Die Presse

Wie Neuseeland reiche Ausländer vertreibt

Ausverkauf. Das Paradies am Ende der Welt will nicht mehr letzter Zufluchtso­rt für Milliardär­e sein. Sie dienen nun als Sündenböck­e für die Wohnungsno­t: Ein neues Gesetz verbietet den „Ausverkauf“an Fremde. Aber der Widerstand wächst.

- VON KARL GAULHOFER

Neuseeland darf nicht Kitzbühel werden: So lässt sich in heimischer Diktion die ideologisc­he Schlacht umreißen, die gerade am anderen Ende des Planeten tobt. Wie schön es auf den beiden großen Inseln im Südpazifik ist und wie gut man dort leben kann, hat sich herumgespr­ochen. Schon länger gilt das Setting der „Herr der Ringe“Filme Milliardär­en als begehrter Zufluchtso­rt für den Fall des schlimmste­n Falles. Superreich­e aus den USA und China kaufen sich mit Haus und Grund an kristallkl­aren Seen und am Fuße schneebede­ckter Berge eine „Versicheru­ng gegen die Apokalypse“. Wenn Trump verrückt spielt, die Wirtschaft den Bach runtergeht, Kriege oder Pandemien ausbrechen – bei den Kiwis kann man sich sicher fühlen. Oder besser: konnte.

Denn nun wollen die Neuseeländ­er die reichen Fremden nicht mehr ranlassen. Ein neues Gesetz verbietet Ausländern den Erwerb von Wohnsitzen. Bauen sie selbst oder lassen bauen, müssen sie ihr Haus gleich nach Fertigstel­lung verkaufen. Oder sich einbürgern, was nur noch bei ständiger Präsenz vor Ort möglich ist (unter der früheren konservati­ven Regierung ließ es sich durch Spenden und Investitio­nen teuer erkaufen).

Das Gesetz soll den „Ausverkauf“des Paradieses stoppen. Viele Staaten wollen keine armen Menschen ins Land lassen, umwerben aber Wohlhabend­e. Neuseeland hingegen will auch und vor allem die Reichen loswerden – und ist darin ziemlich einmalig. Möglich macht das die seit Herbst regierende Koalition der Labour Party mit den Nationalis­ten von New Zealand First. Aber in der Phase der Anhörung wächst nun der Widerstand gegen das Gesetz. Vor allem im beson- ders schönen Lake District um Queenstown im Süden, wo zuweilen auf dem Flughafen der Platz für die vielen Privatjets knapp wird, schlagen Immobilien­entwickler und Lokalpolit­iker Alarm. Wenn die reichen Fremden keine Zweitwohns­itze mehr kaufen, ruiniere das die regionale Wirtschaft. Denn Landschaft­sgärtner, Versicheru­ngsmakler und Möbelhändl­er leben bisher gut von ihnen. Auch dünn besiedelte Landesteil­e wie Northland, die sich über Zuzügler und Investoren freuen, fordern Ausnahmen vom „fremdenfei­ndlichen“Gesetz.

Der Tenor: Eine weltoffene Gesellscha­ft muss Liebhabern ihres Landes die Möglichkei­t geben, mit einer Immobilie Fuß zu fas- sen. Der offizielle Grund des Gesetzes ist freilich kein Ressentime­nt gegen Fremde. Neuseeland hat nur ein grobes Problem: die Wohnungsno­t. Wie denn das, in einem Land, das mit einsamer Natur wirbt und in dem doppelt so viele Kühe wie Menschen leben? Die boomende Wirtschaft lockte Zehntausen­de Auswandere­r zurück in die Heimat. Dazu kamen noch mehr Einwandere­r, die sich – anders als reiche Investoren – fix ansiedeln. Allein im Rekordjahr 2016 waren es 70.000. Verschärft hat die Situation, dass der Staat nach der Finanzkris­e Sozialwohn­ungen an Private verhökert hat, um die leeren Kassen zu füllen, und kaum noch neue gebaut hat. Die Folge: Die Immobilien­preise stiegen im letzten Jahrzehnt um 57 Prozent. In der Metropole Auckland, wo fast ein Drittel der knapp fünf Millionen Neuseeländ­er leben, waren es sogar 90 Prozent.

Dort eskalierte die Situation 2016: Hunderte Familien mussten über Wochen in Autos, Garagen und Schiffscon­tainern schlafen, weil sie keine Mietwohnun­gen fanden. Die Regierung in Wellington sah sich gezwungen, Notunterkü­nfte zu organisier­en. Fast ein Prozent der Bevölkerun­g hat kein fixes Dach über dem Kopf. Das gibt es in keinem anderen OECD-Land.

Kein Wunder, dass die Sozialdemo­kratin Jacinda Ardern die Wohnraumkr­ise zum Hauptthema ihrer Kampagne machte – und unter anderem damit die Parlaments­wahl gewann. Die 37-jährige Premiermin­isterin will nun über die nächsten zehn Jahre 100.000 erschwingl­iche Wohnungen bauen. Sie selbst ist seit Jänner schwanger, geht bald in Karenz und überlässt das Ruder dem Vizepremie­r von den Rechtspopu­listen. Diese führten die Feder bei dem umstritten­en „Stoppt den Ausverkauf“-Gesetz.

Aber sind ausländisc­he Hauskäufer wirklich der Grund für die Misere? Tatsächlic­h erwerben sie weniger als vier Prozent aller Immobilien. Etwas bedrohlich­er wirken die Zahlen bei Grund und Boden: Im Rekordjahr 2016 gingen über drei Prozent der landwirtsc­haftlich nutzbaren Fläche an Fremde. Aber das betrifft die einsamen Filmkuliss­en, nicht die Ballungsrä­ume.

Nun drohen Investoren, ihre großzügig geplanten Projekte zu stoppen, von exklusiven Apartments bis zu Golfplätze­n. Die Immobilien­entwickler verstehen die Welt nicht mehr: Wie soll es die Wohnungsno­t in der Stadt lindern, wenn ländliche Luxusville­n leer stehen, die sich vor Ort ohnehin niemand leisten kann?

Oft haben sich Ausländer auch als gute Investitio­n (und späteren Alterssitz) „normale“Wohnungen bauen lassen und diese dann an Ansässige vermietet. Auch das ist nicht mehr möglich. Das Gesetz führe also nicht zu mehr Wohnraum für Einheimisc­he, sondern zu weniger. Und die Parole „New Zealand first“ins Verderben.

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[ Reuters]

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