Rechtliches Chaos um Investitionsschutz in EU
EuGH-Urteil. Die Entscheidung, dass bilaterale Schiedsklauseln innerhalb der EU gegen Unionsrecht verstoßen, benachteiligt Investoren aus der EU. Die Ratlosigkeit ist groß.
Investitionsschutzabkommen sollen Unternehmen bei Auslandsinvestitionen vor staatlicher Willkür schützen. In der Öffentlichkeit sind sie umstritten, vor allem wegen der Schiedsgerichte, die im Streitfall zu entscheiden haben. Ein Urteil des EuGH erklärt nun bilateral vereinbarte Schiedsklauseln innerhalb der EU für unionsrechtswidrig. Die Gegner der Schiedsgerichte jubeln – Rechtsexperten sehen aber keinen Grund zur Freude. Sondern vor allem Unklarheiten und Nachteile für Unternehmen.
Kurz zum Streitfall selbst: Die Slowakei hat 2004 ihren Krankenversicherungsmarkt für ausländische Anbieter geöffnet, der niederländische Versicherungskonzern Achmea hat daraufhin dort eine Tochterfirma gegründet. 2006 untersagte der slowakische Staat jedoch die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Der niederländische Konzern sah sich um den Erfolg seines Investments geprellt und leitete – auf Basis eines zwischen den beiden Ländern bestehenden Investitionsschutzabkommens – ein Verfahren vor einem Schiedsgericht in Deutschland ein.
Laut dem EuGH ist jedoch die Schiedsklausel mit Unionsrecht unvereinbar (C-284/16). Weil Schiedsgerichte in die Situation kommen können, auch EU-Recht anzuwenden – aber nicht befugt sind, dem EuGH unionsrechtliche Fragen vorzulegen –, widerspreche das, vereinfacht gesagt, dem Auslegungsmonopol des EuGH.
Nun gibt es aber innerhalb der EU viele derartige bilaterale Abkommen. Geschlossen wurden sie seinerzeit zwischen „alten“EU- Ländern und ost- oder südosteuropäischen Staaten – noch lang bevor diese ebenfalls zur EU kamen. Die „alten“EU-Länder wollten dadurch ihre Unternehmen bei Investitionen im Osten schützen. Auch viele österreichische Firmen haben bislang davon profitiert.
Ist es damit jetzt vorbei? „Die Abkommen selbst fallen durch das Urteil nicht weg“, sagt Filip Boras, Schiedsrechtsexperte bei Baker & McKenzie. Denn es handelt sich um völkerrechtliche Verträge, die erst gekündigt werden müssten. Was manche Staaten ohnehin wollen, während andere – wie Österreich – sich bislang dagegen sperren (und sogar schon ein Vertragsverletzungsverfahren der EUKommission am Hals haben, der die bilateralen Abkommen ebenfalls ein Dorn im Auge sind).
Aber selbst wenn die Abkommen nun tatsächlich gekündigt würden, blieben sie – wegen der langen Kündigungsfristen – noch zehn bis 20 Jahre wirksam. Was aber wackeln könnte, wäre die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen, erklärt Boras. Denn die Vollstreckung obliegt den betroffenen Staaten – und diese könnten das nun mit dem Argument verweigern, der Schiedsspruch verletze rechtliche Grundprinzipien.
„Gefährdet“wären laut Boras vor allem Schiedssprüche nach den Uncitral-Regeln (Uncitral ist die UN-Kommission für internationales Handelsrecht). Denn diese Regeln lassen eine Überprüfung durch staatliche Gerichte zu. ICSID-Schiedsprüche – also jene der Schiedsinstitution der Weltbank – seien dagegen letztinstanzli- chen Urteilen gleichgestellt, sie sollten weiterhin vollstreckbar bleiben.
Die Verwirrung ist also groß. Die besondere Härte dabei: Sie trifft nur Unternehmen aus der EU. „Investoren aus Drittstaaten sind jetzt bessergestellt“, sagt Thomas Obersteiner, Kanzleikollege von Boras. Denn Schutzabkommen, die die osteuropäischen Staaten mit Nicht-EU-Ländern geschlossen haben, bleiben von dem EuGH-Urteil unberührt. Investoren von außerhalb der EU genießen somit weiterhin den vollen Schutz. Zittern müssen nur jene aus der EU.
Florian Haugeneder, ebenfalls Anwalt und Vizepräsident der Austrian Arbitration Association, weist auf ein weiteres Problem hin: „Weil nur Intra-EU-Abkommen betroffen sind, gibt die Entscheidung einen unerfreulichen Anreiz, Auslandsinvestitionen über Holding-Gesellschaften außerhalb der EU durchzuführen. Kapitalflüsse werden so aus der EU wegverlagert.“Das Urteil sei „in jeder Hinsicht bedauerlich“, sagt Haugeneder – denn das EU-Recht biete keine vergleichbaren Schutzstandards. So müsste etwa ein österreichischer Investor in Rumänien künftig Ansprüche gegen den rumänischen Staat vor rumänischen Gerichten einklagen.
Zum Inhalt der Abkommen selbst hat sich der EuGH nicht geäußert. „Und er setzt sich auch mit keinem Wort mit den Argumenten des Generalanwalts auseinander“, konstatiert ein weiterer Schiedsrechtsexperte, Gregor Grubhofer aus der Kanzlei Baier. Der Generalanwalt hat in seinem Schlussantrag die gegenteilige Ansicht vertreten und die Schiedsklauseln für EUkonform erklärt. Auch Grubhofer stört vor allem die Rechtsunsicherheit: So sei jetzt völlig offen, welches Gericht – auf welcher Rechtsgrundlage – künftig über Rechte eines Investors aus den Intra-EUAbkommen entscheiden soll.