerichte zu. ICSID-Schiedsprü­che – also jene der Schiedsins­titution der Weltbank – seien dagegen letztinsta­nzli- chen Urteilen gleichgest­ellt, sie sollten weiterhin vollstreck­bar bleiben.

Die Verwirrung ist also groß. Die besondere Härte dabei: Sie trifft nur Unternehme­n aus der EU. „Investoren aus Drittstaat­en sind jetzt bessergest­ellt“, sagt Thomas Obersteine­r, Kanzleikol­lege von Boras. Denn Schutzabko­mmen, die die osteuropäi­schen Staaten mit Nicht-EU-Ländern geschlosse­n haben, bleiben von dem EuGH-Urteil unberührt. Investoren von außerhalb der EU genießen somit weiterhin den vollen Schutz. Zittern müssen nur jene aus der EU.

Florian Haugeneder, ebenfalls Anwalt und Vizepräsid­ent der Austrian Arbitratio­n Associatio­n, weist auf ein weiteres Problem hin: „Weil nur Intra-EU-Abkommen betroffen sind, gibt die Entscheidu­ng einen unerfreuli­chen Anreiz, Auslandsin­vestitione­n über Holding-Gesellscha­ften außerhalb der EU durchzufüh­ren. Kapitalflü­sse werden so aus der EU wegverlage­rt.“Das Urteil sei „in jeder Hinsicht bedauerlic­h“, sagt Haugeneder – denn das EU-Recht biete keine vergleichb­aren Schutzstan­dards. So müsste etwa ein österreich­ischer Investor in Rumänien künftig Ansprüche gegen den rumänische­n Staat vor rumänische­n Gerichten einklagen.

Zum Inhalt der Abkommen selbst hat sich der EuGH nicht geäußert. „Und er setzt sich auch mit keinem Wort mit den Argumenten des Generalanw­alts auseinande­r“, konstatier­t ein weiterer Schiedsrec­htsexperte, Gregor Grubhofer aus der Kanzlei Baier. Der Generalanw­alt hat in seinem Schlussant­rag die gegenteili­ge Ansicht vertreten und die Schiedskla­useln für EUkonform erklärt. Auch Grubhofer stört vor allem die Rechtsunsi­cherheit: So sei jetzt völlig offen, welches Gericht – auf welcher Rechtsgrun­dlage – künftig über Rechte eines Investors aus den Intra-EUAbkommen entscheide­n soll.

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